Welchen Öko- und Klimafußabdruck hinterlässt eigentlich (m)ein Urlaub? Das fragen sich immer mehr Menschen. Outdoorsportler genauso wie ­Tourismusanbieter. Lokalaugenschein in zwei alpinen Urlaubs­regionen, die beide bis 2030 „klimaneutral“ sein wollen.

Christof Domenig
Christof Domenig


Balkontür auf am frühen Morgen, herein weht der Duft von Nadelwald. Und herrlich kühle Luft. Ein wohltuender Kontrast nach mehreren Hitzewochen daheim im urbanen Asphaltdschungel, wo (gefühlt) jeder letzte Flecken Grün dem nächsten Bauprojekt weicht.

Auf der „Katschberghöhe“ auf 1640 m, im Grenzgebiet zwischen Kärnten und dem Salzburger Lungau, von wo aus man als Sportler sommers wie winters in die Berge startet: Hier wird man auch in einigen Jahrzehnten noch wenig von brütender Sommerhitze spüren. Dennoch machen sich die Katschberger Gedanken über die Erderhitzung. 20 touristische Betriebe der Region haben sich unter der Führung des Hoteliers Wolfgang Hinter­egger („Das Katschberg“) sowie des Kärntner Unternehmers Anton Aschbacher zur Initiative „Region Klimaberg Katschberg“ zusammengeschlossen. Ziel: möglichst nachhaltigen Urlaub anbieten. Und: „Klimaneutralität bis 2030“ erreichen. Der Weg dorthin wurde Anfang Juli mit dem „1. Klimaberg Summit“ eröffnet, einem viertägigen („Green“) Event inklusive internationalem Symposium, das sich der Frage widmete, wie sich Tourismus in Alpinregionen möglichst umweltfreundlich mit kleinem CO2-Fußabdruck gestalten lässt.

Zwei Wochen darauf, Schauplatz Flims Laax Falera in der Schweiz. Andere Location, gleiches Ziel. Die Schweizer Region ist vor allem im Winter als Ziel eines überwiegend jungen Freestyle- und Snowboard-Publikums bekannt, aber auch als Mountainbike- und Wanderdestination im Sommer. Sie will ebenfalls bis 2030 klimaneutral sein und ebensolche Urlaube anbieten. Da wie dort, in der Schweiz wie am Katschberg, gehen die Bestrebungen von Unternehmen aus: In der Schweiz von der „Weiße Arena Gruppe“, zu der die lokalen Bergbahnen sowie mehrere Hotels, Restaurants und weitere Betriebe gehören. Die „WAG“ beschäftigt seit elf Jahren einen Nachhaltigkeits-Beauftragten, Reto Fry, der den möglichen Weg in Richtung Klimaneutralität kennt und berechnet hat. Nicht nur für das Unternehmen, sondern für die gesamte Region.

Was heißt das eigentlich: „klimaneutral“ bzw. CO2-neutral? Das haben wir bei der „Kompetenzstelle für Klimaneutralität“ der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien nachgefragt. In Kurzform: Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und die Erderwärmung auf maximal 2, besser 1,5 Grad zu begrenzen, müssen CO2-Emissionen in allen Bereichen sehr deutlich reduziert werden. Möglichst auf null. Das Wort „neutral“ heißt nun: In der „Bilanzsumme“ stehen null CO2-Emissionen, erklärt Joachim Thaler von der BOKU-Kompetenzstelle. Allerdings gibt es dabei auch einige Unschärfen. Eine einheitliche Definition gibt es nämlich – noch – nicht, erklärt Thaler, diese wird soeben ausverhandelt. 

Worüber aber Einigkeit herrscht, ist, wie der „seriöse Weg“ in Richtung Klimaneutralität aussieht: Über CO2 vermeiden – reduzieren – kompensieren, in dieser Reihenfolge. Was heißt dabei Kompensation? Da ein vollständiges Vermeiden von klimaschädlichen Emissionen in allen Bereichen nicht realistisch ist, gibt es auch die Möglichkeit, Klimaschutzprojekte finanziell zu unterstützen, sodass die Menge an CO2, die verursacht wird, an einer anderen Stelle der Welt zugleich gebunden oder vermieden wird. Derzeit dürfen sich auch Unternehmen, die lediglich kompensieren, aber keine Schritte zur Vermeidung und Reduktion schädlicher Emissionen setzen, als „klimaneutral“ bezeichnen. Ein Weg, der von Kritikern als moderner „Ablasshandel“ gesehen wird.

Was unbestritten ist: Für einzelne Unternehmen ist es einfacher die „Null-Emissionen“-Bilanzsumme zu erreichen als für ganze Regionen, wo viele Player und Entscheider gemeinsam mitspielen und an einem Strang ziehen müssen. Oder überhaupt für ein ganzes Land: Österreich will bis zum Jahr 2040 Klimaneutralität erreichen – so steht es im aktuellen Regierungsprogramm festgeschrieben. Kündigen Tourismusregionen an, bis 2030 klimaneutral sein zu wollen, dann ist das also schon durchaus ambitioniert. So wichtig Ankündigungen und Absichten auch sind: Entscheidend sind immer die konkreten Schritte, die gesetzt werden, sagt BOKU-Experte Joachim Thaler. 

Klima­bewusst urlauben


Die Mobilität gehört zu den größten CO2-Emittenten von Urlauben. Viele Urlaubsregionen unterstützen bereits ihre Gäste bei der Bahnanreise, etwa auf der „letzten Meile“ und mit umweltschonenden Mobilitätslösungen vor Ort. Zum Beispiel die „Alpine Pearls“: www.alpine-­pearls.at

Lieber länger als kürzer: Der Trend geht seit Jahren zu kürzeren, aber mehr Auszeiten im Jahr. Damit sich auch eine weitere An- und Rückreise „auszahlen“, lieber ein paar mehr Tage vor Ort einplanen.
Unterkünfte bewusst wählen: Für viele Hotel- und Pensionsbetreiber sind Nachhaltigkeit und Energieeffizienz wichtige Anliegen und sie kommunizieren das auch. Gütesiegel wie das „österreichische Umweltzeichen“ geben Orientierung. Klimaschonend ist es aber auch, auf kleinere Unterkünfte zu setzen und auf Lagen, bei denen man von der Haustür weg ohne weite Wege in die Berge starten kann.
Regional, saisonal, vegetarisch: Diese Prinzipien stehen (nicht nur im Urlaub) bei der Verpflegung für Klimaschonung. Wer entsprechende Angebote annimmt, unterstützt auch Produzenten und Zulieferer im Urlaubs­ort und sorgt für einen nachhaltigen Betrieb mit kurzen Wegen. Wenn Fleisch, dann möglichst ebenfalls aus der Region.

Auch Kleinigkeiten bewirken in Summe viel: Zum Beispiel, seine Handtücher etwas öfter zu verwenden und nicht täglich zur Wäsche zu geben. Charmante Hinweise auf nachhaltiges Verhalten im Urlaub sollte man als Gast ­annehmen und umsetzen.

Region Katschberg: Der „Klimaberg-Summit"
Es ist Zeit für Veränderung. Wir haben im Tourismus so viel von der Natur gelebt, das wollen wir jetzt umdrehen und vom Tourismus aus die Natur schützen“, hielt Hotelier und „Klimaberg“-Initiator Wolfgang Hinteregger zum Start des Klimaberg Summit fest. Der zweite Initiator Anton Aschbacher betonte: „Wir müssen wieder anfangen, in Promille zu denken und zu arbeiten. Keiner kann sich Prozente CO2-Reduktion vorstellen: Stattdessen arbeiten wir Schritt für Schritt, in kleinen Schritten, und wir stehen erst am Anfang.“

Wie schauen konkrete CO2-Reduktionsschritte der Katschberger aus? Sechs große Punkte wurden definiert. Der größte Brocken im Urlaub mit dem größten Einsparungspotenzial ist die An- und Abreise. Eine klima­freundliche Mobilität ist daher auch am Katschberg ein wichtiger Punkt. Bahnreisende bekommen einen Teil des Ticket-Preises gutgeschrieben, wenn sie in einem der Mitgliedsbetriebe übernachten. Shuttledienste holen Gäste an den nächstgelegenen Bahnhöfen Tamsweg und Spittal an der Drau ab, E-Mobilität wird ausgebaut. Die Partnerbetriebe wiederum verpflichten sich etwa: zur Berechnung ihres CO2-Fußabdrucks, zum Umstieg auf 100 Prozent Ökostrom, zu einer regionalen, saisonalen Küche und dazu, die (strengen) Kriterien des „Österreichischen Umweltzeichens“ umzusetzen. Sechs Hotels aus der Region haben das schon geschafft und bekamen im Rahmen des Events die Umweltzeichen verliehen. Ein Baustein ist auch sogenannte „Klimaerde“, die auf Äckern, Skipisten, Flachdächern und in Hochbeeten ausgebracht wird. Die spezielle Erde soll CO2 binden und damit regionale Kompensation ermöglichen.

Für klimabewusste Urlauber ergeben sich damit schon einige Anhaltspunkte, worauf sie achten können: Etwa Bahnanreise sowie nachhaltig wirtschaftende Unterkünfte, die in der Regel auch auf saisonale, regionale und vegetarische Speisen setzen (siehe Kasten). Wie man ein Hotel möglichst nachhaltig und klimafreundlich führen kann und wa-rum man das tun sollte, zeigte beim „Klimaberg Summit“ der Impulsvortrag von Hannes Lichtmannegger, Hotelier aus dem bayrischen Ramsau bei Berchtesgaden. Der Betreiber des „Das Rehlegg“ sah 2012 einen Vortrag über Turboschweinemast – die Initialzündung, in seinem Betrieb einen umfassenden Wandel einzuleiten. Beginnend mit regionalen Zulieferern und Produzenten, viele direkt aus dem Heimatort. Lichtmanneggers Zulieferer züchten mittlerweile etwa das vom Aussterben bedrohte alpine Steinschaf. Der Schlachthof ist auch nur sieben Kilometer entfernt. Heißt: kürzeste Wege und damit jede Menge CO2-Vermeidung.

Energieeffizienz sowie -eigenversorgung nannte der Hotelier als weitere wichtige Punkte: 75 Prozent des benötigten Stroms erzeuge man aktuell selbst, in zwei bis drei Jahren wolle man unabhängig vom öffentlichen Stromnetz sein. Zum Hotel gehören drei E-Tankstellen, E-Fahrzeuge können von Gästen geliehen werden. Zum Konzept gehöre aber auch eine chemiefreie Reinigung des Hotels. „Wenn man in einem Bereich anfängt, hört man nicht mehr auf“, sagte Lichtmannegger. „Das Nachhaltigkeitskonzept ist für 70 Prozent der Gäste mit buchungsentscheidend“, verwies der Hotelier auf Gästebefragungen. Seit 2015 sei „Das Rehlegg“ klimaneutral. Nicht genug, der Hotelier strebt, unter anderem über CO2-bindende Landwirtschaft mittels spezieller Humus-Böden, sogar einen „klimapositiven“ Status an. Der Weg einzelner Betriebe ist auch deshalb interessant, weil sich daraus auch jener für ganze Regionen ableiten und abschätzen lässt – wie sich auch in der Schweiz zeigte.
 

Region Flims Laax Falera: "Greenstyle" überall
Wie auf den Katschberg, haben wir auch in die Schweiz die Reise mit der Bahn angetreten. Heißt hier: Rund 10 Stunden Fahrzeit. Verpasste Anschlusszüge, Umplanungen und Verzögerungen offenbaren auch gewisse „Mühen des Alltags“ beim klimafreundlichen Reisen (freilich: Man kann auch mit dem Auto im Stau stehen). Das Bahnticket weist dafür 151,8 kg eingesparte CO2-Emissionen zwischen Graz und Ilanz aus, dem Schweizer Zielbahnhof nahe dem auf 1100 m hoch gelegenen Laax. Wieder die Frage: Was heißt das eigentlich? Laut CO2-Rechner des „Forums Umweltbildung“ (www.co2-rechner.at) emittiere ich mit meinem Lebensstil 5,6 Tonnen CO2 jährlich (beim Durchschnittsösterreicher sind es 12,8 t). Was Zahlen und Maßstäbe beim Thema Klimaschutz betrifft, fehlt mir wie vielen Menschen noch der Bezug. 

In Flims Laax Falera ist „Greenstyle“ überall zu spüren. „Greenstyle“? Ist die Bezeichnung des Nachhaltigkeitsprogramms der „Weiße Arena Gruppe“. Die Abholung vom Bahnhof erfolgt wie am Katschberg per Elektroshuttle. Das Riders Hotel, das auch zur WAG gehört, ist mit Second-Hand-Möbeln eingerichtet und ganz auf Energieeffizienz ausgerichtet. Müllkameras helfen, Abfall zu minimieren, erzählt Hotel Manager Roger Heid. „Zero Waste“ ist eines der Nachhaltigkeits-Ziele der Weiße Arena Gruppe. Frühstück und Abendessen sind im Riders Hotel immer vegetarisch – und auch für Nichtvegetarier ein Genuss.

Mit E-Mountainbikes fahren wir auf einem Trail ab, der CO2-neutral mit Elektrobaggern und -maschinen errichtet wurde. „Es ist gar nicht leicht gewesen, die Maschinen aufzutreiben“, erzählt Sacha Robert vom Trailerrichter „Velosolutions“, „hat aber dann bestens funktioniert.“ Möglich war es aufgrund der Stromanschlüsse durch die Beschneiungsanlagen. Mitten in Laax befindet sich auch ein Pumptrack: Zum Ausgleich für die dafür asphaltierte Fläche sind die Grünräume dazwischen als Wildbienenparadies gestaltet, 2000 Stauden wurden dafür gepflanzt. Viele weitere Beispiele ließen sich nennen. 

So wichtig jede einzelne Maßnahme ist, so sehr zählt auch das „große Ganze“. „Laax möchte die erste selbstversorgende Alpenregion werden,“ so die Vision, die der Greenstyle-Verantwortliche Reto Fry seit Jahren verfolgt. Das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 ist eng mit 100 Prozent in der Region produzierter, erneuerbarer Energie verknüpft. Auch Bergbahnen ließen sich mit dieser Energie CO2-neutral betreiben. Beim Skifahren sieht Fry die größte Herausforderung der Dekarbonisierung in der Pistenpräparierung. Die Zukunft liege wohl bei wasserstoffgetriebenen Geräten.

Fry hat den Energiebedarf der Region berechnet und beziffert ihn mit 290 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr. 70 Gigawattstunden stammen derzeit aus erneuerbaren Quellen. Das Potenzial für 100 Prozent erneuerbare, regional produzierte Energie wäre jedoch schon vorhanden: 160 GWh ließen sich aus Solarenergie gewinnen (Anlagen auf allen Hausdächern), 10 GWh aus einem Windpark, 90 GWh aus Wasserkraft (unter Rücksichtnahme auf die Flüsse als Lebensraum), 30 GWh aus Biomasse. Ergibt die benötigten 290 GWh. Würde man aber zugleich alle Einsparungspotenziale nutzen, würde der Bedarf der Region sogar auf 180 GWh sinken. „Wir wollen den Leuten auch zeigen, dass es möglich ist“, sieht Fry solche Rechenbeispiele als motivierende Bewusstseinsbildung. 
 

Den Menschen eine Vorstellung geben, dass Anstrengungen etwas bewirken, soll auch der „Last Day Pass“. Der nahe Vorab-Gletscher wird bei Fortschreiten der Entwicklung – laut Berechnung – am 5. April 2056 verschwunden sein. Mit dem Kauf eines „Last Day Passes“, eines „Lifttickets für den Tag, der hoffentlich nie kommen wird“ um 80 Franken (etwa 74 Euro), wird eine Tonne CO2 über Kompensationsprojekte eingespart. Was dem Gletscher zehn zusätzliche Minuten schenkt. Mitverfolgen kann man den traurigen „Countdown“ auf thelastdaypass.com.

2023 wird die derzeit noch energiefressende Bergstation mit Restaurants und Unterkünften am „Crap Sogn Gion“ durch ein Passivgebäude aus Holz ersetzt, das ohne Heizung auskommt und Energie nicht mehr verbrauchen, sondern produzieren soll. Ein paar Berge weiter ist eine Gondelbahn geplant, die nur noch mit Passagieren ausfahren wird und so übers Jahr 50 Prozent energiesparender laufen soll. Fry erzählt aber auch von einem laufenden Versuch, Bäume über der derzeitigen Waldgrenze zu pflanzen. Die Heimfahrt aus der Schweiz führt durch die soeben vom Hochwasser getroffenen Gebiete Tirols, Süddeutschlands und Salzburgs. Weiter im Norden Deutschlands ist die Lage in diesen Tagen noch viel schlimmer. Auch das zeigt: Es ist Zeit für den Umbruch. Dass ein solcher im Urlaub nichts mit Verzicht zu tun hat, sondern im Gegenteil ein Gewinn für alle Seiten sein kann, haben die Tage am Katschberg wie in Flims Laax Falera gezeigt. Es kommt nur noch aufs Tun an.