2017 brach er den Ironman-Weltrekord. Dann brach er sich das Genick. Ende der Durchsage? No Way! Der Brite Tim Don hat gezeigt, was wir erreichen können, wenn aufgeben keine Option ist!

Axel Rabenstein
Axel Rabenstein

Tim, wie hast du in Zeiten von ­Corona dein Training organisiert?
Ich bin auf der Rolle gefahren, war zum Laufen auf dem Band. Schwimmen konnte ich vorübergehend nicht. Trainieren war schon einfacher, aber derzeit gibt es kaum noch Einschränkungen. Und ich denke, wir nehmen viel aus dieser Krise mit.

Nämlich?
Wir sind so eng mit der modernen Welt verbunden, es geht immer nur um den Job, ums Geld. Jetzt können wir mal einen Schritt zurücktreten. Viele Menschen kultivieren ihre sozialen Kontakte, kümmern sich um ihre Familie, sprechen per Skype oder Whatsapp mit alten Freunden. Außerdem wird sich wohl das Home-Office etablieren. Und das ist eine gute Nachricht für unsere Umwelt, oder nicht? Ich sehe diese Krise als großartige Gelegenheit, unser Zusammenleben in Balance zu bringen.

Dein Leben besteht seit 1997 aus Ausdauersport: Macht das immer noch Spaß?
Na klar, ich muss nämlich nicht zur Arbeit! Aber mal im Ernst: Ich liebe meinen Job. Ich trage einfach das Verlangen in mir, mich immer wieder zu pushen.

Was ist so schön daran?
Es gibt Menschen, die zweifeln. Ihnen will ich zeigen, was möglich ist. Das hat nichts mit Feindseligkeit zu tun. Es geht um den inneren Antrieb, etwas schaffen zu wollen. Und es dann auch zu schaffen.

Woher kommt dieser Antrieb?
Ich denke, diese Besessenheit liegt in meiner Natur. Ich bin schon im Alter von acht Jahren Wettkämpfe geschwommen. Ich will mein Bestes geben und meine Stärke spüren.

Muss man das in sich haben? Oder kann sich das entwickeln?
Ich glaube nicht, dass man damit geboren wird oder nicht. Wir tragen das in uns. Dann geht es allerdings darum, mit welchen Menschen du dich umgibst. Welche Träume du hast. Und ob du bereit bist, hart für die Erfüllung deiner Träume zu arbeiten.

2017 hast du in Brasilien den bis heute gültigen Weltrekord für ein IRONMAN-Rennen aufgestellt. War das ein Traum von dir?
In erster Linie wollte ich dieses Rennen gewinnen und ich lag komfortabel in Führung. Zehn Kilometer vor dem Ziel rief mir mein Coach zu, dass ich den Weltrekord brechen werde, wenn ich so weiterlaufe. Plötzlich war ich schwer unter Druck. Ich wollte es nicht vermasseln.

Und dann? Vollgas?
Im Gegenteil. Erst einmal habe ich Tempo rausgenommen, damit ich nicht einbreche. Ich war ja schon sieben Stunden am Limit unterwegs. Den Rest des Rennens war ich extrem fokussiert. Bis zur nächsten Ecke laufen, das nächste Gel nehmen. Ans Ziel konnte ich gar nicht denken, bis ich dann wirklich in Weltrekordzeit ankam.

Was treibt einen ans Limit? Der Hunger nach Ruhm?
Als junger Athlet ging es mir definitiv um den Ruhm. Ich wollte auf dem Podium stehen und mich feiern lassen. Heute setze ich das in einen größeren Zusammenhang. Du gewinnst niemals alleine. Mein Coach, mein Physio, meine Familie – sie alle sind Teil meines Erfolgs. Es geht um viel mehr, als nur darum, ein Rennen zu gewinnen. Es geht darum, aus dem, was dir zur Verfügung steht, das Beste herauszuholen. Das macht einen zufriedenen Menschen aus dir.

2017 warst du einer der Favoriten auf den WM-Titel. Zwei Tage vor dem IRONMAN Hawaii dann dieser Radunfall. Wie erinnerst du dich daran?
Ich kam zwei Wochen vor WM-Start nach Kona. Ich war topfit, ruhte in mir und freute mich sehr auf den Wettkampf. Wir waren auf einer Trainingsfahrt. Da kam dieser Pick-up-Truck. Ich sehe mich bremsen, über den Asphalt schlittern. Dann wurde ich bewusstlos. Als ich aufwachte, tastete ich mein Schlüsselbein ab, stellte zufrieden fest, dass es nicht gebrochen war. Ich dachte immer noch, ich könnte starten. Die Leute um mich rum riefen aber, ich solle mich nicht bewegen. Dann wurde ich wieder bewusstlos.

Wann wurde dir klar, dass du schwer verletzt bist?
Die Ärzte wollten mir Morphium geben. Ich lehnte ab, um meinen Start nicht zu gefährden. Ich trug schon eine Halskrause und drei Krankenschwestern halfen mir behutsam in die Röhre. Nach dem Röntgen waren es plötzlich acht Krankenschwestern. Jede von ihnen hielt einen anderen Teil meines Körpers. Da schwante mir, dass es übel aussah.

Wie hast du reagiert?
Ich habe bitterlich geweint, am ganzen Körper gezittert. Mein Manager Franko und die Schwestern hielten mich fest. Sie hatten Angst, ich würde noch mehr kaputtmachen. Dann sagte ich: Okay – ihr könnt mir jetzt das Morphium geben.

Die Diagnose war niederschmetternd: Bruch des Halswirbels. Man hat dir vier Löcher in den Kopf gebohrt und dich in einem Stahlgestell fixiert. Wann kam die Idee für ein Comeback?
Fünf Wochen später. Ich setzte mich eher zum Spaß auf ein Ergometer, bekam gerade mal 118 Watt getreten. Aber auf einmal sagte ich mir: Ich werde es allen zeigen. Ich komme zurück! Endlich war ich wieder ich selbst, denn ich hatte eine Herausforderung.

Ist es das, worum es im Leben geht?
Für mich definitiv. Es geht darum, was du für dich schaffst. Ein Beispiel: Der IRONMAN 70.3 St. George im Jahr 2017 war eines meiner größten Rennen. Obwohl ich hinter Alistair Brownlee, Lionel Sanders und Sebastian Kienle nur Vierter wurde.

Das sind aber auch ein paar harte Jungs ...
Eben. Es war ein gnadenloser Kampf. Am Tag nach dem Rennen spürte ich genau, wie hoch meine Leistung einzuschätzen war. Ergebnis und Leistung sind zwei grundverschiedene Dinge. Würde Patrick Lange dieses Jahr in Kona gewinnen, würde ihm das vielleicht mehr bedeuten als seine beiden Siege zuvor. Weil er 2019 ausgeschieden ist. Weil er seine Dämonen besiegt und sich zurückgekämpft hat.

Woher hast du die Energie für dein ­Comeback genommen?
Als das Stahlgestell runterkam, hatte ich monatelang meinen Oberkörper nicht bewegt. Wir mussten jeden einzelnen Halsmuskel behutsam aufbauen. Das war hart. Aber wir machten Fortschritte. Und am Ende geht es im Ausdauersport doch immer um das Gleiche. Du musst die Balance zwischen Besessenheit und Geduld finden, dich kontinuierlich pushen – aber auch erholen.

Sechs Monate und fünf Tage nach deiner Verletzung hast du beim Boston- Marathon mit 2:49:42 h ein bestauntes Comeback gefeiert. Dein größter Sieg?
Definitiv. Wochenlang war das Einzige, was ich tun konnte, daran zu glauben zurückzukehren. Das Ziel war so weit entfernt. Es dann erreicht zu haben, war ein besonderer Moment.

Setzt du seit deinem Unfall andere Schwerpunkte? Zuletzt hast du an Wettkämpfen wie dem SOS Curaçao oder dem Patagonman in Chile teil­genommen.
Der Patagonman ist spektakulär, du schwimmst im Dunkeln durch eiskaltes, spiegelglattes Wasser. Dann geht die Sonne über den Bergen auf, das ist unvergesslich. Curaçao ist das komplette Gegenteil, da siehst du die Fische und sogar ein Schiffswrack unter dir. In meiner ITU-Karriere ging es jahrelang nur um Höchstleistung. Nun habe ich Freude daran, meine großen Ziele mit besonderen Wettkämpfen zu mischen.

Und jetzt? Wie bereitest du dich auf eine Saison vor, die es noch gar nicht gibt?
Im März hatte ich einen harten Trainingsblock. Dann kamen einige entspannte Einheiten und nun haben wir die Intensität wieder erhöht.

Bleibt Kona – trotz Corona – das große Ziel?
Die WM wurde in den Februar 2021 verschoben. Noch weiß niemand genau, wie die Qualifikation laufen soll. Natürlich möchte ich dabei sein, denn ich mache mir keine Illusionen: Ich werde im Jänner 43. Es ist wohl meine letzte Chance als Profi in Kona anzutreten.

Fehlt dann was im Leben des Tim Don?
Es ist wichtig, sich immer wieder neue Herausforderungen zu suchen. Und davon gibt es genug! In Nepal findet im November ein Triathlon in großer Höhe statt. Das reizt mich. Und könnte für dieses spezielle Jahr 2020 ein außergewöhnliches Highlight werden.

Tim Don über Obsession: Der Brite zeigt, was möglich ist, wenn man nie aufgibt!
Timothy Philip „Tim“ Don

wurde am 14.1.1978 in London geboren. Er nahm als Triathlet an drei Olympischen Spielen teil, wurde Weltmeister im ITU Duathlon (2002), ITU-Aquathlon (2005) und ITU-Triathlon (2006). Beim IRONMAN Brasilien 2017 stellte er mit 7:40:23 einen Weltrekord auf. Zwei Tage vor dem IRONMAN Hawaii 2017 brach er sich bei einem Autounfall einen Halswirbel (C2). Drei Monate musste er ein „Halo“-Stahlgestell tragen. Ein Jahr nach seinem Unfall war er wieder zurück und finishte als 36. bei der WM in Kona/Hawaii.
WEB: www.timdon.com