Alles andere als gewöhnlich ist Regina Poberschnigg. Als eine der ersten Frauen bei der Tiroler Bergrettung hat sie Geschichte geschrieben und könnte Bücher schreiben – über blöde Sprüche, starke Emotionen und ihre große Klappe.

Klaus Molidor
Klaus Molidor


Schuld ist eigentlich der Herr Pfarrer. Denn dass Mädchen in die Berge gehen, das war Ende der 1970er-Jahre nichts Gewöhnliches. Der Herr Pfarrer aber, der hat die Jungschargruppe oft mit in die Berge genommen und in Regina Poberschnigg die Leidenschaft zu den Bergen entfacht. „Ich bin eine Genussgeherin, die extremen Sachen, die sind nichts für mich“, sagt die heute 57-Jährige und lacht, dass die Sonne aufgeht. Dabei war die Regina schon immer alles außer gewöhnlich und in manchen Dingen vielleicht sogar extrem.

„Du musst einen Vogel haben“ - Regina Poberschnigg ist Bergretterin aus Leidenschaft

Über den Alpenverein macht sie die Jugendführer-Ausbildung und in der Bergschule, die sie mit ihrem Partner Peter Larcher leitet, macht sie viele Zugspitz-Touren. Dabei kommt sie zu vielen Unfällen. Und weil man Hilfe Mitte der 1990er-Jahre nicht per Handy holen konnte, hat bald einmal wer zu ihr gesagt: „Nimm doch ein Funkgerät der Bergrettung mit“, erinnert sie sich. Die Bergretter, damals eine echte Männerbastion, hat darauf gar nicht gut reagiert. „Mia brauchn do koane Weiber, hat’s geheißen“, erinnert sich Poberschnigg zurück. Denn Frauen waren damals vom Gesetz her bei der Bergrettung gar nicht zugelassen. Nach einer beinahe missglückten Rettungsaktion mit einem Herzinfarkt äußert sie sich kritisch, die Tiroler Tageszeitung bringt einen großen Bericht. Von dort weg gibt es kein Zurück mehr für Poberschnigg. Es kommt zu einer Abstimmung. Poberschnigg geht hin, der ORF Tirol dreht einen Bericht darüber.

„Vier-, fünfhundert Männer und ich. Die Frauen können das nicht, hat’s geheißen“, erzählt sie. Trotzdem stimmen 60 % für die Gesetzesänderung. Zu wenig, es Bedarf einer Zweidrittelmehrheit. Im Interview sagt Poberschnigg. „Es gibt bei der Bergrettung genauso viele Flaschen wie gute Leut.“ Damit ist klar, dass sie das durchziehen muss. „Ich hab eine große Klappe und nach dem Satz gewusst, ich muss das durchziehen.“ Im Jahr 2000 ist es dann so weit, die Männerbastion fällt und Poberschnigg lässt sich zur Bergretterin ausbilden. Was heute wie aus der Zeit gefallen und mittelalterlich anmutet, ist doch erst knappe 20 Jahre her. „Zu der Zeit gab es auch die Diskussionen um die erste Frau im Orchester der Wiener Philharmoniker“, erinnert sich Regina Poberschnigg. Sie lässt sich auch zur Notfallssanitäterin ausbilden, fliegt lange Jahre mit dem Rettungshubschrauber in die Berge und wird 2017 zur Ortsstellenleiterin gewählt. 

Blöde Sprüche hat sie aber auch viele gehört. „Ein Hüttenwirt hat mich einmal mit den Worten begrüßt: „Ah du bist die, die den Scheiß angezettelt hat, du kriegst nix zum Essen und Trinken bei mir.“ Heute lacht sie darüber.

Weniger zum Lachen war der vergangene Corona-Sommer. „Die Zahl der Einsätze ist schon über die letzten Jahre gestiegen, aber der Sommer 2020 war brutal.“ Waren es sonst um die 80 Einsätze, gab es im kurzen, aber intensiven Bergsommer des letzten Jahres in nur knapp drei Monaten circa 100 Einsätze. „E-Biker, die es überschlagen hat, weil sie beim Runterfahren den Motor nicht ausgeschalten haben, Wanderer und Kletterer, die zwar tipptopp ausgerüstet sind, sich aber heillos überschätzen oder nicht gscheit vorbereiten. Eltern, die mit kleinen Kindern in der Rückentrage einen Klettersteig gehen.“ Da vergeht sogar der freundlichen, lustigen Regina das Lachen. „Da werd ich richtig zornig, wie kann man so verantwortungslos sein.“

Du musst einen schneidigen Vogel haben.

Regina Poberschnigg

Corona hat aber nicht nur mehr Leute in die Berge getrieben, es hat auch die Einsätze stark erschwert. „Immer mit Maske, dann sollst die Leute bei der Reanimation nicht mehr von Mund zu Mund beatmen. Das isch brutal.“ Aber Regina hält sich an die Regeln. „Nur bei Kindern pfeif ich drauf.“ Der Mensch, das Lebenretten, das hat bei ihr Vorrang.

Viele Leute melden sich noch Jahre, nachdem ihnen geholfen wurde, bei den Bergrettern, schicken Geschenke oder Nachrichten, vor allem an Jahrestagen. Regina Poberschnigg hat so viel erlebt in den Bergen. „Bücher könnt ich drüber schreiben.“ Ein paar Einsätze haben sich besonders eingebrannt im Gedächtnis „Vor ein paar Jahren haben wir vier Tage nach einem jungen Mann gesucht, wollten schon abbrechen. Die Eltern haben uns angefleht weiterzumachen. Schließlich haben wir ihn gefunden, bevor es zu schneien begonnen hat. Er ist abgestürzt und gestorben. Die Eltern wollten ihn trotzdem sehen. Dann hockst ein paar Meter entfernt – das ist schon hart.“ Im Jahr drauf hat Regina Poberschnigg mit den Eltern dann noch eine Gedenktafel aufgestellt. 

Die Zahl der Einsätze ist schon über die letzten Jahre gestiegen, aber der Sommer 2020 war brutal.

Regina Poberschnigg

Oder der Zugspitzlauf 2008. „Da hab ich schon den ganzen Tag ein schlechtes Gefühl gehabt. Als es zu schneien begonnen hat, hab ich gewusst, das endet im Chaos. Dann stirbt uns ein Mann und du kriegst gleich darauf die Nachricht, dass ein zweiter auch tot ist. Nach dem Einsatz bin ich im Büro gehockt und hab einmal Rotz und Wasser geplärrt.“ Früher unter den nach außen hin harten Männern undenkbar. „Die Jungen sehen das heute ganz anders. Wir reden oft nach so harten Tagen und wenn ich oder die anderen Mädels Emotionen zeigen, können sich auch die Männer öffnen und Gefühle zeigen. Dann trink ma a Schnapserl oder zwoa und dann geht’s wieder.“

Und warum tut man sich so ein herausfordernden Ehrenamt bei Tag und Nacht, bei Wind und Wetter überhaupt an? „Du musst schon an schneidigen Vogel haben“, sagt Regina und lacht einmal mehr herzlich. „Aber du bekommst so viel zurück, lernst enorm viel, kennst dich super in den Bergen aus und genießt ein Ansehen.“ Wenn sie nicht in der Bergschule arbeitet oder Appartements vermietet, reist Regina gern in ferne Länder. Peru, Nepal – immer in die Berge. Am Kilimandscharo war sie zehn Mal. „Aber so zwei, drei Tage in Sansibar am Strand, in der Hängematte. Das hat auch was.“