Haben Sie Rückenschmerzen? Bereits vier von zehn Österreichern – Sportler ebenso wie Nichtsportler – beantworten diese Frage mit „Ja“. Wo liegen die Ursachen für diese bundesweite „Schmerz-Welle“? Wie kann man vorbeugen, heilen, lindern? SPORTaktiv geht diesen Fragen hier und in den nächsten Ausgaben auf den Grund – und erfährt gleich zum Start: Es ist eigentlich alles nur halb so schlimm ...

Von Linda Freutel


Dass das „Leiden mit dem Kreuz“ auch in Österreich zur Volkskrankheit Nummer eins geworden ist und die Gesundheitssysteme mit stetig steigenden Kosten belastet, ist kein Geheimnis mehr, sondern von den Krankenkassen nachgewiesener Fakt: „Rückenschmerzen sind der dritthäufigste Grund, weshalb Ärzte konsultiert werden – und der häufigste Anlass für Reha-Maßnahmen.“

„Fakt ist aber auch, dass sehr viel Humbug beim Thema Rückenschmerzen, bei deren Ursache und Prävention, vor allem aber bei deren Behandlung kursiert“, sagt Univ.-Prof. DDr. Josef Niebauer, Kardiologe und Sportmediziner der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg. „Die Wahrheit ist: Ängste, Vorurteile und vor allem auch eine große Portion Faulheit machen Rückenschmerzen oft größer und komplizierter, als sie eigentlich sind.“

Der Mediziner sagt es sogar noch deutlicher: „Die meisten Rückenschmerzen sind hausgemacht und werden in ihrer Ernsthaftigkeit überbewertet. Denn in vielen Fällen kommen die Schmerzen nicht von körperlichen Schädigungen, sondern von mangelnder Bewegung und sind höchstens Warnzeichen oder Vorboten für einen drohenden Schaden. Wirklich gravierende Schädigungen oder Verletzungen sind deutlich seltener als meist angenommen.“

REINE EINSTELLUNGSSACHE
Der Salzburger Mediziner steht mit seiner Meinung nicht allein da – auch der deutsche Professor Heiner Raspe sagt, dass Schmerzen im Kreuz „bei den Menschen viel zu schnell den Status einer Krankheit bekämen, obwohl sie in den meisten aller Fälle nur eine harmlose und vor allem vorübergehende Befindlichkeitsstörung sind“. Wie es auch seine Studie der Uniklinik in Lübeck belegt: 90 Prozent der dabei untersuchten Rückenschmerzen waren nach vier bis sechs Wochen wieder verschwunden – „und zwar ganz ohne Behandlung ...“

Die Ursache für dieses ständige Kreuz mit dem Kreuz steckt für beide Mediziner in vielen Fällen nicht im Kreuz, sondern im Kopf der Betroffenen: „Rückenschmerzen sind oft mit einer starken Angst vor schweren Schäden und einer pessimistischen Einstellung zur Verbesserung des Zustandes verbunden.“ Wie deutlich die innere Einstellung mit dem Schmerzempfinden zusammenhängt, hat Professor Raspe in einer Unternehmensstudie aufzeigen können: „60 Prozent der rückenschmerzbedingten Krankschreibungen gingen zurück, nachdem ein Arzt den Testpersonen die Geringfügigkeit ihrer Schmerzen attestierte und den Beschwerden so der Status einer ernsten Krankheit genommen wurde.“

KEINE ANGST VOR BEWEGUNG
Auch Prof. Niebauer kennt die psychische Komponente beim Thema Rückenschmerzen – vor allem im Zusammenhang mit einer sinnvollen Prävention, Therapie und dauerhaften Erhaltung eines gesunden, schmerzfreien Rückens: „Es ist eine gewisse Unsicherheit und Furcht, aber vor allem ist es bei vielen Menschen leider auch die Unlust an körperlicher Betätigung, die ihnen auf dem Weg zur Schmerzfreiheit im Weg steht.“

Genau genommen ist der Mangel an Bewegung sogar der häufigste Auslöser beim angeblichen „Volksleiden“ Rückenschmerz. „Das Schlimme daran ist: Die meisten Menschen bewegen sich nicht nur zu wenig – sie glauben oft sogar, dass Bewegung gerade bei Rückenschmerzen etwas Schädliches ist“, sagt Dr. Niebauer. Fatalerweise habe auch die Medizin zu diesem großen Irrglauben beigetragen – „bis zum heutigen Tag gibt es Ärzte, die bei Schmerzen als Allheilmittel Schonung und Ruhigstellung verschreiben. Da darf es niemanden wundern, dass sich die Menschen immer weniger bewegen.“

Doch warum wird so oft noch immer davon abgeraten? Niebauer vermutet: „Wenn man einem Patienten nach erfolgter Diagnostik mit Recht zu mehr Bewegung rät und es dann etwa aufgrund von Nichtbefolgens der Trainingsanweisung zu einer Verschlechterung der Schmerzen kommt, dann ist automatisch der Arzt schuld. Rät er hingegen zu Bewegungsabstinenz, so entspricht das oft der Erwartungshaltung der Patienten und der Arzt wird nicht zum Buhmann, wenn die Beschwerden dadurch dann doch schlimmer werden.“

SPORT: PRÄVENTION UND MEDIZIN
Längst weiß man: Wer rastet, der rostet nicht nur, sondern verstärkt sogar seine Beschwerden! Umgekehrt gilt: Je aktiver ein Mensch ist, desto fitter und schmerzfreier fühlt er sich. „Sport ist Medizin, Prävention und Glückstherapie in einem. Und das Einzige, was man beim Sport falsch machen kann, ist, keinen Sport zu treiben“, sagt unser Experte.

In Ländern, in denen weniger am Computer und mehr im Freien und mit Körpereinsatz gearbeitet wird, sind Rückenleiden (ebenso wie andere Zivilisationskrankheiten) tatsächlich deutlich seltener. Und auch in unseren Breitengraden ist erwiesen, dass es in wirtschaftlich schlechten Zeiten weniger Rückenschmerzen gab als in den fetten, faulen Jahren.

„Es ist zum Großteil unsere Bequemlichkeit, die Schmerzen bereitet.“ Denn, um das für einen starken Rücken nötige Maß an Bewegung aufzubringen, muss der (Büro-)Mensch von heute einiges tun. „Das ständige Sitzen, die Fehlhaltung am Computer, aber auch die goldenen Pfunde auf der Hüfte und die Abende auf dem Sofa müssen eben kompensiert werden.“ Daraus folgt die gute Nachricht: Sportler sind auch laut unzähliger Studien die klaren Gewinner in puncto Schmerzfreiheit! Wer seinen Körper stärkt, macht sich automatisch auch stark gegen Schmerzen. Allerdings hebt Josef Niebauer auch hier wieder den Finger: „Nicht jeder, der ein paar Turnschuhe besitzt, ist ein Sportler. Natürlich ist auch leichte Bewegung besser als gar nichts, wer sich aber einen gesunden Rücken verdienen will, der muss mehr dafür tun. Es muss mehr Mut und Motivation zum Sport entstehen.“

Vor allem bei chronischen Rückenschmerzen ist Sport die beste Medizin. Niebauer: „Ich habe Patienten, denen Sport aus ärztlicher Sicht zunächst gänzlich untersagt wurde. Daraufhin haben wir gemeinsam Trainingspläne erstellt. Und heute sind diese Menschen nicht nur beschwerdefrei – sie laufen sogar einen Halbmarathon.“

ZU VIEL BEWEGUNG GIBT ES NICHT!
Übrigens sei auch die verbreitete Furcht vor Überlastungen in der Regel unbegründet. „Der normale Hobbysportler redet vielleicht gern von Überanstrengungen und Übertraining. Solche Extreme kommen aber maximal im Spitzensport vor“, so Prof. Niebauer. Auch hier gilt: Wer mit seinem eigenen Körpergewicht trainiert, das Training vernünftig und am besten unter professioneller Anleitung aufbaut, keine medizinischen Risikofaktoren aufweist, nachweislich über eine gesunde Wirbelsäule verfügt und nicht unter einer akut schmerzenden Schädigung leidet, der kann im Prinzip nichts falsch machen.

Um sicher zu gehen – aber auch, um das gute Gefühl der Gewissheit zu haben – rät der Mediziner bei Rückenschmerzen in jedem Fall zu einem Check bei einem Sportmediziner, ehe man ein Training beginnt.

VORSICHT BEI AKUTEN SCHMERZEN
Aber was tun, wenn Rückenschmerzen eben doch echte Schädigungen als Ursache haben? Was ist bei akuten Bandscheibenvorfällen, eingeklemmten Nerven oder Wirbelverschiebungen. Auch dann bleibt der Mediziner seiner Linie treu: Nur Stillstand sei der Tod. „Wer auf der rechten Seite akute Schmerzen hat, kann noch immer mit der linken Seite trainieren.“ Oder anders gesagt: Natürlich muss die akute Schädigung in Ruhe ausgeheilt werden. Das heißt aber nicht, dass der ganze Körper deshalb untätig bleiben muss. „Gute Mediziner und Physiotherapeuten finden genug Möglichkeiten und Ersatzsportarten, damit der Patient dennoch fit und in Bewegung bleiben kann.“

AUSDAUER ODER KRAFT?
Als großer „Rücken-Benefit“ von Sportlern galten bisher die Muskeln. Eine kräftige Muskulatur stützt das Skelett, hält die Wirbel in der Schiene, in der sie funktionieren sollen und entlastet den übrigen Bewegungsapparat. Die positiven Nebeneffekte einer starken Muskulatur sind ebenfalls bekannt: Hohe Energieeffizienz, gute Nähr- und Sauerstoffversorgung im Organismus, Verletzungsprävention und vieles mehr. Experten wie Niebauer raten daher zu gezielten Kräftigungsübungen (idealerweise mit dem eigenen Körpergewicht anstatt mit externen Gewichten) für eine straffe Körpermitte, also Rücken, Bauch und Po.

Immer öfter wird aber auch dem Ausdauersport eine wichtige Bedeutung in puncto Rückengesundheit beigemessen. Studien der Uniklinik Münster ergaben, dass eine Probandengruppe von Ausdauersportlern deutlich weniger Rückenschmerzen hatten, als ihre Vergleichsgruppe von Kraftsportlern. Denn beim Ausdauersport passiert nicht nur automatisch die für den Rücken wichtige Muskelkräftigung – es verbessert sich die Fitness und das Wohlgefühl insgesamt. Und dieses Gesamtpaket wirkt sich positiv auf das Wohl des Rückens aus.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Josef Niebauer / Bild: KK
Der Experte

UNIV.-PROF. DR. DR. JOSEF NIEBAUER ist Sportmediziner und Kardiologe der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg.

Kontakt:sportmedizin@salk.at


TEIL 2: NACKEN, SCHULTER, LENDENWIRBEL:
In der Dezember-Ausgabe beleuchten wir die einzelnen Rückenbereiche, suchen die typischen Ursachen für Schmerzen in der jeweiligen Region, zeigen euch Übungen, die vorbeugen bzw. lindern und helfen.


Zum Weiterlesen: