Minus 22 Grad zeigt die Wetter-App, und trotzdem kann ich es an diesem Morgen Ende Jänner kaum erwarten, nach draußen zu kommen: Für drei Tage werde ich zum „Musher-Lehrling“, zum Hundeschlitten­führer in Ausbildung.

von Christoph Lamprecht

Jedes Jahr treffen sich im Tiroler Pillerseetal, in den Kitzbüheler Alpen, Anhänger des Schlittenhundesports zum Erfahrungsaustausch, Training und natürlich wegen der in Mitteleuropa einzigartigen Rennen. Rund 150 internationale Starter und 1400 Hunde sorgen am Rennwochenende für geschäftiges Treiben im beschaulichen St. Ulrich, das in Nachbarschaft zu Top-Wintersportdestinationen wie Hochfilzen und Fieberbrunn liegt. Hier dürfen wir, eine Handvoll Neulinge, den Schlittenhundesport ausprobieren. Beim morgendlichen Musher-Meeting begrüßt uns Camp-Organisator Eddy Nutz. Der gebürtige Däne wohnt seit 14 Jahren in St. Ulrich und veranstaltet die jährlichen Treffen gar seit 1996. Wieso es ihm diese Region besonders angetan hat? „In unseren Breiten gibt es nirgendwo bessere Bedingungen. Die Infrastruktur ist einfach genial. Das hast du sonst nirgends!“ Gleich darauf lernen wir Isabel aus dem hessischen Eschwege kennen, die uns „Nachwuchs-Mushern“ ihr Handwerk in den kommenden beiden Tagen näherbringen wird. Mit ihrem Ehemann Jörg geht es zum angrenzenden Campingplatz, wo (nicht nur) Isabels Huskys ungeduldig auf Action warten.

KNUTSCHKUGELN IM WOLFSPELZ
Dann ist es so weit: Erstkontakt! Wobei es schwer zu sagen ist, ob die Freude bei Mensch oder Tier größer ist. Sofort wird um Streicheleinheiten gebettelt und diese werden wiederum von beiden Seiten sichtlich genossen. Ganz besonders hat es mir der schwarz-dunkelgraue Rüde Jack angetan, der mit seinen hypnotischen blauen Augen wie ein animierter Wolf aus „Game of Thrones“ wirkt. Schnell wird klar, dass Zurückhaltung keine Tugend von Schlittenhunden ist, denn auch Jacks Teamkollegen fordern lautstark Zärtlichkeiten ein. Ich kann es kaum glauben, wie menschenvernarrt und zugänglich die Tiere sind. „Das sagen alle“, erwidert Isabel auf meine diesbezügliche Bemerkung. Und sie erklärt: „Huskys wurden seit jeher nicht nur als Schlittenhunde eingesetzt, sondern auch als kuschelige Wärmespender für Kleinkinder. Aggressive Tiere wurden aussortiert, weshalb die Hunde heute in der Regel Menschen gegenüber sehr aufgeschlossen sind.“ Trotz der bitterkalten Nacht ist es mittags angenehm warm. Strahlender Sonnenschein und ein fast kitschig blauer Himmel sorgen im Kontrast zum Schnee, der in diesem Teil der Alpen in Hülle und Fülle vorhanden ist, für zusätzlichen Tatendrang. Viel erfahren wir – über die Schlitten, deren Kufen stark an Langlaufski erinnern; die speziellen Zuggeschirre, wegen ihrer Form X-Back genannt. Und natürlich über die Hunderassen, die in dieser besonderen Form des Rennsports eingesetzt werden. Neben den etwas kleineren sibirischen Huskys sind im Camp auch American Aikitas und Malamutes vertreten, die ihren Ursprung in Alaska haben. Seltener sind die sogenannten Grönlandhunde, die vom Wesen als stur gelten und deshalb nicht immer leicht zu handlen sind. Dass es auch europäische Schlittenhunde gibt, ist auch für mich neu: Die Scandinavian Hounds erinnern an Windhunde, sind aber deutlich muskulöser. Ihre Spezialität sind (verhältnismäßig) kurze Distanzen, auf denen sie den Huskys aufgrund ihrer Anatomie überlegen sind.

TAG DER WAHRHEIT
Am Morgen des zweiten Tages wird es ernst: Isabel erklärt uns nochmals die Kommandos, wie man den Schlitten lenkt und wie man ihn zum Stehen bringt. Während bis zu 14 Hunden für ordentliches Tempo auf den eigens präparierten Trails sorgen, beruhigt Isabel: „Damit ihr ein Gefühl für den Schlitten bekommt, werdet ihr zuerst einmal vom Schneemobil gezogen. Dann starten wir zur Gewöhnung mit zwei Hunden.“ Auf den ersten 100 Metern gebe ich mir gleich eine Blöße. Obwohl das Schneemobil langsam und gleichmäßig über den Schnee gleitet, lehne ich mich zu sehr in die Kurve und muss absteigen. Zu Schaden kommt aber bloß mein Ego. Im Wissen, dass man mit dem Hundeschlitten doch nicht ganz so wendig wie auf Skiern ist, wechsle ich zum motorlosen Antrieb, namentlich Amitola und Tuuluuvaq. Los geht’s im moderaten Tempo – nicht zuletzt, weil Amitola während des Laufens immer kontrolliert, ob der Typ, bei dem es sich definitiv nicht um Isabel oder Jörg handelt, noch am Schlitten steht. Schnell wird mir klar: Die Hunde wissen besser als ich, was sie zu tun haben. Meine Aufgabe: sie einfach laufen zu lassen. Deutlich zackiger gestaltet sich das Unterfangen nach dem Upgrade auf 3 Hundestärken, Rüde Loki sorgt für zusätzlichen Dampf. Endorphine schießen durch meine Blutbahnen und ich fühle mich selbst schon wie ein harter Hund, obwohl sich die Übungsstrecke flach wie der zugefrorene Pillersee präsentiert.

Als „Nachwuchs-Musher“ Inge an der Reihe ist, zeigt sich wiederum, dass Draufgängertum keine Frage des Alters ist. Die fitte 71-Jährige treibt die Zughunde zu Höchstleistungen an, bis sich diese entscheiden, eine abrupte Abkürzung zu nehmen. Kurze Schrecksekunde, Inge stürzt vom Schlitten, nur um im nächsten Moment voller Schnee und mit breitem Grinsen aufzuspringen. Dass es natürlich noch deutlich schneller geht, zeigen die wettkampforientierten Teams, die mit bis zu 40 km/h für die bevorstehenden Rennen trainieren. Im Gespräch mit Isabel wird abschließend klar: Mehr noch als bei den meisten anderen Sportarten ist das Hundeschlittenfahren eine Lebenseinstellung, die wahre Leidenschaft, aber auch Opferbereitschaft verlangt. Denn ihre Huskys sind eben nicht bloßes Sportgerät, sondern geliebte wie liebende Lebensbegleiter, die 365 Tage im Jahr versorgt werden müssen. Der Abschied kommt nach den zwei Tagen viel zu schnell – leicht wehmütig bedanke ich mich nochmals für die Einblicke und hoffe auf ein Wiedersehen 2018. Tiefe Minusgrade hin oder her.

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