Biker ist nicht gleich Biker. Unser Mountainbike-Experte ­Jürgen Pail teilt die Szene in Racer, Tourer und ­„Flower" ein. Und liefert eine echt überzeugende Begründung dafür ab. Typ 1, den Racer, stellen wir dir hier gleich mal vor.

Von Jürgen Pail


Form follows function" postulierte der amerikanische Architekt Louis Henry Sullivan in einem Aufsatz im Jahre 1896. Dieser Leitsatz geht von der Gesetzmäßigkeit aus, dass die Form eines „Dinges" immer durch seine Funktion bestimmt wird. Legionen von Architekten und Designern haben sich seither und bis zum heutigen Tag auf der Spielwiese der Interpretation dieses Postulats abgearbeitet.

Aber was zur Hölle sollen wir Biker mit einem 121 Jahre alten Architekturzitat anfangen? Wie soll uns Louis Henry Sullivan im Ringen um eine typologische Einordnung unserer selbst helfen können? Ob Sullivan daheim in Chicago selbst Radfahrer war oder nicht, tut eigentlich nichts zur Sache. Bemerkenswert aber ist, dass gerade in der Entstehungszeit seines Artikels am Ende des 19. Jahrhunderts die Transformation vom Hochrad zum Fahrrad, wie wir es heute geometrisch kennen, in vollem Gange war. Geschuldet war diese Entwicklung vor allem der beträchtlichen Verletzungsgefahr, die beim „Einschädeln" vom Hochrad im Sturzgeschehen ausging. „Hutfahrer" waren mangels Helm dazumals Standard, handelsübliche Hüte aber als Aufprallschutz von bescheidener Wirkung. Das „Niederrad" setzte sich ebenso durch wie dessen Bezeichnung in deutschen Landen: Fahrrad!

So! Und jetzt sollte nicht nur die Fahrradklingel, sondern es sollte bei uns im übertragenen Sinn „klingeln". Das Fahrrad ist nämlich schon in seinem Namen ein archetypisches Beispiel eines Form-folgt-Funktion-Dings! Ein Ding, das als muskelbetriebenes Fortbewegungsmittel „Fahr(=Funktion)rad(=Form)" nun schon seit über einem Jahrhundert im Grundprinzip unverändert daherkommt, sollte seine annähernd beste Form aus seiner Funktion gefunden haben.
Wer sind wir? Und wo fahren wir hin?

Wir haben also nun auch kulturhistorisch untermauert, was wir eh alle schon immer gewusst haben: Ein Fahrrad ist ein funktionelles Ding in entsprechender Form. Damit können wir, wenn wir die philosophische Betrachtung der erotisch-emotionalen Mensch-Bike-Bindung außen vor lassen, gelassenen Geistes zur typologischen Einordnung unserer Verfasstheit als Mountainbiker schreiten. Und zwar unter besonderer Berücksichtigung der neueren Fahrradtechnologien.

In technologischer Detailarbeit hat die Bikeindustrie nämlich Sportgeräte für verschiedene Typen von Bikern geschaffen. Die Form folgte also auch im Detail den Funktionen, die von den Bikern benötigt und verlangt wurden. Oder hat die funktionelle Differenzierung erst die verschiedenen Bikertypen geschaffen? Wie bei allen klassischen Henne-Ei-Betrachtungen liegt die Wahrheit wahrscheinlich irgendwo in der Mitte. Welche Eier haben uns nun die Bike-Entwickler unter den Sattel gelegt und wie haben wir uns auf Basis dieser Materialvorgaben zum Bikertypus entwickelt, den wir nun darstellen?

DER RACER
... ist ein ausdauer- und leistungsorientierter Athlet mit Affinität zu Messgrößen, die sich in einprägsamen Zahlen ausdrücken lassen: erfahrene Kilometer, erschundene Höhenmeter, geleistete Watt pro Kilogramm Körpergewicht, am Bike eingesparte Gramm, am Bike getunte Euros, am Ergometer versinnloste Trainingsstunden ....

Der Vergleich ist ihm wichtig und macht ihn unsicher, weswegen er auch bei Wettkämpfen antritt. Manchmal bei offiziellen, immer aber im Kampf „Franz gegen Sepp", bei dem es ums Niederringen des jeweiligen Trainingspartners oder dessen Zeitvorgaben auf ewig gleichen Haus- und Hof-Trainingsstrecken geht.

Kurz-Kurz, Ärmling-Beinling ist sein Bekleidungsstil und „Lieber den A.... abfrieren, als einen Rucksack transportieren" sein Motto. Die Einkehr in gastliche Stätten während einer Ausfahrt sieht er als Abkehr von seinem heiligen Gral, dem Trainingsplan. Die eigene und die Form seines Bikes diskutiert er hauptsächlich gewichtsseitig. Alle Trümmer (Carbon!), die er natürlich eigenhändig mit dem Drehmomentschlüssel (wegen dem Carbon!) an sein Bike (eh klar, Carbon!) schraubt, werden image- und gewichtskontrolliert auf die Goldwaage gelegt. Auch hier lassen wir die erotisch-emotionale Mensch-Bike-Bindung außen vor, obwohl sie für den Racer bei Auswahl, Kauf, Pflege und Unterbringung seines jedes Jahr neuen Best-ever-Lieblingsbikes eine große Rolle spielt.

Das Bike seiner Wahl: Hardtail oder Race-Fully, leicht, filigran, direkt, aggressiv, wartungsintensiv, teuer oder sehr teuer. Bikes für den Racer findest du hier.

Jürgen Pail / Bild: Erwin Haiden
Der Bike-Philosoph
JÜRGEN PAIL ist begeisterter Mountainbiker, Obmann des Bikeclubs ­Giant Graz-Stattegg (St), Projektleiter der bikeCULTure Region Graz und Veranstalter der jährlichen Rennen in Graz-Stattegg.

Kontakt: www.bike09.at


Hier erfährst du alles über die MTB-Typen Tourer und Flower.


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