Warum Sport für ein vitales, gesundes, glückliches Leben essenziell ist  – und weshalb wir immer nur „heute“ etwas für uns tun können: Unser Gast-Chefredakteur Felix Gottwald anlässlich „25 Jahre SPORTaktiv“ im Interview.

von Alfred Brunner und Christof Domenig

Du hast im SPORT­aktiv-Gründungsjahr 2000 deinen ersten Weltcupsieg gefeiert – welche Erinnerung hast du daran?
Es hat sich schon ein wenig abgezeichnet. Im Sommer 2000 bin ich zum ersten Mal gut skigesprungen – in dem Sinn, dass der gute Sprung nicht die Ausnahme, sondern die Regel war. Mir ist klassisch der Knopf aufgegangen. Gleichzeitig war es eine Art Wiedergeburt der Nordischen Kombination: Ich erinnere mich an Streitgespräche mit den Verantwortlichen, warum sie uns nicht im Fernsehen zeigen. Immer sind wir vertröstet worden: Wenn ihr gut seid, zeigen wir euch. Ich habe gesagt: Jetzt sind wir gut und ihr zeigt uns immer noch nicht. In Predazzo ist der Weltcup dann erstmals übertragen worden. Es hat alles eine spannende Dynamik angenommen – und ich bin mir zum ersten Mal nicht mehr selber im Weg gestanden, habe keine Angst mehr vorm Gewinnen gehabt.

Du warst damals 24 ...
Ich habe spät, erst mit 13 Jahren, mit dem Springen angefangen – es kommt dann auch ungefähr hin, dass du rund zehn Jahre etwas mit Begeisterung üben darfst, damit du sagen kannst, ich bin in dem Bereich jetzt gut. Nach dem ersten Weltcupsieg hat es noch einmal sechs Jahre gebraucht, bis ich Olympiasieger werden durfte. Für diese Wegstrecke nimmt sich heute der Mensch tendenziell keine Zeit mehr. Uns fliegt ein Heute nach dem anderen um die Ohren und wir waren wieder nicht dabei. Der Sport spricht jedes Mal eine Einladung aus, dass wir „dabei“ sind: Bewegung und Sport zwingen uns förmlich in die Präsenz – unabhängig davon, ob auf dem Rad oder laufend oder in den Bergen. Wenn wir nicht dabei sind, liegen wir auf der Nase. Ab 2000 war ich ganz gut dabei – im Sinne von präsent auf und abseits der Loipen und Schanzen. Ich bin gesprungen und gelaufen und nicht gesprungen und gelaufen worden.

Wie stark hat sich deinem Gefühl nach unser Zielpublikum Freizeit­sportler in den 25 Jahren gewandelt?
Das Bewusstsein für Bewegung ist jedenfalls gewachsen: Früher warst du der Freak, wenn du Rad fahren gegangen bist – jetzt ist es normal. Gleichzeitig braucht es heute, glaube ich, auch mehr Ausgleich. Es ist  zwingend notwendig, dass du ein Ventil findest – etwas, wo du keine Hand fürs Handy frei hast. Mit beiden Händen am Lenker hast du keine fürs Handy frei. Für ein vitales, gesundes, glückliches Leben kommst du an Bewegung und Sport nicht vorbei. Wie Zähneputzen – da diskutierst du auch nicht. Unsere Zähne sind relativ wenige Quadratzentimeter und der restliche Körper sind relativ viele – warum diskutieren wir dann bei den wenigen nicht, bei den 99,7 Prozent aber schon?

Täglich rausgehen – wie Zähneputzen. Ist das heute auch selbst für dich dein Zugang, den du lebst?
Es kommen heute noch andere Facetten dazu. Beweglich bleiben – im fortschreitenden Alter, das macht auch keiner für dich. Der Physio zeigt dir Übungen, aber tun darfst du es selber. Und Krafttraining. Es braucht jetzt mindestens zweimal in der Woche ein Krafttraining, damit es mir gut geht. Du kannst drei Stunden Rad fahren und fühlst dich nicht so gut, wie wenn du eine Stunde Kraft trainiert hast. Für die Haltung, die richtige Dosis an Spannung.

Ziele sind meistens weit weg. Meine Zielsetzung ist ganz nah: dass ich heute einen Betrag leiste, mich wohlzufühlen.

Felix Gottwald

Welche sportlichen Ziele treiben dich heute an?
Ziele sind meistens weit weg. Meine Zielsetzung ist ganz nah: Dass es mir heute gut geht. Dass ich mich heute wohlfühle in meiner Haut. Dass ich heute einen Beitrag leiste, damit ich mit meinen Kindern später auf den Dachstein gehen kann. Das kann ich nur heute tun. Meine kleine Tochter Teresa nehme ich immer wieder an der Hüfte und hebe sie 20-mal hoch – ähnlich dem Bankdrücken. „Theoretisch müsste es sich ausgehen, dass ich immer meine 20 Wiederholungen mit dir schaffe, wenn ich dadurch immer stärker werde“, habe ich eben zu ihr gesagt. Die Zielsetzung ist: mich heute wohlfühlen, heute einen Beitrag leisten, dass ich Vitalität spüre, Energie habe für das, was mir wichtig ist. Dafür möchte ich das Heute nützen, um zu üben.

Was würdest du einem Hobbysportler raten, der seine Ziele nicht erreicht? Woran scheitert es oft?
Es scheitert an einem zu kleinen „Warum“. Warum möchte ich mir heute die Zeit nehmen, dass ich mich bewege? An der Basis sind es oft Sätze, die eigentlich aussagen: Ich bin es mir nicht wert. Aber wenn du es dir selber nicht wert bist – dann tu es für deine Kinder, deinen Partner, deine Angehörigen. Dass du ein besserer Partner bist, bessere Mama, bessere Oma/Opa. Wenn das Warum groß genug ist, gibt es keine Diskussion. Du kannst dir mit Events helfen, die du dir als Ziel setzt, dir einen Spaß mit Freunden ausmachen – alles fein. Aber entscheidend ist immer der Weg dorthin. Das ist bei Olympischen Spielen nicht anders. Der Wettkampf dort ist die Krönung, der ­Abschluss – entscheidend bleibt die Qualität des Weges.

Du bezeichnest dich als Mentor und Coach für Veränderung und Vitalität. Wie veränderungsbereit und fit bist du heute selbst, rund ein halbes Jahr vor deinem runden „50er“?
Ich bin fit, klopfe auf Holz. 2015 hatte ich einen Bandscheibenvorfall. Heute geht es mir mit dem Rücken extrem gut. Aber ich tue auch was dafür. Meine Achillesferse, Haglund Exostose, wie die Mediziner sagen – es geht ihr richtig gut. Aber: ich tue auch etwas dafür! Ich versuche mein Leben so zu gestalten, dass ich nichts mehr mache, nur damit es vorübergeht. Das bringt sowohl Qualität als auch Abwechslung in mein Heute. Ich brauche so nicht jedem Trend hinterherspringen und nirgendwo hinfahren, nur damit ich dort bin. Zum Thema Veränderung: Diese bleibt für uns alle ein menschliches Bedürfnis. Als Ausdauerathlet kann ich lange die gleiche Runde laufen und dabei immer Neues entdecken. Gleichzeitig liebe ich auch neue Aufgaben und Herausforderungen.

Was ist jetzt das Neue?
Ich habe mich nach 15 Jahren Pause wieder hingesetzt und das Leben eines Buchautors angenommen. Ich stehe um 4:30 Uhr auf und schreibe. Um inspiriert zu sein, braucht es viel – gut schlafen, gut ernähren, ausreichend bewegen. Das Buch wird im Herbst 2025 erscheinen.

Im letzten Herbst habe ich 42 Tage lang Tagebuch geführt, unmittelbar vor dem Schlafengehen, und jeweils drei Erkenntnisse des Tages notiert. 42 Tage, sechs Wochen, ist der Zeitraum, der einen Unterschied macht, wo eine Verhaltens­änderung nachhaltig gelingen kann. Aus jedem Tag habe ich mich dreier Themen angenommen, die dieser Tag hervorgebracht hat. In diese Themen tauche ich ein und schreibe. Es bleibt spannend.

Du schwörst auf analoge Begegnung. Das Handy hast du schon angesprochen – aber wie siehst du, auch als Papa von zwei Mädchen, die Rolle der digitalen Medien, die das Tempo nochmals beschleunigt haben?
Ich mache mir oft Gedanken: Ist das Tempo tatsächlich beschleunigt worden? Der Tag hat immer noch 24 Stunden, die Frage ist: Wie nutzen wir diese? Unsere Große hat jetzt, in der ersten Klasse Mittelschule, ein Handy bekommen – damit sie in der Peer Group dabei ist. In der Schule haben sie ein iPad gekriegt – da sind wir schon wieder nicht am Puls der Zeit: Die Länder, die es zuerst eingeführt haben, schaffen es jetzt schon wieder ab. Aber was interessant ist: Sie haben ein Referat machen müssen mit PowerPoint – das nie erklärt bekommen – und in Windeseile eine Präsentation gebastelt, wie ich das noch nie zusammengebracht habe.

Dennoch: Unsere Kinder einzuladen in analoge Ereignisse, ihnen die Auswahl zu lassen – das ist entscheidend. Das analoge Ereignis ist immer besser als jedes Handyspiel. Sie gehen einmal am Tag raus, das ist ganz normal. Sie spüren sich viel besser – und wenn die Hormone einschießen, brauchen sie es umso mehr. Und: Vorbild durch Vorleben. Wenn sie sehen, wie ich rausgehe und wie verwandelt ich zurückkomme. Wenn ich mich nicht wohlfühle, gehe ich zwei Stunden Rad fahren, komme zurück und denke mir: Wie geil ist die Welt.

Von den Kindern zu den Älteren – seit November 2020 betreibst du zusammen mit Trond Nystad sowie dem Physiotherapeuten deines Vertrauens, Roland ­Radacher, in Zell am See ein Bewegungsstudio für ältere Menschen. Was sind hier eure Erkenntnisse?
Wir haben mitten im zweiten Lockdown aufgesperrt – was möglich war, weil wir durch unseren Physiotherapeuten als Mitgesellschafter Gesundheitsdienstleister waren. Und wir haben ganz normal Leben gerettet. Weil sie an Vereinsamung gestorben wären oder am Bewegungsmangel. Wenn ein 80-Jähriger mit Rollator und Beatmungsgerät im November kommt – und im Frühjahr wieder Golf spielen geht: Dann weißt du, welche Bedeutung Bewegung hat.

Wir haben so viele Menschen erreicht, die nie mit Sport etwas am Hut hatten. Du kannst keine Fehler machen, die Geräte bewegen den Körper auch rein passiv durch. Die Errungenschaft ist die Bewegungs-,  aber auch die Begegnungskomponente. Viele Menschen werden von einem normalen Fitnessstudio nicht abgeholt. Oft gehört: „Ich war noch nie in einem Fitnessstudio und gehe auch nicht hin. Aber zu euch komme ich gern – weil es so niederschwellig ist.“

Beschleunigtes Tempo? Der Tag hat immer noch 24 Stunden. Die Frage ist: „Wie nutzen wir diese?“

Felix Gottwald

Du hast uns interessante Interview­partner für diese Ausgabe vorgeschlagen – wie Trond Nystad, Thomas Rohregger oder David Kreiner. Was zeichnet sie aus? 
Trond hat erst ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut, danach als Trainer große Erfolge gefeiert – und sich dann ganz bewusst für die Familie und gegen das Trainerdasein entschieden. Er hat ein unfassbares Gespür dafür, Training und Technik allgemein verständlich darzulegen. 2015, nach meinem Bandscheibenvorfall, hat er mir Übungen gezeigt – und mehr oder weniger Langlaufen neu beigebracht. Unsere Generation hat beim Langlaufen viel zu häufig ein Hohlkreuz provoziert. Heute laufe ich eine bessere und gesündere Technik als als Athlet. Es ist eben nie zu spät, etwas Neues oder etwas neu zu lernen.

David ist für mich ein Freigeist, fast schon ein Philosoph – und der Bergführer meines Vertrauens. Er bringt viel mehr mit als nur Kompetenz. Ihn zu buchen, ist ein Erlebnis. In seiner Heimat rund um Kitzbühel trifft er viele Menschen, die sich eine kurze Auszeit von ihrem Alltag „rausfladern“ für das Erlebnis Berg. Ihm selbst reicht sehr wenig, auch durch gesundheitliche Herausforderungen hat er seine eigene Art gefunden: bewusste Ernährung, ein starkes Mindset.

Tommy ist als ehemaliger Radprofi berufsbedingt noch sehr mit dem Profiradsport verbunden. Seine beruflichen Aufgaben als Director Partnerships bei Lidl International fordern ihn sehr. Gemeinsame Zeit ist selten – und immer wertvoll. Uns dazwischen auf Verdacht fit zu halten ist unsere Abmachung. Er braucht die Bewegung gleich wie wir alle.

Auf deiner Webseite zitierst du ­Goethe: „Was immer du tun kannst oder träumst es tun zu können, fang damit an.“ Wovon träumt Felix ­Gottwald?
Ich weiß um die Magie des Anfangens – und habe am 1. Jänner 2025 angefangen mit dem Buchschreiben. Ich trage das schon lange in mir und bin überzeugt: Wenn wir unserer Berufung folgen, heilt das auch den Körper. Träume? Ich träume nicht von Gipfeln oder Expeditionen – mein Traum ist, dass ich von mir sagen kann: Ich liebe meinen Alltag. Ich lebe meinen Traum. 

Wenn viel zu tun ist, ist viel zu tun – dann mache ich eins nach dem anderen und nehme mir bewusst Zeit für mich. Als Athlet habe ich das schon so gemacht: jeden Tag meditiert und in besonders stressigen Zeiten zweimal täglich. Heute weiß ich: Wenn der Alltag passt, ist das der wahre Traum. 
Ich reise gern, aber nehme mein Zuhause mit. Ich liebe meinen Alltag und bin froh, mich nicht vom Wellnesswochenende in den Urlaub und von dort in die Auszeit und weiter in die Pension hanteln zu müssen.

Lässt sich der rote Faden deiner Message vielleicht so zusammenfassen: Sei nicht getrieben von deinen Zielen und denke nicht an übermorgen, sondern an heute?
Was bringt eine um 20 Minuten schnellere Zeit bei einem Triathlon im Hobbybereich, wenn du dafür deine Familie und deinen Beruf aufs Spiel setzt? Wofür? Wir dürfen nicht aus der Getriebenheit heraus eine Getriebenheit mit der anderen Getriebenheit ersetzen. Ich habe auch nichts gegen Radevents mit 300 Kilometern wie im Vorjahr das Istria 300, das ich gefahren bin – aber viel lieber fahre ich selbst mit Freunden, von mir aus auch 350 Kilometer weit. Keine Stresszeit, sondern: unser Tempo, unser Mittagessen – unsere gemeinsame Zeit. 

Ich träume nicht von Gipfeln und Expeditionen, sondern kann sagen: Ich liebe meinen Alltag. Ich lebe meinen Traum.

Felix Gottwald

10 Fragen an Felix Gottwald: "Immer wieder!"

1. Was magst du an dir?
Ich mag alles an mir, selbst meine „Macken“.

2. Was fehlt unserer ­Gesellschaft?
Echtheit – das Sich-selbst-treu-Sein. Und damit die Eigenverantwortlichkeit. Wir spielen zu viele nicht authentische Rollen und das macht uns „komisch“. 

3. Wann hattest du zuletzt Angst? Und wie hast du sie ­be­wältigt?
Angst habe ich immer, wenn ich zeitlich vorne oder hinten bin. Die Bewältigung gelingt dann immer, indem ich mich in die Präsenz zurückhole.

4. Was gibt dir ­Hoffnung?
Der Alltag gibt mir Hoffnung. Das „Morgen“ gibt es noch nicht und das „Gestern“ nicht mehr.

5. Deine Lieblings­serie? Warum?
Ich habe zwar vor geraumer Zeit einen neuen, großen Fernseher gekauft, aber ich stelle fest, dass ich kaum mehr fernsehe. Fürs Fernsehen will ich keine Lebenszeit vergeuden. Nur im Winter verfolge ich die eine oder andere Sportveranstaltung. 

6. Was würdest du noch gerne ­lernen wollen?
Ich würde gerne Gitarre spielen ­lernen. Auch Golf, obwohl ich bereits Golf spiele …

7. Was bereust du? Und warum?
Ich bereue nichts! 

8. Dein Trainingstipp für unsere Leser?
Immer wieder! Und: Üben hilft!
 
9. Was wäre dein Regenerations­tipp?
Schlaf ist die beste und die notwendigste Form der Regene­ration. Auch die 16:8-Methode hilft, weil der Körper regeneriert, wenn er weniger zu verdauen hat. 

10. Bitte noch um deinen ­Ernährungstipp?
Gut kauen und ausreichend Wasser trinken! Ich selbst esse seit Jahren kein Fleisch mehr. In der Früh schwöre ich auf meinen Porridge. Als Supplemente verwende ich Omega 3 und Vitamin D.

Felix Gottwald
Felix Gottwald

Felix Gottwald (49) ist mit drei Gold-, einer Silber- und drei Bronzemedaillen der erfolgreichste Sportler der österreichischen Olympiageschichte. Insgesamt gewann er 18 Medaillen bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Heute ist er Unternehmer, Vortragender, Trainer & Coach sowie begeisterter Buchautor.