Über Shitstorms, Männernetzwerke und Toilettengespräche. Anna Weiß setzt sich für neue Frauenbilder im Sport ein. Typgerecht, vielfältig, zeitgemäß, mit Humor.

Christoph Heigl
Christoph Heigl

Warum sind Experten meistens Männer?
Weil wir es gewohnt sind, dass Männer ihre Stimmen erheben. Wem das zu pathetisch ist, der sollte 2019 mal darauf achten, wie oft und zu welchen Themen Frauen z. B. im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ oder in den zahlreichen Outdoorsport-Magazinen als Expertinnen zu Rate gezogen werden. In der Outdoor-Branche kommt hinzu, dass viele über Jahre gewachsene Männer-Netzwerke aus Firmengründern, Journalisten und Sportlern existieren. Da ist es einfach und bequem, auf einen Experten im Netzwerk zurückzugreifen. Und wenn man dort nicht fündig wird, googlet man kurz und siehe da: schon hat man einen Mann gefunden. Wir Frauen sind oft viel zu kritisch mit uns selbst. Und dann wollen wir auch noch gebeten werden. Aus Angst, bei einem Vorstoß eine Absage zu erhalten. Und wenn wir dann gebeten werden, müssen wir erstmal im Kopf mit uns ausmachen, ob wir auch zu 100 Prozent sicher etwas Wertvolles zum Thema beitragen können. Stichwort Confidence Gap. Hier dürfen wir Frauen an uns und an unseren Beziehungen untereinander arbeiten – denn es gibt so unglaublich viele, talentierte Expertinnen, und zwar in sämtlichen Branchen.

“Der Sport“ ist seit jeher männlich geprägt. Warum eigentlich?
Der öffentliche Raum gehörte den Männern. Von Frauen wurde erwartet, dass sie sich um die Familie kümmerten und ihren Platz kannten. Männer waren es auch, die im Regelfall über Geld und Einfluss verfügten, an den Schalthebeln der Macht saßen und deren Meinung die öffentliche Debatte bestimmten. Dass es gar nicht so wenige Frauen z.B. unter den Bergsteigern gab, zeigt die Südtirolerin Ingrid Runggaldier in ihrem hervorragenden Buch „Frauen im Aufstieg.“ Die „männlich sozialisierte“, oftmals auf Leistung fixierte Sichtweise prägt natürlich unser Bild des Sports. Die Leistung von Frauen wird abgewertet. Ein Berg, bestiegen von einem Weib, sei für den bergsteigenden Mann verloren, hieß es einst.

Wie bekommen Klettern, Kajak, Wellenreiten oder Biken ein weibliches Image? Was müsste passieren?
 „Weiblich“ – was ist das überhaupt? Schreibt eine kurze Definition davon auf. Wenn ihr Frauen seid: überlegt, was euch ansprechen würde. Wenn ihr Männer seid: überlegt, was eure Frau, Freundin, Mutter, Tochter, Schwester, Arbeitskollegin ansprechen würde.Ich sehe die größten Probleme darin, dass Weiblichkeit entweder gar nicht vorkommt oder nur eine Version von Weiblichkeit gezeigt wird. Die Verantwortlichen sollten darauf achten, genau so viele Mädchen wie Burschen, so viele Frauen wie Männer zu zeigen. In Magazinen, in der Werbung, in der Politik. Eine Quote? Ja, ich bin dafür. Und ja, es ist nervig. Ja, es braucht eine Übergangszeit. Aber wenn sich der Sturm erst gelegt hat, fängt es an, normal zu werden. Wenn ausschließlich ein Bild einer Frau gezeigt wird ist das DIE prototypische Frau. Dabei geht es um Vielfalt, Vielfalt, Vielfalt. Kein Mensch wird gerne in Schubladen gesteckt.

Mangelt es an passenden Vorbildern? Wer kennt eine weiblichen Free-Solo-Climberin? Wer die weibliche Bike-Weltmeisterin?
Ich bezweifle, dass es an weiblichen Vorbildern mangelt. Es gibt in jeder Sportart Frauen, die durch außergewöhnliche Leistungen auffallen. Ergänzend ist zu fragen: Ist Leistung das einzige, was ein Vorbild ausmacht? Umfragen zeigen, dass Frauen ihre Vorbilder nicht nur unter Spitzenathletinnen ausmachen, sondern auch unter denjenigen, die ihnen ähnlich sind – oder die beste Freundin sein könnten. Das ist beileibe noch nicht bei allen Firmen angekommen. Außerdem investieren viele Firmen lieber weiterhin in Fotoshootings mit Models anstatt ihre Athletinnen zu pushen. Die Big Wave Surferin Keala Kennelly kann ein Lied davon singen, was es heißt, nicht zu 100 Prozent dem gängigen Schönheitsideal einer Surferin zu entsprechen. Trotz ihrer bahnbrechenden Erfolge musste sie stets um ihr Sponsoring kämpfen.  

Was können wir tun?
In der Industrie: Quote. Quote. Quote. In der Medienlandschaft: Quote. Quote. Quote. Wollen ist können. Nichtkönnen ist Nichtwollen.

Und wie transportiert man weibliche Images intelligent?
Das ist ganz einfach. Indem man möglichst viele unterschiedliche Mädchen und Frauen befragt, zeigt und unterstützt. Indem man darauf achtet, dass die Frauen nicht nur die passive Rolle einnehmen. Also z.B. der Mann hält die Karte in der Hand und weiß, wo’s langgeht, die Frau himmelt ihn an. Und Humor. Humor ist immer gut.

Welche Firmen oder Marken oder Tourismusregionen schaffen das jetzt schon ganz gut?
Auf die Schnelle: Die Always-Kampagne „Like a Girl“. REI macht da seit Jahren einen guten Job, die „Force of Nature“-Kampagne ist genial. The North Face mit „She moves Mountains“. Und neuerdings, wirklich großes Kino, weil schnell, witzig, provokativ: die Commerzbank mit ihrem Spot „Die DFB-Frauen in 90 Sekunden.“ Tourismusregionen... hm. Ich würde sagen, dass Deutschland, Österreich und Schweiz da im Großen definitiv noch Nachholbedarf haben.

Was darf man sich eigentlich unter „Never mind the gap, Cinderella“ (Anm.: Vortrag beim Outdoor Summit im Herbst 2019) vorstellen?
Es ist ein Wortspiel mit dem bekannten „Mind the gap“ (Achten Sie auf den Spalt.). Die Gap bezieht sich auf die Confidence Gap, derzufolge Frauen zwar genauso kompetent wie Männer sind, aber deutlich weniger selbstbewusst auftreten. Dadurch entstehen ihnen enorme Nachteile. Cinderella: Eine Anspielung auf die ewig gleichen Rollenbilder: Frau wartet darauf, dass Prinz sie rettet. Im Endeffekt sagen wir also: Scheiß auf deine Selbstzweifel, Frau, und werde aktiv!

Was versäumen Werbung und Marketing, wenn sie auf falsche Bilder und Signale bei Körpersprache, Farben und Formen setzen? Könnten sie ihre Kunden nicht noch viel besser erreichen?
Die ganze Thematik wird sicher noch Fahrt aufnehmen. Die Gesellschaft nimmt sexistisches Marketing in weiten Teilen bereits jetzt nicht mehr hin. Die digitalen Shitstorms werden handfeste Umsatzeinbußen nach sich ziehen. Im Gegensatz dazu werden Firmen, die sich mit einem authentischen, vielfältigen Frauenbild beschäftigen, zu den Gewinnern zählen. Die Dove-Kampagne „Real Beauty“ etwa verhalf dem Konzern Unilever zu einer spektakulären Umsatzsteigerung. Neben Nachhaltigkeit wird Female Empowerment das Thema der nächsten Jahre sein.

Auf der Eurobike hast du die klassische Tourismuswerbung in Bezug auf Gender Roles kritisiert: Der geile Typ hängt in der Wand oder fetzt im Bikepark, die entspannte Dame liegt am Pool.  Sind Tourismusdestinationen nicht gut genug beraten?
Die Frage ist: Was wird in Zukunft sein? Wie wollen wir uns von unseren Mitbewerbern abheben? Wie wollen wir uns einer Generation selbstbewusster, selbst entscheidender Frauen mit eigenem Einkommen präsentieren? Die Destinationen transportieren größtenteils immer noch das Bild vom Pärchen- oder Familienurlaub. Dabei wachsen die Zahlen, was Urlaub unter Frauen angeht, seit Jahren kontinuierlich. Und nicht nur - aufgepasst, liebe Tourismusmanager! - im Bereich Wellness. Sondern auch im Outdoorsport – und selbst in so exotischen Angeboten wie „Tauchen mit dem weißen Hai“. Das Abkommen davon, überkommene Rollenbilder ins Unendliche zu reproduzieren und stattdessen einen jungen, frischen und vor allem zeitgemäßen Ansatz zu wählen, birgt auch großes wirtschaftliches Potenzial. Denn vielleicht dämmert der Kundin im Urlaub das erste Mal, dass ja auch sie auf dem Bike den Berg runterflitzen könnte. Stichwort: „If she can see it, she can be it.“

Anna, wie schaut dein ideales, weibliches Werbesujet für den Outdoorurlaub in z. B. Salzburg oder Tirol aus?
Auf die Schnelle kann ich das nicht sagen, da müsste ich mich erst mit den Eigenheiten der Region beschäftigen. Auf jeden Fall würde ich immer die einheimischen Akteurinnen miteinbeziehen statt Models. Dreckig, provokativ, humorig, den Alltag der Frauen verstehend, empowernd.

Gibt es weibliche Tabuthemen, die längst angesprochen werden müssten?
Ja. Und zwar mit großem Tamtam und öffentlich, damit eine Debatte entstehen kann. Solche Tabuthemen werden allenfalls auf der Damentoilette besprochen. Ich nenne sie „Restroom Talks“.  Seit wir mit Bloomers gestartet sind, habe ich Hunderte solcher Gespräche geführt oder Geschichten geschickt bekommen. Zu 99 Prozent mit dem Hinweis, nicht weiter darüber zu reden oder etwas darüber zu schreiben. Denn es will ja niemand die Nestbeschmutzerin sein oder die Sponsoren verlieren. Die Themen? Schlechtere Bezahlung und Konditionen. Sexistisches Verhalten von Sprüchen bis hin zu Übergriffen. Die Fixierung auf das Äußere. Und was uns Frauen betrifft: Unsere häufige Unfähigkeit, ins Tun zu kommen oder Klartext zu sprechen.

Du warst schon bei einigen Unternehmen mit Workshops, z.B. bei KTM. Wie reagieren die Firmen auf euren weiblichen Input? Oder hat es Feigenblattfunktion?
Das ist ganz unterschiedlich von Firma zu Firma. Viele Firmen sind im Gespräch unglaublich neugierig und offen. Da kommt dann oft das „Wir wollen schon so lange, wissen aber nicht, wie“. Wenn es ans Investieren geht, machen trotzdem viele einen Rückzieher. Nicht so KTM. Beim Design Thinking Workshop war die komplette Geschäftsführung, sowie die Leiter von Marketing und Entwicklung anwesend und suchten einen regen Austausch mit den Frauen. Was wann schlussendlich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Aber der erste, wichtigste Schritt ist getan: Bewusstseinsbildung auf Management-Ebene. Die ist leider allzu häufig noch mit ignoranten Machos besetzt, deren Credo lautet „Haben wir noch nie gemacht, brauchen wir nicht“. Um im gleichen Atemzug zum Mansplaining anzuheben: „Soooo, wir Männer erklären euch Frauen jetzt mal die Welt“. Und nein, ich übertreibe nicht.

Welche Chancen bieten Social Media-Kanäle wie Instagram? Fluch oder Segen?
Wie überall: beides. Zum einen macht es die Sportlerinnen sichtbar. Zum anderen steigert es den Druck, weil wir uns alle natürlich immer möglichst perfekt, in möglichst extremen Situationen zeigen. An der hohen Wand, im Powder, auf dem fetten Gipfel etc. Wir inszenieren Outdoorsport im Endeffekt auf die gleiche Weise wie die Marketingverantwortlichen. 

Du unterstützt ein Rad- und Mountainbike-Projekt in Afghanistan, vor allem auch für Mädchen. Wie ist es dazu gekommen?
Abasha ist ein Verein, der sich für Wandel durch Sport und Bildung für Jugendliche in schwierigen Verhältnissen einsetzt. In Afghanistan unterstützt er das von jungen Mountainbikern selbst initiierte Projekt „Drop & Ride“ (kurz für: „Drop the weapon and ride a bike“). Das Besondere daran ist, dass Burschen und Mädchen gemeinsam biken und Tricks üben. Das ist in diesem krisengeplagten und von Gewalt heimgesuchten Land nicht üblich. Wenn es die Männer schon schwer haben, leiden die Frauen oft doppelt. Der öffentliche Raum ist nach wie vor in Männerhand und Biken wird von vielen islamischen Würdenträgern als „haram“ für die Frauen bewertet. Angeblich, weil die Haltung auf dem Bike Männer erregen könnte. Tatsächlich geht es aber wohl viel mehr um Mobilität, um Bewegungs- und letztendlich Gedankenfreiheit. Freie Menschen sind weniger einfach zu unterdrücken. In Sport und Bildung sehe ich die Schlüssel zu gesellschaftlichem Wandel. Wir freuen uns nach wie vor über Möglichmacher*innen und Spender*innen.

Du warst früher Flugbegleiterin - doch auch eine klassische Gender Role? Wie bist du zur Outdoor-Journalistin geworden?
Meine Lufthansa-Kolleg*innen konnten sich nicht vorstellen, dass ich Mountainbikerin bin und diesen „krassen, gefährlichen, dreckigen“ Sport ausübe. Waghalsig. Lebensmüde. Dreckig. Das war ihr Klischee von Mountainbikern. Meine Mountainbike-Buddies konnten sich nicht vorstellen, dass ich irgendetwas anderes als Biker-Baggys trüge. Und wie es mich erfüllen könnte, wohlbeflissen in Kostüm und Highheels den Managern dieser Welt Champagner zu servieren. Anna als Saftschubse, unvorstellbar! Das Problem an Klischees ist nicht, dass sie nicht zutreffend wären. Sondern dass sie den Blick einengen, dass sie die anderen Bilder des Mosaiks vernachlässigen und irgendwann als „einzige Wahrheit“ gelten. In der Sprache manifestieren sich dann unsere Vorurteile. Wenn ich von einer „Saftschubse“ spreche, negiere ich den Umstand, dass diese Person vielmehr eine Psychologin oder eine Managerin über den Wolken ist. Ich habe meine Aufgabe nie niederer eingeschätzt als die der Pilot*innen, sondern im Gegenteil als sehr wertvollen Beitrag gesehen. Und mich immer auf Augenhöhe mit den Menschen gewähnt, die ich bedient habe. Dadurch entstand ein unglaublich lebendiger Austausch. Einen Wandel herbeiführen, mehr Vielfalt zeigen, das war auch die Motivation, 2011 einen Special Interest Verlag im Bereich Fahrrad zu gründen. Ich konnte mich dank meiner Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin einigermaßen verständlich ausdrücken, arbeitete nebenher als Transalp-Guide und lernte irgendwann meinen zukünftigen Mann kennen, der damals bereits im Verlagsgeschäft tätig war. WOM Medien entstand aus Neugier, Schaffenslust und der Liebe zu Printprodukten.

Wie gibst du dich beim Sport? Betont weiblich? Oder eben nicht?
Betont weiblich ist ein gutes Stichwort. Viele von uns meinen, unsere Weiblichkeit in diesem „krassen Outdoorsport“ besonders betonen zu müssen. Frau will alles sein, aber um Gottes Willen kein Mannsweib! Es gibt Studien dazu, wie sich Outdoorsportlerinnen auf Social Media darstellen und dass sich viele von uns besonders gern mit lackierten Fingernägeln zeigen, um das klarzustellen. Wie gebe ich mich also betont weiblich? Ich wähle Kleidung und Zubehör, in dem ich mich wohl fühle, das meinen Typ unterstreicht, meine Werte kommuniziert und zu mir passt. Und ich fahre ein rosa Mountainbike. Weil mir das „Lazy Pink“ taugt. Und die „Mädchenfarbe“ oft Gesprächseinstieg ist. Ich erkläre dann den verdutzten Zuhörer*innen, dass sie meinen Führungsanspruch untermauert. Denn Rosa ist „das kleine Rot“ und war die längste Zeit die Farbe der Macht.

Der Think Tank Bloomers Outdoors ...

... bemüht sich um die Förderung von Frauen und Mädchen in der Outdoorbranche und hat die Wahrnehmung der Geschlechterrollen in Wort, Bild und Kommunikation im Fokus und fördert Vielfalt. Inspiriert von der US-Frauenrechtlerin Amelia Bloomer (1818-1894), die die Frauenkleidung revolutionierte und dafür kämpfte, dass Frauen Rad fahren dürfen.

Mehr Infos: www.bloomers-outdoors.com

Anna Weiß im Portrait
Anna Weiß

31, Deggendorf (D), gebürtige Niederbayerin

Einst Flugbegleiterin bei Lufthansa, Mitgründerin eines Special-Interest-Verlags, Co-Founder von Bloomers Outdoors und Gründerin des European Women´s Outdoor Summit.

Europeans Women´s Outdoor Summit #toolsforchange
www.eruopean-womens-outdoor-summit.com
12. bis 15. September in Flims (SUI)