Auf dem Papier ist Andi Goldberger 45 Jahre alt. Im Leben sprüht der ewige Lausbub vor Energie. Sein Zaubertrank fürs Jungbleiben: Sport, am besten täglich verabreicht.

Interview: Klaus Molidor


Andi, wie ist das Gefühl heute, wenn du mit 45 mit Helmkamera auf dem Zitterbalken sitzt? Was hat sich da verändert?
Also sicher einmal der Anlauf. Ich bin aufgeregt, aber nicht ängstlich. Ich muss ja keinen Schanzenrekord mehr springen. Dafür bin ich voll konzentriert, weil mir die Routine fehlt. Und ich will gescheit runterkommen und eine ordentliche Weite erzielen, damit die Fernsehzuschauer auch was davon haben. Wenn es gut geht, denk ich mir immer, was für eine unglaublich lässige Sache das ist. Skispringen kann ja nicht jeder. Darum möchte ich es auch machen, solange es geht.

Klingt, als wärst du süchtig nach dem Skispringen ...
Süchtig, hmmm. Süchtig würde ich nicht sagen. Ich würde es schon schaffen, nicht mehr zu springen. Aber es ist einfach ein Traum. Auch, weil das nicht jeder einfach so machen kann. Das ist schon ein Privileg.

Wie trainierst du eigentlich heute noch das Skispringen? Eine Disziplin, in der es keinen Breitensport gibt.
Ich schau, wann und wo Nachwuchsathleten oder Frauen oder andere Kader trainieren und frag beim Trainer an, ob ich mittrainieren kann. Einfach zu einer Schanze fahren und sagen: „Da bin ich", geht natürlich nicht. Die ersten zwei, drei Sprünge sind zach, aber danach geht es und ich frage mich dann oft, warum ich so lange nicht gesprungen bin, wo es so ein genialer Sport ist. Wie die Aktiven fange ich im Sommer auf den Matten an und komme in der Vorbereitung auf 50 bis 80 Sprünge. Das ist wenig. Als Aktiver hast du im Sommer zwischen 300 und 500 Sprünge.

Mit dem Springen alleine ist es aber nicht getan, oder?
Nein, du musst schon andere Sachen machen, damit du springen kannst. Balance, Rumpfstabilität, Koordination – das sind ganz wichtige Dinge. Die muss ich trainieren. Aber Gott sei Dank nicht mehr nach Plan, sondern nach Gefühl. Wenn ich am Wippbrettl stehe, tue ich das so lange, bis es gut funktioniert und nicht 3 x 15 Sekunden oder so. Schnellkraft und Sprungkraft brauch ich auch nicht mehr so wie früher. Das trainiere ich auch nicht so gerne – weil es ein bissl weh tut (lacht).

Dabei könntest du am Sofa sitzen und müsstest gar nicht mehr trainieren.
Das geht nicht. Wenn ich zwei, drei Tage keinen Sport mache, werde ich unrund. Da fühle ich mich nicht wohl. Spätestens dann sagt meine Frau: Magst net trainieren gehen? Sport gehört einfach dazu, er hält mich fit und jung.

Und das gelingt ihm ganz gut, wie man sieht ...
Gerade die Gymnastik, die ich fürs Springen machen muss, die koordinativen Geschichten halten mich beweglicher, geschmeidiger. Mit 45 bist du einfach nicht mehr wie mit 20. Das muss man akzeptieren und das Training und die Erholungsphasen dem Alter anpassen. Aber wenn man sich bewegt, fühlt man sich im Alltag auch besser. Sport regt den Kreislauf an und du bist wacher. Egal, was du machst. Und Koordinationsübungen halten dich auch geistig frisch.

Andi Goldberger beim Dolomitenmann / Bild: Red Bull Content PoolHeute fährst du ja auch Mountainbikerennen, oder warst 10 Mal als Läufer beim Dolomitenmann dabei ...
Das Schöne ist: Heute kann ich so viele verschiedene Dinge machen. Das Springen alleine war doch eher monoton. Das ist aber logisch, wenn du von Wettkampf zu Wettkampf unterwegs bist. Ich liebe Tennis und Squash, auch wenn ich es nicht so gut kann. Das Schnelle taugt mir. Und auch das Gegenteil. Mountainbiken – die runde Bewegung in der Natur, abseits der Autos. Du schindest dich einen Berg rauf und dann kannst runterbrettern, das taugt mir extrem. Ich gehe aber auch gerne Langlaufen und Skaten – das ist ein super Training für die Balance.

Spitzensport ist nicht gesund. Hobbysport schon. Bist du vielleicht heute sogar im Gesamten besser drauf als mit Mitte 20?
Niemals (lacht). Wenn du mit 45 besser beinand bist als mit Mitte 20, musst in deiner Jugend sehr viel falsch gemacht haben. Da bist du voll im Saft, fast unzerstörbar. Du regenerierst auch viel schneller. Heute brauch ich viel längere Pausen, tut mir viel eher was weh als damals. Aber du lernst, auf deinen Körper zu hören. Früher hat der Wettkampf-Rhythmus alles bestimmt. Egal, wie es dir gegangen ist, oder das Wetter war. Wenn es mir heute nicht gut geht, bleib ich eben daheim.

Wie schwer war der Umstieg vom Sport nach Plan zum Auf-den-Körper-Hören?
Schwer, ja was glaubst. Weil die lange Zeit als Wettkämpfer kriegst du nicht so leicht raus. Ganz weg sowieso nicht. Drum mach ich das Kameraspringen auch noch, weil es eine Herausforderung ist. Und wenn ich mit Freunden laufen gehe oder Skifahren, heißt es immer: Ein Rennen machen wir aber schon. Ich habe auch gelernt zu verlieren. Das geht jetzt viel besser. Früher hab ich das gar nicht können.

Zwingt dich der Sport, deine Projekte wie Skispringen, Bikerennen, Dolomitenmann etc. zu einem gesünderen Lebensstil?
Zwingen? Ich weiß nicht. Doch, wahrscheinlich zwingt er mich, ja. Weil wenn du bis 5 Uhr früh um die Häuser ziehst, kannst du danach kein Bikerennen fahren. Und wenn du dir vor einem Tennismatch eine Leberkässemmel und ein Cola reinhaust, wirst du merken, dass es nicht gut war. Das taugt mir auch am Sport: dass du sofort eine Rückmeldung bekommst.

Das heißt, der Goldi schlägt nie über die Stränge?
Doch. Jeder hat Tage, wo du ein Fußballmatch schaust, Chips isst und ein paar Bier trinkst. Aber wenn ich das ein paar Tage hintereinander mache, fühle ich mich schlecht. Vom Gewissen und vom Körper her. Dann muss ich was tun. Gefährlich wird es, wenn du diese Grenze übersiehst und es nicht mehr spürst, dass du einen Blödsinn gemacht hast.

Dabei war dir der Sport nicht unbedingt in die Wiege gelegt.
Stimmt. Meine Mama hat keinen Sport gemacht. Mein Vater, Jahrgang 1937, war der jüngste Sohn daheim und musste nach dem Krieg den Bauernhof übernehmen. Da ist keine Zeit zum Sport geblieben. Er hätte es aber gerne gemacht und auch Talent gehabt. Von ihm hab ich sicher viel mitbekommen.

Es gibt aktuell Ausnahme-Sportler wie Noriaki Kasai oder Ole Einar Björndalen, die auch 40+ sind und noch Weltklasseleistungen bringen. Kann man das erklären?
Ganz sicher spielt hier die mentale Seite eine wichtige Rolle. Die sind einfach im Kopf so stark, das macht extrem viel aus.

Direkt gefragt: Ist der Sport das Geheimnis deiner Jugendlichkeit?
Auch. Ich mache viel und bleibe dadurch fit und beweglich. Eine große Rolle spielen aber die Gene. Meine beiden Omas sind bei guter Gesundheit beide 99 Jahre alt geworden. Also hab ich einfach auch gute Voraussetzungen.

Welche Projekte stehen 2018 an?
Ich möchte mich, auch mit meinem Nachwuchsbewerb, dem Goldi-Cup, darum bemühen, wieder mehr Kinder zum Sport zu bringen. Die sportliche Grundausbildung der Kinder wird immer schlechter. Eine Katastrophe ist das, dass Volksschüler heute schon Haltungsschäden haben, die sie, wenn überhaupt, erst viel später haben sollten.

Und was steht sportlich am Kalender?
Wir haben zwei kleine Kinder, die stehen im Vordergrund. Ich bin auch gefragt worden, ob ich nicht das Race Across America fahren möchte. Sicher eine geile Sache. Aber dafür will ich jetzt nicht so viel Zeit aufwenden. Ich werde was machen, aber ganz spontan.


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