Mathias Berthold hat im Skisport Olympiasieger und Weltmeister geformt. Gemeinsam mit dem Psychologen Bardia Monshi gibt der Vorarlberger jetzt jedermann Einblick in mentale Strategien der Sieger. Warum der ­echte Erfolg nicht im Ergebnis, sondern in der Entwicklung liegt.

Christof Domenig
Christof Domenig

Der Name Mathias Berthold steht für Erfolg. 2006 bis 2010 war der Vorarlberger Damen-Cheftrainer im Deutschen Skiverband, 2010 bis 2014 Herren Cheftrainer bei den österreichischen Alpinskistars, 2014 bis 2019 dann bei den deutschen Herren. Fünf Goldmedaillen bei Olympischen Spielen und ebenso viele bei Weltmeisterschaften erreichten seine Athletinnen und Athleten. Große Beachtung fand aber auch der Aufstieg der deutschen Speed-Skifahrer in seiner Ära: mit den deutschen Kitzbühel-Siegen von Thomas Dreßen (Abfahrt 2018) und Josef Ferstl (Super-G 2019).

Als aktiver Athlet wurde Berthold 1993 Profi-­Slalom-Weltmeister in Aspen. Im Ski-Weltcup schlug er sich davor trotz Teilerfolgen jedoch unter Wert. Auch, weil er an mentalen Schwächen scheiterte. Entsprechend hoch bewertete er in seiner Trainerkarriere stets die Kraft der Gedanken.Seit 2019 ist Berthold Mentalcoach, unter anderem beim deutschen Fußballbundesligaclub 1. FC Nürnberg. Mit dem Wiener Psychologen Bardia Monshi schrieb er jetzt ein Buch über mentale Stärke: Warum ein stabiler Geist für Profi- und Hobbysportler im Berufs- wie im Privatleben und überhaupt „im Alltags­dschungel“ das Um und Auf ist: Das haben wir von dem Autorenduo erfragt.

Vom Einzel- zum Teamsport und vom Skisport zum Fußball: War das zuletzt für Sie nicht eine radikale Veränderung?
Mathias Berthold: Dazu muss ich zuerst festhalten, dass die Position beim 1. FC Nürnberg nur ein Teil meines Betätigungsfeldes ist. Ich betreue auch Einzelsportler als Individualcoach in Sachen mentale Strategien und Persönlichkeitsentwicklung. Was den 1. FC Nürnberg angeht, ist es natürlich in verschiedenen Bereichen eine neue Erfahrung, die ich machen darf. Am Ende des Tages geht es jedoch darum, dass jeder Sportler in jedem Moment auf seinem möglichst besten Niveau agiert – ob im Mannschafts- oder in einem Einzelsport, ist nicht entscheidend. Je besser jeder Spieler sein Leistungsvermögen abruft, desto mehr hilft er sich selbst und eben auch dem Team.

Sie haben den Schritt weg vom Skisport sinngemäß auch damit begründet, dass er Sie aus Ihrer Komfortzone führt.
Berthold: Aus meiner Sicht ist die Arbeit wie das Leben an sich ein ständiger Prozess. Wenn man sich dauernd in seiner Komfortzone aufhält, wird man sich ganz schwer weiterentwickeln. Dinge werden zur Routine und es besteht die Gefahr, sich mit dem Erreichten zu begnügen. Damit tritt Stillstand in der persönlichen Entwicklung ein. Ich sehe jede Herausforderung als neue Motivation und als Impuls, um mich weiter zu verbessern.

„Raus aus der Komfortzone“ passt zu Ihrem gemeinsamen Buch: Dass der Mensch nach Wachstum und Entwicklung strebt, unter gewissen Voraussetzungen über sich hinauswachen kann, ist darin eine Grundthese.
Bardia Monshi: Ich wollte schon lange ein Buch schreiben. Dieses Vorhaben war aber tatsächlich außerhalb meiner Komfortzone. Mit Mathias wollte ich es schreiben, weil ich erkannt habe, dass er sehr ähnliche Herangehensweisen in der Arbeit mit seinen Athletinnen und Athleten hat wie ich mit den Menschen aus der Arbeitswelt. Die Verbindung zu zeigen fanden wir spannend.
­
Sie sind beide in jungen Jahren mental gescheitert, ist zu lesen. Worin bestand für Sie jeweils dieses Scheitern?
Berthold: Ich kann in meiner Karriere als aktiver Sportler sicher auf ganz ordentliche Erfolge zurückblicken, aber eben nur „ganz ordentliche“. Ich denke, ich hätte wesentlich mehr erreichen können, wenn ich mich in verschiedenen Phasen professioneller verhalten hätte, wenn ich besser geführt worden wäre. Und wenn ich damals schon das Wissen und die Erfahrung von heute gehabt hätte. Deshalb war es mir als Trainer und ist es auch jetzt ein großes Anliegen, diese Erfahrungen und dieses Wissen weiterzuvermitteln. Monshi: In meinem Fall bestand das Scheitern einfach darin, dass ich mein Potenzial in bestimmten Situationen nicht abrufen konnte. Das fing im Tennis an, wo ich an meiner Nervosität scheiterte, in meiner Familie, in der es nicht immer gelang, Schwierigkeiten gut zu meistern, in der Schule, wo ich manchmal nicht umsetzen konnte, was ich mir vornahm.

Hätten Sie sich jemanden gewünscht, der Sie mental führt? Und wird im Sport heute stärker auf das Mentale geachtet als damals?
Berthold: Ich weiß nicht ob ich mir das gewünscht hätte, aber mit Sicherheit, dass ich es gebraucht hätte. Es hätte jemanden gebraucht, der sich erst einmal mein Vertrauen erarbeiten hätte können. Mit diesem ersten Schritt hätte ich mit dieser Person einen Prozess einleiten können, der mir Unterstützung hätte geben können, mich zu verbessern.  Das Angebot heute ist durchaus vorhanden, hängt allerdings von den handelnden Personen ab. Ich habe als Cheftrainer versucht, Sportpsychologen in das Team zu integrieren und dabei sehr positive Erfahrungen gemacht. Dies funktioniert aber nur, wenn das gesamte Team hinter solchen Maßnahmen steht. Monshi: Ich hätte mir systematisches Training gewünscht. Ich muss aber sagen, dass ich einen Trainer hatte, der mental sehr stärkend für mich war. In den letzten 20 Jahren hat sich extrem viel getan, insbesondere deshalb, weil immer mehr Topstars zugeben, dass sie sich mental unterstützen lassen.

Man könnte mutmaßen: Ohne das Scheitern in jungen Jahren wären Sie später vielleicht nicht so erfolgreich geworden?
Monshi: Das ist leider in jedem Fall so. Ein Sprichwort sagt: Der Meister ist wesentlich öfter gescheitert, als es der Lehrling versucht hat. Das ist vielleicht eines der wichtigsten Erfolgsrezepte: Sei bereit zu scheitern und daraus zu lernen. Beruflich ist das für mich ein wichtiges Motto: Wenn ich aufhöre zu scheitern, entwickle ich mich nicht mehr weiter. Und Weiterentwicklung ist der echte Erfolg. Nicht das Endergebnis. Berthold: Natürlich können aber auch positive Erfahrungen aus der Vergangenheit die notwendigen Impulse geben, um im nächsten Schritt die erfolgreichen Erfahrungen in positive Energie und zielführende Maßnahmen umzusetzen.

Den Hochleistungssport bezeichnen Sie als „Vergrößerungsglas“ für die mentalen Wirkkräfte, die in allen Lebensbereichen eine große Rolle spielen. Können Sie das kurz erklären?
Monshi: Im Sport ist es ganz offensichtlich, dass man mental stark oder schwach sein kann. Nehmen wir ein Fußballspiel her: Man muss sich zur richtigen Zeit beruhigen können und die Nerven behalten. Man muss sich motivieren können, auch wenn es mal nicht gut läuft. Man braucht Mitmenschen, die einen unterstützen. Man muss positiv denken und selbstkritisch bleiben. Man darf sich auf den Lorbeeren nicht ausruhen und überheblich werden ... Jetzt setzen Sie einfach statt des Fussballspiels das Berufsleben oder das Familienleben ein.

Stark im Kopf

Jede Herausforderung ist ein Impuls, mich weiter zu verbessern.

Mathias Berthold

Unsere Leser sind Hobby- und Freizeitsportler in der gesamten Bandbreite: von Gesundheitssportlern bis hin zu sehr ehrgeizigen Hobby-Leistungssportlern. Kann man mentale Strategien aus dem Spitzensport auch im Hobbysport anwenden?
Monshi: Unbedingt. Das Interessante ist, dass die mentalen Kräfte in jeder Könnerstufe gleichermaßen gefordert werden. Wir sind da alle gleich. Berthold: Es geht darum, die wertvollen Erfahrungen, die wir im Sport machen, auf gewisse Lebenssituationen umzumünzen. Hochleistungssport besteht aus höchstem Leistungsdruck und enorm hohen Anforderungen. Wie aktive Sportler und Betreuer mit solchen Momenten und Situationen umgehen, welche Strategien dabei angewendet werden und wie man in jedem Moment versucht, dabei sein optimales Leistungsvermögen abzurufen, kann jedem Einzelnen dabei helfen, lösungsorientiert zu agieren.

Das Bedürfnis nach „Selbstoptimierung“ wird heute auch überstrapaziert: Wir sollen für unsere Familie immer da sein und beruflich nach Höherem streben, uns perfekt ernähren und einen Modellkörper antrainieren: Diese – auch durch Selbstdarstellung in sozialen Medien – verbreitete Haltung sehen Sie im Buch kritisch ...
Monshi: Wir leben in einer Welt, die einem ständig zuflüstert: Die könntest besser, schöner, schlauer, reicher sein. Diese Botschaft macht Angst. Die einen kämpfen nun verzweifelt darum, aus sich Exzellenz, Schönheit, Intelligenz, Reichtum herauszuholen. Dann übertreiben es manche und höhlen sich aus.  Aber das Leben kann nur gut, schön und bereichernd sein, wenn wir finden, was uns ganz persönlich trägt. Dafür müssen wir die Entscheidungen mutig treffen, wofür wir einstehen möchten, wohin wir uns persönlich entwickeln wollen. Wer auf zu vielen Bällen tanzen möchte, der muss Walzer, Boogie und Rumba gleichzeitig tanzen. Das kann nur komisch werden, insbesondere dann, wenn man eigentlich gar nicht auf Bällen tanzen möchte.

Im Spitzensport wie im Leben gilt auch: Wer verkrampft, wird nicht gewinnen. Eine gewisse Lockerheit braucht es wohl auch für starke Leistungen. Welche Rolle spielt für Sie Humor im Leistungssport und welche im Alltagsdschungel?
Berthold: Humor, gute Laune und Lockerheit sind auf alle Fälle von hoher Bedeutung. Wir alle brauchen Pausen, um geistig und körperlich nicht zu ermüden. Diese Pausen dienen dazu, sich zu erholen, Energie zu tanken und um ein wenig abschalten zu können. In diesen Phasen Spaß zu haben und locker zu sein ist ein wesentlicher Faktor, um die „Energietankstelle“ optimal zu nutzen. Bei der Ausführung von wichtigen Tätigkeiten sollte dann der Fokus wieder ganz klar im Prozess liegen. Monshi: Einer meiner wichtigsten Lehrer, Viktor Frankl, sagte einmal: Das Vernünftigste ist, nicht allzu vernünftig zu sein. Es ist besser, wir lachen über die Dinge und uns selbst, bevor wir unter den Dingen und uns selbst leiden. Humor, olé!

Sie sind Fan der Hard-Rock-Band Nazareth: Hilft auch eine gewisse „Rock Attitude“ am Weg zum Erfolg?
Berthold: Die Musik von Nazareth hat mich mein ganzes Leben begleitet. Ich kann mich an keinen Moment erinnern, bei der die Musik dieser Band keine Rolle gespielt hat. Der „Rocker“ spielte in gewissen Momenten sicherlich eine sehr wichtige Rolle, in anderen Situationen war aber auch schon mal was Beruhigendes und sogar Melancholisches angesagt. Gott sei Dank kann Nazareth mit ihrer Vielseitigkeit alle Stimmungen bedienen. Deshalb würde ich sagen, dass die „Rock Attitude“ für mich nicht zwingend notwendig war, die Musik an sich aber immer sehr wichtig war und immer sein wird.

Stark durch die Krise
In seiner „EleMental“-App bietet der Psychologe Bardia Monshi eine Vielzahl von wissenschaftlich fundierten Übungen für mentale Stärke. Die Übungen stärken auch das Immunsystem: Ein Grund, warum seit Ausbruch der Coronakrise alle Zugänge zur App für drei Monate kostenlos sind.
www.elemental-app.at

Stark im Kopf

Bardia Monshi, Mathias Berthold: 
Positiv denken allein hilft auch nicht. 
Mentale Kraft für den Dschungel des Alltags. 
Echomedia Verlag 2019, € 24,90.

Stark im Kopf
Dr. Bardia Monshi

ist Psychologe und Gründer des Instituts für Vitalpsychologie in Wien.
Web: www.vitalpsychologie.atwww.elemental-app.com

Stark im Kopf
Mathias Berthold

ist einer der erfolgreichsten Ski-Nationaltrainer in Österreich und Deutschland. Seit 2019 als Mentalcoach selbstständig.