Familie und Ultraläufe, Windel wechseln und trainieren. Vier Kinder und 350 Kilometer laufen am Stück – wie Trailrunnerin Sigrid Huber ihre beiden Leidenschaften unter einen Hut bringt.
 

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Das Ende der Welt scheint eine sehr bekömmliche Gegend zu sein. Sigrid Huber jedenfalls sieht aus wie das blühende Leben. Und ihrer Heimat Liebenau im Mühlviertel hat sie zwar den obigen, uncharmanten Beinamen gegeben, aber sie scheint ihr Kraft für Dinge zu geben, die sich sehr viele Menschen gar nicht vorstellen können, gar nicht vorstellen wollen. Allein 2019 ist die Oberösterreicherin beim Hochkönigman im Frühjahr 85 Kilometer durch die Berge gelaufen. Im Sommer hat sie den Großglockner-Ultra-Trail absolviert. Den ganzen wohlgemerkt, das sind 110 Kilometer mit 6500 Höhenmetern und 20 Stunden ohne Schlaf. Das alles als berufstätige Frau mit Familie und vier Kindern – und nur als Vorbereitung für den ganz normalen Wahnsinn. Dabei hat alles ganz anders begonnen. Mit Stadionleichtathletik. „Laufen, springen, werfen – das war einfach lustig.“ Mit 16 Jahren dann blitzte zum ersten Mal durch, was später ihre große Leidenschaft werden sollte.

„Da hab ich mich für den Halbmarathon in der Wachau angemeldet. Einfach so“, sagt Huber heute und lacht. Frisch und munter ist sie, eine junge, schlanke, große Frau mit schwarzen kurzen Haaren. Ihre Züge sind weich und nicht ausgezehrt. Mit einem Wort – man sieht ihr die Strapazen, das intensive Training nicht an. Nach der Schule studiert sie Medientechnik und -gestaltung. Daneben entdeckt sie das Mountainbike als Sportgerät und Leidenschaft. Sie fährt Rennen und bald schickt sie der Trainer im Radklub in den Weltcup. „Und der hat mich klassisch verheizt. Ich sollte unbedingt Weltcuprennen fahren, war aber chancenlos. Da verlierst schnell die Freude.“ Per Zufall kommt sie dann zu einem Langdistanztriathlon. Für die Challenge Roth gewinnt sie einen Startplatz, bereitet sich ein halbes Jahr mit Coach vor, finisht und stellt fest: „zu verbissen, zu ehrgeizig, zu wenig Spaß.“ Weil sie gerade in Seefeld lebt, meldet sie sich wenig später spontan für die erste Auflage des Zugspitz-Ultra-Trail an. „Zwei Tage später bin ich das 65-Kilometer-Rennen gelaufen und hab sofort gewusst: Das ist es.“ 

Alles fühlte sich so leicht und unbeschwert an. Trailrunning wird ihr Leben. Auch beruflich. Aus Ärger, dass es kein heimisches Trail-Magazin gab, startete sie mit einer Website und einem Veranstaltungskalender, später sogar mit einem gedruckten Magazin, „Trailrunning-Szene“. Sie lernt das Geschäft von der Pike auf, kümmert sich um Layout, Design, Druck, Geschichten, Anzeigen. Nach Jobs in der Webentwicklung und im Marketing stürzt sie sich bald voll in ihr Projekt. Norbert Wastian stößt dazu, der Anzeigen verkauft, heute hat sie „zumindest jemanden, der mir mit der Website hilft und die Buchhaltung macht.“ Arbeit, Training, Wettbewerbe und Familie – wie geht das? „Meine Partnerin unterstützt mich voll und das Training versuche ich in den Arbeitsalltag zu integrieren. Wenn ich daheim bin, bin ich daheim“, sagt Huber. Wäsche waschen, bügeln, kochen, spielen, Windel wechseln, aufräumen. Die Kinder sind 8, 4 und zweijährige Zwillinge. „Da ist immer was los.“ Trotzdem trainiert Sigrid Huber 10 Stunden die Woche. In ruhigeren Zeiten. „Im Frühjahr und Sommer werden es dann schon 16, 17.“
 

Schließlich will sie sich einen Traum verwirklichen: die Teilnahme am „Tor des Géants“ mit Start und Ziel in Courmayeur im italienischen Aostatal. 350 Kilometer, 30.000 Höhenmeter. Alleine. „Viele Leute haben mir davon abgeraten. Meiner Mama wäre es sicher lieber gewesen, wenn es mit dem Startplatz nicht geklappt hätte. Meine Frau war die Einzige, die mich motiviert hat, es zu versuchen.“ Auf Huber wartet eine Woche in den Bergen, bis in 3000 Meter Seehöhe, dafür kein Assistent an den Versorgungsstationen, wie ihn viele andere Läufer haben. „Dabei wäre das enorm hilfreich. Bei so einer Belastung weißt du oft nicht mehr, wo welche Sachen in der Tasche sind und was du für das nächste Teilstück brauchst.“ Strapazen hin, Einsamkeit her. Ganz oft hat sie auf der Strecke durch die Berge das Gefühl: „Genau da will ich jetzt sein.“ Raus aus der Komfortzone des Alltags. Nur laufen, gehen, essen, trinken und zwischendurch ein bisschen schlafen. Nie länger als eine gute Stunde. „Länger ist das auf den Life-Stations nicht erlaubt, weil es nicht so viele Betten gibt und ja alle Läufer einmal schlafen wollen.“ Nach den Schlafpausen hat sie immer Schüttelfrost. „Das war unglaublich hart. Du zitterst am ganzen Körper, kannst oft nicht einmal den Reißverschluss gscheit zumachen.“

Ans Aufgeben denkt sie nicht. Nur einmal. „Da war ich so knapp davor“, sagt Huber und bei ihrer dazugehörigen Geste passt zwischen Daumen und Zeigefinger gerade einmal ein Löschblatt. Am vierten Tag hat sie Nasenbluten, das sich nicht und nicht stoppen lasst. Sie verliert Kraft, wird blass und blasser. „Viele Läufer haben mich gefragt, ob sie einen Arzt rufen sollen.“ Sie aber schüttelt vorerst den Kopf. Mit letzter Kraft kommt sie zu einer Station, ein Arzt tamponiert ihr die Nase. Endlich wird es besser. Nach der Ruhepause ist sie aber so erschöpft, „dass ich mich im Bett nicht einmal umdrehen konnte“.Irgendwie geht es aber doch weiter. Schritt für Schritt. Der Körper erfängt sich ein wenig, „Aber ich bin oft stehen geblieben und hab auf der Karte geschaut, wo ich bin und wie es wäre, wenn ich jetzt aufgeben würde.“ Tut sie letztlich aber nicht, sondern kommt nach 144 Stunden ins Ziel. „Das erste Mal war ich richtig glücklich und es gab danach kein Loch, weil das Ziel weggefallen ist.“ Danach ist sie wochenlang müde, hat aber keine körperlichen Probleme. Der Alltag hat sie wieder. Geschichten schreiben, Windel wechseln, layoutieren, kochen, Deadlines einhalten, Wäsche waschen. Für 2020 hat sie noch keine großen Wettbewerbspläne. Hochkönigman vielleicht, Glockner eher nicht. Keine Jagd nach schneller, höher, weiter, kein Bessersein als letztes Mal dringt bei ihr an die Oberfläche. Gewiss ist nur eines: Den Tor des Géants will sie noch einmal laufen, diesmal mit Assistent. „Weil dieses Erlebnis in den Bergen zu laufen, über dir nur der ­klare Sternenhimmel, ringsum die gigantischen Berge, das ist unglaublich. Ein größeres Freiheitsgefühl gibt es nicht.“

Sigrid Huber
Sigrid Huber

ist Trailrunnerin und lebt mit ihrer Partnerin und den vier gemeinsamen Kindern in Liebenau im Mühlviertel (OÖ). Huber ist auch Herausgeberin des Magazins Trailrunning-Szene.
Mehr Info: www.trailrunning-szene.at