Mario Bauernfeind, von Asics unterstützter Vollzeit-Polizeibeamter aus Wien, hat sich beim Frankfurt Marathon im letzten Oktober mit 2:12:49 h endgültig in Österreichs Marathonelite katapultiert. In unserem Interview spricht er über seinen Werdegang, über Zeitmanagement – und eine mögliche Olympiaqualifikation.
Mario, wie hat das angefangen mit dir und dem Laufen?
Mein damaliger Turnlehrer im Gymnasium, mit dem ich jetzt noch superviel Kontakt habe, war Triathlet. Er hat mir das erste Rennrad besorgt, Schwimmstunden gegeben, Trainingspläne geschrieben. Mit ihm bin ich zwei Jahre auf Wettkämpfe gefahren. Mit 20 in der Polizeischule habe ich dann gemerkt, dass Triathlon doch sehr zeitaufwändig ist. Zum Laufen habe ich außerdem immer das meiste Talent gehabt. So hab ich mich aufs Laufen fokussiert.
Dann hast du von der Mittelstrecke oder kürzeren Strecken die typische Entwicklung hin zu längeren Distanzen gemacht – und bist ums Jahr 2020 beim Marathon gelandet.
Das kann man so sagen. Ich bin am Anfang 3000, 5000, 10.000 m gelaufen, habe dann irgendwann am Saisonende den einen oder anderen Halbmarathon eingestreut. Ich hab viel durchgemacht, aber auf der Langstrecke, auf der Marathon- und Halbmarathondistanz, fühle ich mich am wohlsten.
Deine Marathon-Entwicklung ist jedenfalls bemerkenswert: 2020 bist du noch 2:29 h gelaufen, dann 2:22, 2:15 und jetzt 2:12 als „Evolutionsstufen“ …
Genau. Meinen ersten Marathon bin ich 2018 in Dublin bei der Polizei-Europameisterschaft gelaufen, in 2:29 h. Alle meine Marathons vor dem Jahr 2022 waren eigentlich aus dem Training heraus – du stellst dich hin und versuchst, was geht. Das war dann immer so 2:30 h. 2022 war dann die Polizei-Europameisterschaft in Eindhoven, wir haben ein wirklich ein gutes Team gehabt, unter anderem mit Markus Hartinger und Jürgen Aigner, die auch beide schon Staatsmeistertitel in Laufdisziplinen geschafft haben. Richtig gute Kollegen, Läufer und Freunde. Wir wollten unbedingt im Team die Goldmedaille holen und haben gesagt: Wir trainieren 2022 alle Marathon. In dem Jahr war zuerst die Staatsmeisterschaft in Salzburg. Da bin ich schon mit Vorbereitung 2:22 h gelaufen und habe dann über den Sommer Vollgas Marathon trainiert. Mein erster richtiger Marathon mit kompletter, 14-wöchiger Vorbereitung war dann Eindhoven im Oktober 2022.
Du bist dort im Einzel mit 2:15:34 h Polizei-Europameister geworden! Und was hat im Team für euch rausgeschaut?
Der zweite Platz. Ein Team besteht aus vier Läufern und die Zeiten werden einfach addiert. Auf 168 Kilometer haben uns ungefähr 20 Sekunden gefehlt. Es war auch für die anderen der erste Marathon. Bei der Halbzeit waren wir zehn Minuten vor den Franzosen, zwei Kilometer vor dem Ziel waren wir auch noch vorne und im Ziel haben eben 20 Sekunden gefehlt. Für mich war es erträglich, als Erster im Einzel und Zweiter im Team, aber die Stimmung war schon gedrückt, sag ich einmal.
Bei dir ist es dann 2023 sehr erfolgreich weitergegangen: Im Mai hast du den „Wings for Life World Run“ in Wien gewonnen – und international war die Platzierung dabei auch beachtlich …
Ja, der sechste Platz.
Das „Catcher Car“ hat dich nach 62 Kilometern eingeholt. Stimmt es, dass das dein erster Lauf mit mehr als 42 Kilometer überhaupt war?
Genau. Ich hab das noch nie trainiert. 62 Kilometer – 4 Stunden mit einem 3:48er-Schnitt. Das hätte ich mir nie gedacht. Ich war in den Wochen zuvor krank, musste den Wien Marathon auslassen und habe mir gedacht, ich laufe meinen ausgefallenen Marathon im Zuge des Wings For Life-Runs. Bei Kilometer 40 hab ich mich umgeschaut – ein paar Leute waren noch da, und mir gedacht: Jetzt kann ich nicht einfach aussteigen. Bei Kilometer 50 waren wir nur mehr zu zweit. Ab Kilometer 51 hab ich beschleunigt und bin es fertig gelaufen. An dem Tag ist es mir so gut gegangen, ich hätte durchaus noch weiter laufen können.
Und dann kam Frankfurt im Oktober mit 2:12:49 …
Mit 1. Juli hab ich zu trainieren angefangen. Man muss wissen: Mein Sohn ist im Februar 2023 geboren. Ich musste daher im Sommer alles in Wien trainieren, Trainingslager ist sich keines ausgegangen. Die Vorbereitung war aber top, am Punkt. Ich wüsste nicht, was ich besser hätte machen können.
Das Rennen in Frankfurt war super, es ist mir körperlich sehr gut gegangen. Aber wer es verfolgt hat, weiß: die Bedingungen waren alles andere als leicht. Und von den 42 Kilometern bin ich über 30 allein gelaufen. Deswegen bin ich sicher: Wenn ich nur annähernd wieder an die Form vom letzten Herbst herankomm, wenn ich dazu ein Feld hab, und die Bedingungen ein bisschen besser sind – dass ich auf jeden Fall noch Potenzial hab.
Du hast Andi Vojta auf den letzten zwei Kilometern stehen gelassen. Wie war das? Ihr kennt euch ja ..
Keine Frage – Andi ist ein großes Vorbild, ich weiß nicht, wie oft er schon Staatsmeister war. Er hat mich auch immer zu seinen Trainings eingeladen, wir haben uns zusammengeschrieben, das war mit meinen Dienstzeiten nicht immer einfach: Er hat auch auf mich Rücksicht genommen und teilweise später trainiert.
Mir hat er eher leid getan. Aber so ist Marathon. Ich hab es selber zum Glück noch nie erfahren müssen, wie es einem auf den letzten Kilometern geht, wenn man keine Kraft mehr hat. Aber er ist wirklich gestanden – oder es ist mir so gut gegangen. Knapp nach Kilometer 40 habe ich ihn eingeholt und auf zwei Kilometer noch knapp eine Minute gegeben.
Es war für mich nie ein Thema, Andi Vojta zu schlagen, sondern ich wollte, dass wir beide unsere Ziele erreichen. Ich schau nur auf mich und Andi hat andere Voraussetzungen, ist Vollprofi. Ich bin einfach glücklich mit meiner Performance gewesen. Ich glaub, dass er durchaus noch schneller laufen kann, auch er muss noch seine Erfahrungen auf der Marathonstrecke machen.
Stichwort „Voraussetzungen“: Du bist im Polizei-Leistungssportkader, sitzt grad am Heimtrainer bei der Grundlageneinheit, gehst später in den Nachtdienst. Was heißt es konkret, im Leistungssportkader zu sein?
Ich bin Vollzeit angestellt, hab keine verkürzte Wochendienstzeit, ganz normale 12-Stunden-Dienste, die von 6 bis 18 oder 18 bis 6 Uhr dauern. Ich bin auch nicht Überstunden-befreit, wenn ein Dienst ersetzt werden muss, weil jemand ausfällt, sind auch 24-Stunden-Dienste möglich. Durch die Zugehörigkeit im Leistungskader haben wir 240 Stunden Sonderurlaub. Auf Basis von 12-Stunden-Diensten kann ich mir also 20 Dienste im Jahr freinehmen. Das klingt vielleicht viel – im Schnitt sind es eineinhalb Dienste pro Monat. Da gilt es, hauszuhalten und gut abzuwägen, zwischen Dienst und freibrauchen, um einen Trainingsblock zu setzen.
Bei der Polizei gibt es weiters auch noch den Spitzensportkader. Wie sind die Bedingungen dort – ist das mit einem Profileben vergleichbar?
Seit zwei Jahren versuche ich dort reinzukommen. Es ist aber alles andere als einfach. Wir sind eine Wintersportnation und der Spitzensportkader ist entsprechend Wintersport-lastig. Für uns Läufer ist es ungleich schwerer, die Limits zu erbringen. Bedeuten würde es, dass ich bei rund 2000 zu leistenden Stunden Polizeidienst im Jahr 1500 Stunden Freistellungen hätte. Das heißt, 500 Stunden, oder 3 Monate im Jahr müsste ich in den Dienst gehen. Und wenn ich ein ganzes Monat normal arbeite, könnte ich mir gleich einmal drei Monate am Stück freinehmen. So wie es manche Skispringer oder Skifahrer auch machen.
Vollzeit-Beruf, kleine Kinder daheim, Marathontraining auf Spitzenniveau. Wie geht sich das aus?
Ein Kind war noch kein Problem. Beim zweiten ist es interessant geworden, das hab ich auch unterschätzt. Wir haben sehr gute Unterstützung von den Schwiegereltern und meinen Eltern, und meine Frau unterstützt mich, wo es nur geht. Es ist alles Zeitmanagement: Wir setzen uns am Abend zusammen, gehen gemeinsam durch: Da ist die Tochter im Kindergarten, du musst am Vormittag trainieren, dann den Sohn mitnehmen zum Einkaufen, Kochen, Tochter abholen … es ist wirklich Management.
Ich habe jetzt seit drei Jahren auch keinen Trainer, seit meine Tochter auf der Welt ist. Am Anfang habe ich es noch versucht und den Trainer angerufen: Du musst das umschreiben, ich habe an dem Tag keine Zeit, das und das ist auch umzuschreiben … aber das geht nicht. Ich habe dann stattdessen gesagt, ich hätte gern drei Vertrauensleute um mich, die ich immer anrufen kann, wenn ich Fragen zu meinem Training habe. So machen wir das jetzt. Denen schicke ich meine Trainings teilweise auch durch.
Aber ich weiß jetzt nicht, was ich in 5 Tagen trainiere, kann maximal 2, 3 Tage vorplanen. Trainiert wird, wenn ich Zeit habe. Wenn ich frei habe, das Wetter passt, gebe ich Vollgas. Wenn es schwierig ist und ich merke, dass ich keine Energie habe, pass ich mich daran an. Vor fünf Jahren, wenn am Trainingsplan zwei Trainings gestanden sind, bin ich auch um neun am Abend noch laufen gegangen. Das mach ich aber nicht mehr, weil es mir nichts bringt.
Du bist auch sehr ernährungsaffin, kochst selbst, hast auch eine Ausbildung in dem Bereich. Wie hältst du es damit?
Auch das ist Planung, Planung, Planung. Ich koche vor, wenn ich Nachtdienst habe, zum Beispiel Aufläufe, die man dann am nächsten Tag auch essen kann. Ich will auch, dass sich meine Kinder gut ernähren. Ich bin für Einkauf, Küche, Kochen zuständig, kaufe die besten Produkte, schaue 100 Prozent auf die Ernährung – wenn ich schon nicht 100 Prozent trainieren kann. Mit der Ernährung geht das leichter, weil man viel besser vorplanen kann. Da kann ich alle Ressourcen nutzen und das ist sicher ein Plus, das ich anderen Sportlern voraushabe.
Wie sind deine Pläne für den Frühling 2024?
Ich bin leider nach Frankfurt länger krank gewesen, vielleicht hat das mein Körper auch gebraucht. Jetzt bin ich gerade wieder am Reinkommen. Der Fokus ist auf den April gerichtet – Linz, Wien, Wings For Life. Wenn ich, angenommen, mich nicht bereit fühle, in Linz den Marathon zu laufen, kann es sein, dass ich in Linz den halben und dann in Wien den ganzen laufe. Der Fokus liegt jedoch auf Linz: Wenn ich merke, ich kann dort performen, werde ich alles dafür tun, weil in Linz die Staatsmeisterschaften stattfinden.
Ist die Marathon-Olympiaqualifikation für Paris 2024 noch ein Thema?
Laut meinen Informationen müsste ich in Linz dafür Staatsmeister werden mit einer guten Zeit, 2:10, 2:11. Das ist sehr ambitioniert. Jetzt wo nicht alles perfekt gelaufen ist, glaube ich, dass es schwierig wird. Aber es wird auch keine Enttäuschung, wenn es nichts wird. Und wenn es mit Olympia was wird, nehme ich das gern mit. Es wäre ein Kindheitstraum, eigentlich unfassbar. Aber ich muss am Boden bleiben, weiß, woher ich komme, wie meine Voraussetzungen sind, beruflich, familiär. Deswegen gebe ich mein Bestes und dann schauen wir, was rauskommt.