Ski-Hochtouren und Ski-Durchquerungen gelten als Königsdisziplinen im Skitouren-Sport. Faszination und Voraussetzungen – zwei Experten erklären, worauf es im Detail ankommt.
Mehrere Tage, meist über 3000 m Seehöhe, hochalpines Gelände, oft inklusive Gletscherkomponente. Als Belohnung Sonnenaufgänge und Sternenhimmel, die man ein Leben lang nicht vergisst. Eine Skihochtour und gleichzeitig Ski-Durchquerung enthält all diese Komponenten. Bergsteigen im Winter.
Kaum wo sonst liegen Reiz und Begeisterung einer Sportart so eng mit ihren Herausforderungen und Komplexitäten beieinander wie bei Skihochtouren und Durchquerungen: Es geht um die Navigation zwischen Start- und Zielort, um viele verschiedene Perspektiven in differenziertem Gelände. Andere Täler, neue Gipfel und die permanente Frage: Was wird sich hinter der nächsten Kuppe auftun? Die Landschaft verändert sich ständig, das Gebiet ist oft unbekannt, die Berge zeigen sich in neuer Form. Zusätzlich kitzelt der Reiz des „Schaffens“. Eine lange Strecke, mehrere Tage am Stück – eine Herausforderung für Geist und Körper.
In der Liste der berühmtesten Mehrtagestouren auf Ski stehen in den Ostalpen die „Hoch-Tirol“ von Kasern in Südtirol bis zum Großglockner (96 km, 9700 hm) bzw. in den Westalpen die „Haute Route“ zwischen Chamonix und Zermatt (94 km, 6700 hm) ganz oben. In Österreich zählt die Tauerncross zwischen Maltatal und Heiligenblut (78 km, 8100 hm) als anspruchsvolle Tour – etwas „einfacher“, und damit auch für Einsteiger zu empfehlen, ist der Nockberge-Trail vom Katschberg nach Bad Kleinkirchheim (66 km, 4000 hm).
Must-haves
„Reine Skitouren-Erfahrung ist zu wenig“, mahnt Ski- und Bergführer Martin Glantschnig. „Man braucht eine fundierte Ausbildung. Hierbei sind viele Komponenten des Alpinsports zu beherrschen: Neben umfangreichem Wissen über Lawinenkunde auch richtiges Verhalten auf einem Gletscher, Spaltenbergung, Navigation bei schlechter Sicht und vieles mehr – sodass man in allen Situationen auch die richtigen Entscheidungen trifft.“ Ähnlich dem Erste-Hilfe-Kurs kann man hier sein Wissen nicht oft genug erweitern und festigen.
Michael Mautz und sein Team der Alpinschule high life bieten hierzu auch spezielle Vorbereitungstage an. Eine Art Trainingslager – inklusive Materialcheck und Test bzw. Info über seine eigenen Fähig- und Fertigkeiten. Danach weiß man besser, ob man für eine Ski-Hochtour tatsächlich (schon) gerüstet ist.
Neben dieser umfangreichen theoretischen und auch praktischen Skitouren-Vorbereitung – am besten in unterschiedlichem Gelände und bei abwechselnden Schneeverhältnissen – soll und muss man insbesondere das Tragen eines schweren Rucksacks gewöhnt sein. „Viel Gepäck macht bergauf und vor allem auch bei der Abfahrt einen großen Unterschied“, weist Mautz auf eine Haupt-Unterschied zu „gewöhnlichen“ Skitouren hin.
Hier passieren oft auch Fehler. Es gilt, „so wenig wie möglich und so viel wie nötig“ mitzunehmen. „Verzicht auf Sicherheit ist dabei keine Option“, sagt Mautz. Martin Glantschnig ergänzt und legt für Mehrtagestouren dringend nahe, die Ausrüstung gut zu trocknen, vor allem die Schuhe: „Innenschuh raus, Sohle raus! Sind sie am nächsten Tag noch nass, wird’s unbequem.“
Vorbereitung ist das A und O
Gut eingestelltes, regelmäßig verwendetes und vertrautes Equipment ist obligatorisch: Passen die Harscheisen? Halten die Felle? Sind die Schuhe eingetragen? „Bei einer normalen Skitour ist eine Blase kein so großes Problem – ich kann umdrehen. Das ist bei einer Durchquerung schwieriger. Ich muss trotzdem irgendwie weiter“, spricht Mautz ein häufiges Problem an.
Für eine Skihochtour bedarf es außerdem bester (Ski-)Technik bei allen Schneearten – und das mit besagtem schweren Rucksack: „Eine Spitzkehre zu machen klingt oft banal – ist im steileren, härteren Gelände aber oft schwieriger. Auch die Abfahrt ist bei einer Durchquerung praktisch vorgegeben – man kann teilweise nicht beeinflussen, wo man abfährt. Bei einer normalen Tour kann man sich noch etwas an der Schneequalität orientieren“, fasst Mautz zusammen.
Checkliste Skihochtouren
- Pack-Management üben
Der Rucksack wiegt auf solchen Touren durchschnittlich 8 bis 12 kg – abhängig von individuellen (Luxus-)Bedürfnissen. Das „Rucksack-Management“ sollte vorher geübt werden. - Grundlage im Sommer legen
Sommer-Hochtouren als technisches und konditionelles Training sind perfekt zur Vorbereitung. - Höhenlage beachten
Die eigene Leistungsfähigkeit in der Höhe unbedingt vorab austesten – Höhenverträglichkeit ist sehr individuell. - Ausrüstung
Vorhandensein und richtige Anwendung der kompletten Skitouren- und Hochtourenausrüstung (hochtourenspezifisch: Hüftgurt, Seil, Pickel, Steigeisen, Biwaksack, Helm) sowie das Beherrschen aller Skitouren- und Sicherungstechniken auf sehr gutem Niveau sind Grundvoraussetzungen für Hochtouren. Ebenso sind Sicherheits- und Erste-Hilfe-Kenntnisse unabdingbar. - Keine Alleingänge
Gemeinsam planen – gemeinsam erleben – gemeinsam reflektieren.
Ski-Hochtouren: ein Gruppensport
Vermieden oder gar eliminiert werden können Fehler, wenn Skihochtouren und Durchquerungen mit professionellem Bergführer in Angriff genommen werden. Hier wird jeder Schritt, von der Planung über das richtige Packen bis zur Tour selbst, gemeinsam gemeistert – in Kleingruppen von fünf oder sechs Personen. Im Idealfall kennt sich die Gruppe – oder der Bergführer kennt die einzelnen Leute gut und weiß in etwa, wer mit wem gut zusammenpasst. Emotionale Spannungsfelder oder zu divergente Fitnesslevels sind im hochalpinen Gelände nämlich keine guten Voraussetzungen. Man ist 24/7 zusammen, die Privatsphäre ist praktisch null.
„Man soll und muss viel kommunizieren. Eine Gruppe sieht mehr als ein Einzelner und der wichtigste Aspekt – die Sicherheit – erhöht sich dadurch. Bei einer Durchquerung im Hochgebirge können sich die Wetterverhältnisse oft sehr schnell und unerwartet ändern. Da man im Winter aber nicht auf einem beschilderten Wanderweg steht, muss Navigation neu gedacht werden und ein fundiertes Wissen über Karten wird unumgänglich“, spricht Martin Glantschnig aus Erfahrung.
Schlechte Sicht gepaart mit Lawinengefahr lässt es oft nicht zu, stur einem GPX-Track zu folgen. „Die Tracks können hilfreich sein, aber bieten kein Weg, dem ich ohne weitere Gefahren folgen kann. Dort, wo ich vor einem Jahr vielleicht noch gegangen bin, kann sich jetzt eine große Gletscherspalte befinden“, mahnen die beiden Profis zur Vorsicht.
Geduld haben lohnt sich
Skitouren sind generell assoziiert mit der weißen Gefahr: Lawinen. Das Checken des örtlichen Lawinenlageberichts gehört ohnehin zur Pflicht vor jeder Skitour. Empfehlung: „Auf lawine.at bekommt man zahlreiche wertvolle Infos zu den Gefahrenstellen und den einzelnen Lawinenproblemen. Dies gibt mehr Aufschluss als das reine Wissen der vorherrschenden Gefahrenskala“, sagt Glantschnig.
Sind alle Hausaufgaben erfüllt, kann es endlich losgehen. Fast – ein bisschen Geduld braucht es noch, beginnt die Saison von Ski-Hochtouren und Ski-Durchquerungen doch erst Anfang März. Einzelne Strecken in etwas tieferen Höhenlagen sind eventuell schon im Februar möglich, aber man ist auch abhängig von den Hütten-Stützpunkten bzw. ihren Öffnungszeiten. Auch sind die Tage im späteren Winter schon spürbar länger.
Auf die Hauptsaison für Ski-Hochtouren und Durchquerungen hat sich der Klimawandel noch nicht unmittelbar ausgewirkt – dennoch sehen Experten gängige Regeln oder Faustformeln auf den Kopf gestellt und Pauschalaussagen sind nahezu unmöglich: „Heute gibt es oft im März weniger Schnee als im April“, spricht Mautz die dynamischen Wetterbedingungen an.
Die Zahl der Menschen im Hochgebirge auf Ski-Hochtouren steigt jedenfalls. Eine logische Folge dessen, dass in den letzten Jahren immer mehr Menschen ins Skitourengehen eingetaucht sind. Und viele der neu Eingestiegenen suchen nun nach mehr – quantitativ wie qualitativ. Schließlich gilt eine absolvierte Ski-Hochtour als Ritterschlag unter Skitourengehern – und für viele als Erfüllung eines Lebenstraums.