Corona und der Lockdown beflügeln bei Hobbyradlern und Profis den Trend zu E-Training und E-Racing. Die Technik spielt schon alle Stückerl und simuliert Kopfsteinpflaster, Glatteis und Holzbrücken.

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Wie die Stärken von Usain Bolt im regungslosen Stand bewundern. So könnte man augenzwinkernd einen Blick in die Wohnzimmer, Arbeitszimmer oder Fitnesskeller von Hobbysportlern werfen. Denn dort stehen schnittige Rennräder, die nach den neuesten Erkenntnissen der Aerodynamik in Carbon geschmolzen wurden und durch Luft und Wind schneiden. Und jetzt stehen sie eingespannt wie gezähmte Wildpferde und müssen Leistung im Stillstand liefern. 

Früher war das altmodische Rollen- oder Walzentraining selbst unter Radfahrern so beliebt wie ein Patschen im hintersten Tal. Und auch, wenn nach wie vor ein paar bibbernd in der Kälte ihre Radrunden drehen, an Zwift und Co. kommt kein Radsportler vorbei. Im Corona-Jahr sind online sogar offizielle Rennen der nationalen und internationalen Radverbände als Wohnzimmerwettkämpfe und Kellerkonkurrenzen ausgetragen worden. Erst als Notlösung, dann hat es sich als sehr beliebte und nicht nur notdürftige, sondern erstaunlich zukunftstaugliche Wettkampfform erwiesen. 

Die Vorteile des Trainings liegen auf der Hand: Es ist kurzweilig, intensiv, im Trockenen, Schlechtwetter existiert im Wohnzimmer nicht. Man muss nirgends zum Losfahren hinradeln „und es gibt online keinen Verkehr, keine Ampeln, keine Nässe, kein Glatteis und keine Dunkelheit“, wie Kathi Machner erzählt, die erste Gesamtsiegerin der österreichischen eBundesliga (siehe Interview). 

Die Gamifikation
Die Online-Plattformen wie Vorreiter Zwift haben den Spieltrieb in der Virtual Reality auf ein völlig neues Niveau gehoben. Zwift hat 2,5 Millionen Nutzer weltweit und Radfahren zu einer Mischung aus Social-Media-Phänomen, Computerspiel und echtem Training gemacht. Es gibt ein Level-System mit 50 Stufen und Belohnungen für erbrachte Leistungen wie leichtere, schnellere Rennräder oder Ausrüstung. Die Strecken sind nun ein Imperium mit zehn „Welten“ und 74 Routen, darunter Klassiker wie London, Paris (man kann die legendäre Champs-Élysees fahren), Alpe de Zwift (aka Alpe d’Huez) den WM-Kurs von Innsbruck 2018, aber auch frei erfundene virtuelle Welten wie das ikonische Watopia. Zwift bietet als eine der wenigen Plattformen auch Mountainbikerouten.

Es gibt einen Eventkalender mit täglich mehr als 100 (!) Ausfahrten und Rennen. Und auch hier gibt’s keine Anreise und keine großen Kosten (außer die 14,99 Euro monatlich für die Zwift-Nutzung). Zwift agiert geschickt, ist eng mit dem Radsport verbunden und hat Kooperationen mit Teams und Veranstaltern. So wurde in Österreich von „eCycling Austria“ mit dem Radverband die „e-liga“ ausgefahren und Anfang Dezember erstmals via Zwift die erste offizielle UCI-Weltmeisterschaft in E-Sports veranstaltet. Und das soll erst der Anfang sein: Zwift hat neue Investoren mit 380 Millionen Euro Kapital an Bord genommen, einer davon Specialized. Zwift will die Software und Hardware ausbauen und könnte sogar ein eigenes Indoorbike anbieten.

Da muss die Entwicklung der Hardware am Markt mithalten. „Die Nachfrage nach Smarttrainern ist stark gewachsen“, erzählt Fabian Danner von Garmin, der den Indoor-Spezialisten Tacx 2019 übernommen hat. „Die Corona-Pandemie, die damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen und die Einstellung öffentlicher Sportangebote haben den letzten Push zum Super-Hype gegeben.“ Der Boom habe aber bereits vor mehr als fünf Jahren begonnen. Ein weiterer Faktor: Moderne Technik, vor ein paar Jahren noch das Spielzeug für Profis, ist jetzt schon im unteren Preissegment erhältlich. Wer also die Wahl hat, investiert nur ein paar Euro mehr und hat statt einer gewöhnlichen „Walze“ einen modernen Smarttrainer.

„Die attraktiven Preise führen sicherlich zu einer Verteilung hin zum Smarttrainer“, ist Danner überzeugt. Aus der Entwicklung kann er berichten, dass ein Fokus darauf liegt, die Geräuschkulisse weiter zu minimieren, weil die meisten im Wohnbereich trainieren. „Persönlich sehe ich die größte Weiterentwicklung aber im Fahrgefühl. Dieser subjektive Parameter ist leider nicht messbar und daher auch nicht für jeden greifbar, bis man selbst gefahren ist. Mit Funktionen beim Neo 2T Smart wie ,Road Feel‘ oder Bergabfahrtssimulation werden Abfahrten oder Untergründe wie Schotter, Kopfsteinpflaster, Holzbrücken, Glatteis etc. aber so realistisch simuliert, dass man sich fragt, ob man jetzt ­draußen oder drinnen fährt.“ 

Entscheidend sei auch, wie schnell sich der Smarttrainer an die virtuelle Strecke anpasst und auf Veränderungen der Trittfrequenz reagiert. „Hier konnten in den letzten Jahren deutliche Fortschritte durch bessere Prozessoren und eine effizientere Verkabelung erreicht werden.“ Ob Corona oder Lockdown, mit dieser Technik kann man sich die große Radwelt mit Training und Wettkampf ins Wohnzimmer holen. Garantiert virenfrei. 

Was brauchst du?

  • ein Rad: Rennrad oder MTB, prinzipiell jedes Rad möglich (auch kompatible Ergometer)
  • Smarttrainer mit Internet-Verbindung; entweder mit komplett eingespanntem Hinterrad (Wheel-on-Trainer, Reibung über den Reifen, lauter und ungenauer, ab € 300) oder als moderne Variante ohne Laufrad mit Direktantrieb am Trainer, ab € 600 von Firmen wie Tacx, Elite und Wahoo im Handel
  • Laptop, Smartphone oder Smart-TV mit Funkverbindung (Bluetooth oder Ant+) zum Smarttrainer
  • Ventilator, Handtuch, rutschfeste Trainingsmatte, Getränke

Weltrekord
Der Brite Tim Searle (49) fährt seit 2015 auf Zwift, hat online schon knapp 200.000 km absolviert und viele Weltrekorde aufgestellt. Seine Strava-Jahresbilanz bis Anfang Dezember 2020: 48.300 km und 305.000 hm bei 905 Radfahrten (19 pro Woche, im Schnitt 32 Stunden/Woche!).

Doping-Alarm
Auch im virtuellen Radsport gibt es ein Dopingproblem. Weil sie beschuldigt wurden, ihre Leistungsdaten bei der Übertragung manipuliert zu haben, wurden zwei Radsportlerinnen von der Zwift-Anti-Doping-Agentur (ZADA) für sechs Monate von den Online-Rennen ausgesperrt. Meldungen über „Software-Doping“ gibt es regelmäßig.

Kathi Machner im Interview

Wie viel fährst du Indoor? Und wie viel noch im Freien? 
Übers Jahr gesehen ca. 50/50. Im Winter natürlich mehr drinnen, wobei ich versuche, die langen Ausfahrten am Wochenende schon im Freien zu absolvieren. Aber ich arbeite bei Gösser im Schichtbetrieb und da ist es wesentlich einfacher, wenn man die 15 Stunden Radtraining neben der Arbeit zu Hause in der Wohnung machen kann.

Wo steht deine Ausrüstung? 
Im Wohnzimmer, meistens kurbelt mein Freund neben mir auch mit. Für die internationalen Zwift-Rennen musste ich mir einen neuen, technisch besseren Smarttrainer ausborgen, weil sie völlig ausverkauft waren.

Wie ändern sich Taktik und Fahrweise bei Online-Rennen? 
Ich fahre schon seit vier Jahren bei Zwift-Rennen. Am Anfang haben alle gefragt, ob ich spinne. Jetzt fragen sie mich um Tipps (lacht). Im Internet beginnt das Rennen meistens schon mit einem Vollgassprint, die Rennen sind intensiver, aber kürzer. Und der Windschatten und das Körpergewicht wirken sich etwas anders aus. Es bleiben zwei unterschiedliche Sportarten. Aber sehr lässig finde ich, dass wegen der Online-Rennen jetzt viel mehr Frauen eine Rennlizenz lösen. 

Das Online-Training ist für dich vollwertig?
Intensive Einheiten wie z. B. Intervalle kann man indoor viel besser und effizienter machen, weil man auf keinen Verkehr und keine Ampeln achten muss. Außerdem sind jetzt Dunkelheit, Kälte und Nässe echte Gefahren im Freien. Der Radsport bleibt für mich aber ein Freiluftsport und ich liebe es, im Freien zu fahren.

Kathi Machner
Kathi Machner

ist 26, Radsportlerin, Betriebslogistikerin bei Gösser in Leoben, hat 2020 jedes Rennen der „e-liga“ und die Gesamtwertung gewonnen, fährt internationale Zwift-Rennen, aber auch Straßenrennen im Freien.  
Web: www.kathimachner.com