Trailrunning boomt immer noch. Was aber macht die große Faszination aus? Erliegt man ihr auch als eingefleischter Straßenläufer? Rückblick auf ein Jahr Selbstversuch abseits der Straßen.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

So martialisch schaut er gar nicht aus. „Ich fresse die Landschaft fast“, sagt Markus Stock. „Ich sauge die Gegend auf, die Natur.“ In diesen wenigen Worten erklärt er die Faszination Trailrunning. Und der 50-Jährige weiß, wovon er spricht. Bei allen fünf Auflagen des Großglockner Ultra-Trail ist er gelaufen, hat zweimal auf der 50-km-Strecke gewonnen. Straßenlaufen – das ist ihm zu fad. Im Gelände rennt er 50, 60, 75 Kilometer, auf der Straße hat er nicht einen Marathon absolviert. „Zu monoton. Immer auf die Uhr schauen, Kilometer, wieder ein Kilometer, wieder einer.“ Die Aussagen des Dynafit-Athleten unterstreichen den Trend zum Trail, der seit Jahren anhält. Immer mehr grobstollige Schuhe werden verkauft – selbst in der Wiener Innenstadt, in der Wurzel, Stein und Almbodenanteil bekanntlich mehr als überschaubar sind? Zeit also, sich dem Laufen im Gelände einmal ausführlich zu widmen. Über eine ganze Saison lang. Im einfacheren Gelände und in schwierigerem, bei Wettbewerben und Workshops, in Österreich und im Ausland.

Erste Station: Lindkogeltrail in Bad Vöslau
Ende März, das Flachland vor Wien klingt auf alle Fälle einmal schaffbar, zumal man dort 10, 20 oder 30 Kilometer laufen kann. Ich entscheide mich für die 20 Kilometer mit knapp 1000 Höhenmetern. Das erscheint machbar, auch wenn es so früh im Jahr doch schon sehr warm ist. Auf den ersten Metern durch den Park und im welligen Auf und Ab am Waldesrand geht der Blick noch oft auf die Uhr, im ersten echten Anstieg ist dann Schluss damit. Dafür genießt man die Luft, erfreut sich am Wegerl, das sich durch den Wald schlängelt. Dann der harte Anstieg auf den höchsten Punkt und die Erkenntnis: Laufen heißt hier auch gehen. Hände auf den Oberschenkeln. Meter für Meter. Eine Frau will sich auf’s Bankerl setzen. Sofort muntern sie andere Läufer auf, ich spendier ihr ein Gel, weiter geht’s. Trailrunning ist auch ein Gemeinschaftserlebnis, kein stures Schneller-Sein-Wollen als der andere. Es ist auch abwechslungsreich. „Nicht jeder Schritt ist gleich, das macht es auch weniger anstrengend“, hat Markus Stock gesagt. Unterschreibe ich – teilweise. Weil anstrengend ist es halt doch, wenn es kilometerlang über Stufen, Wurzeln und Steine bergab geht. Abwechslungsreich ist es allemal, weil auch die Navigation dazukommt, du schauen musst, ob der Weg eh noch stimmt.

Zweite Station: Trailrunning-Camp
Was ich auf dem ersten Einsatz schmerzhaft erfahren habe: Bergab laufen will gelernt sein. Daher passt das SPORT­aktiv-Camp im Krallerhof in Saalfelden auch perfekt. Die erfahrenen Athleten Markus Kröll und Sabine Kozak sorgen nicht nur für Spaß, sondern geben wertvolle Techniktipps und erklären, wie man sie umsetzt. „Bergab sollte ihr nicht auf der Ferse landen, sondern mit dem Vor- oder Mittelfuß“, sagt Kröll. Denn dadurch hat man mehr Stabilität im Sprunggelenk und Reserven, wenn man wegzurutschen droht. „Dann kann man sich immer noch zurücklehnen auf die Ferse“, erklärt Kröll. Wer schon auf der Ferse landet und sich zum Bremsen zurücklehnt, landet am Hintern. Außerdem ist der andere Stil gelenksschonender, weil man mehr natürliche Dämpfung hat. Skeptisch. Springt hoch und landet einmal auf der Ferse und das andere Mal auf den Zehen. Dann ist alles klar. Übrigens: Bei der Vor-/Mittelfußlandung rutscht man auf losem Untergrund in den Schritt hinein. Das ist gewöhnungsbedürftig, danach aber lustig. Wer wissen will, wie sich die optimale Landung anfühlt, läuft bergab 10, 20 Meter rückwärts. „In diesem Stil sollte man auch vorwärts laufen“, erklärt Sabine Kozak. Bergauf besser kleinere Schritte machen und zwischendurch abwechselnd die Beine schnell anfersen. „Damit verbessert sich der Kniehub und der Laufstil wird runder und ökonomischer“, sagt Kozak.

Dritte Station: Großglockner
Doppelt hält besser. Darum nähere ich mich Österreichs höchstem Berg auch zweimal: beim Glockner-Berglauf  geht es Anfang Juli vom malerischen Heiligenblut bis auf die Franz-Josefs-­Höhe. 13,3 Kilometer und 1400 Höhenmeter. Beim Großglockner Ultra Trail wähle ich den 30-km-Bewerb vom Weissee via Kapruner Törl zu den Hochgebirgsstauseen und runter ins Ortszentrum von Kaprun. Der Berglauf ist teilweise sehr steil, belohnt aber mit dem Blick, wenn man nach einer langen Serpentinenpassage über die Geländekante kommt und die Pasterze und den Gipfel sieht. Die Höhe ist nicht zu unterschätzen. Auf über 2400 Metern wird die Luft eben sehr dünn. Vom Ultra-Trail zwei Wochen später bleibt das unglaubliche Bergpanorama in bleibender Erinnerung. Das Geröllfeld, das dich glauben lässt auf dem Mond zu sein und das Knacken und Donnern, wenn ein Stück Gletscher abbricht. Trailrunning, das wird mir am Kapruner Törl mit Blick auf die mächtigen Stauseen bewusst, ist so viel mehr als Laufen, als Jagd nach der Bestzeit oder Runners High. Es ist Abenteuer und Naturgenuss. Dass sich das mit dem Lieblingssport vereinbaren lässt – umso besser. Unvergessen aber auch das Brennen in den Oberschenkeln beim Bergablaufen. 2000 negative Höhenmeter – dafür fehlte mir trotz Camp einfach die Vorbereitung. Bergablaufen muss man unbedingt trainieren, da gibt es keine Abkürzung, das lässt sich einfach nicht simulieren. Die letzten vier Kilometer laufe ich gemeinsam mit Franz aus der Steiermark und Manfred aus dem Ruhrgebiet. Wir sind alle vier erledigt, wollen es aber unter sechs Stunden schaffen. Wir motivieren uns, helfen einander gegenseitig. Franz spendiert Salz, ich Wasser, Manfred Apfelsaft. Gemeinsam laufen wir nach 5:57 Stunden über die Ziellinie.

Vierte Station: Garmisch-Partenkirchen
Mehr Glück war nie. Trailrunning ist ein Tourismusthema geworden. Daher veranstaltet der Ort am Fuße der Zugspitze ein eigenes 360- Grad-Trail-Event. Canyoning, Mountainbiken, Navigieren und natürlich auch Laufen. Es gibt Workshops und Vorträge, vor allem aber: regen Austausch untereinander. Was spürbar wird: Allenthalben wächst eine Sehnsucht nach einem Zurück zur Natur. Zum Morgenlauf vor Sonnenaufgang muss ich mich zwingen, nach einer Stunde in östlicher Richtung der Loisach entlang mache ich kehrt. Vor mir geht die Sonne über der Zugspitze auf. Zeit wird unwichtig, der Rückweg purer Genuss.

Fünfte Station: Bassano del Grappa
Italien ist eines jener Länder, in denen die Trailruns schon lange großen Zulauf haben. Beim CMP-Trail über 18 Kilometer wuselt es nur so vor Läufern. Auf der Strecke bist du nie allein. Durch Weinberge, vorbei an Wasserfällen, mit Blick über sanfte Hügeln und mittelalterliche Dörfer – ein Genusslauf, der auch harte Anstiege und knackige Downhills bietet. Vor allem aber eine Erkenntnis: Die Italiener sind grandiose Bergabläufer, aber ganz schwache Bergaufläufer. Am Ende völlig egal. Es ist Ende September und ich denke wieder an die Worte von Markus Stock. „Es ist eine Sucht, in der Natur zu laufen.“ Recht hat er.