Viele Mythen und Vermutungen ranken sich ums Trinken in Sport und Alltag. Passend zum Sommerbeginn betreiben wir, gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Sporternährung, umfassende – und notwendige Aufklärungsarbeit.
Haile Gebrselassie ist in vielerlei Hinsicht ein „Ausnahmeathlet“. Das Schwitzverhalten des Wunderläufers wurde tatsächlich einmal wissenschaftlich unter die Lupe genommen und dabei stellte sich heraus, dass der Verlust von sechs Prozent seines Körpergewichts durchs Schwitzen seiner Wettkampfleistung mehr nützte, als ihm der damit verbundene Flüssigkeitsmangel schadete.
So viel zu den Ausnahme(athlete)n, die nur die Regel bestätigen: „Diese Erkenntnis ist ausschließlich auf Haile selbst und niemanden anderen anwendbar“, stellt SPORTaktiv-Expertin Mag. Dr. Manuela Konrad klar. Der allgemein gültige Stand der Wissenschaft lautet – vereinfacht zusammengefasst – nämlich so: Schon ein minimaler Flüssigkeitsmangel durch zu wenig Trinken führt zu deutlich merkbaren Leistungseinbußen. Im Alltag und im Sport.
Auch interessant: Die 5 hartnäckigsten Trinkmythen im Faktencheck.
WARUM TRINKEN?
Grundsätzlich besteht der menschliche Körper zu 50 bis 60 Prozent aus Wasser, ein Muskel sogar zu 75 Prozent. Die höhere Muskelmasse ist auch die Erklärung, warum der männliche Körper im Schnitt einen etwas höheren Wasseranteil aufweist als der weibliche. Aber egal, ob Männlein oder Weiblein: Wasser geht ständig verloren. Vieles unbemerkt übers Atmen, viel wird über die Hautoberfläche „abgedampft“. Dieses Schwitzen dient der Temperaturregulierung des Körpers: Steigt die Außentemperatur, fährt auch dieses körpereigene Kühlsystem hoch. Strengen wir uns an, etwa beim Sport (aber z. B. auch mit zunehmender Seehöhe), beschleunigt sich die Atmung – wir schwitzen mehr, verbrauchen mehr Flüssigkeit. Und diese Flüssigkeit muss man ausgleichen – durchs Trinken. So weit, so einfach.
FOLGEN VON DEHYDRATATION
Beim Schwitzen geht aber mehr verloren, zum Beispiel auch Elektrolyte wie Natrium. Aber dazu später mehr. Bleiben wir vorerst beim Flüssigkeitsmangel, den die Wissenschaft korrekt als „Dehydratation“ (und nicht wie oft zu hören „Dehydration“) bezeichnet: Wie also zeigt sich dieser Flüssigkeitsmangel? Die ersten spürbaren Folgen sind Konzentrationsschwäche und Nachlassen körperlicher Leistungsfähigkeit.
Beim Sport leiden konkret als erstes koordinative Fähigkeiten: Die Fehlerquote steigt und ebenso die Verletzungsgefahr. Was man zum Beispiel beim Fußballspiel, wo ja im Match nur getrunken werden darf, wenn es der Schiedsrichter erlaubt, gut wissenschaftlich nachgewiesen hat. Im Alltag – in der Schule, im Job und auch im Sport – ist auch das Nachlassen der Konzentrationsfähigkeit unmittelbar leistungsmindernd.
Mit fortschreitendem Flüssigkeitsmangel tut sich im Körper selbst aber noch viel mehr. „Zum Beispiel werden die wichtigen körpereigenen Kohlenhydratreserven schneller verbraucht“, weiß Dr. Manuela Konrad. Also echt „bad news“ für Ausdauersportler. „Die Körpertemperatur steigt an, weil sich die Hitze nicht mehr so gut auf den Körper verteilen kann. Das Blutvolumen verringert sich, es dickt ein. Krämpfe, Hitzschlag, Organversagen drohen. Oder wenn es sehr kalt ist, zum Beispiel in großer Höhenlage, frühere Erfrierungen, weil Finger und Zehen nicht mehr so gut durchblutet werden.“
LERNEN, MÄNGEL ZU ERKENNEN
Das Gemeine dabei: Durst ist nur ein äußerst unzureichender Indikator dafür, dass bereits Flüssigkeit fehlt. Allenfalls zum Gesundbleiben reicht’s, wenn man „ad libitum“ trinkt, also lediglich dem Durst gehorchend – was in Wahrheit aber die meisten Menschen machen.
Allen, die auf Leistungsfähigkeit wert legen, empfiehlt die Expertin, ein Gefühl für den eigenen Bedarf zu entwickeln. „Faustformeln gibt es natürlich auch, die sind aufgrund der vielen Unwägbarkeiten wie Bewegungsumfang, Außentemperatur, genetische Disposition usw. aber sehr ungenau.“ Daher hier die Expertentipps, wie du ein gutes Gefühl für deinen Trinkbedarf entwickeln kannst:
MIT DER WAAGE
Für Sportler ist eine regelmäßige „Trinkwägung“ zu empfehlen, idealerweise im Rahmen von einstündigen Sporteinheiten, weil dabei noch nicht getrunken werden muss. So geht’s: Vorher und nachher ohne Gewand abwiegen und auf die Differenz achten, die praktisch gleichbedeutend mit deinem Flüssigkeitsverlust ist. An heißen Tagen kann man beim Sport bis zu zwei Liter pro Stunde schwitzen, also zwei Kilo Gewichtsdifferenz „aufreißen“. Wer das regelmäßig und in verschiedenen Jahreszeiten überprüft, bekommt ein gutes Gefühl für seinen Verbrauch.
MIT DER FARBSKALA
Für Sportler und Nichtsportler gut geeignet ist die „Armstrong-Scale“. In den USA hängt diese Farbskala bei vielen Profisportlern auf der Toilette: Sie zeigt, welche unterschiedlichen Farben Urin haben kann, und welche er bei optimalem Flüssigkeitshaushalt haben sollte.
BEOBACHTUNG
Dieser Tipp gilt generell für jede(n): Stets aufmerksam beobachten, wie du dich fühlst, wenn du wie und in welcher Menge trinkst.
DIE EXPERTIN
MAG. DR. MANUELA KONRAD ist Diätologin, Mitarbeiterin des Sportwissenschaftlichen Labors an der FH JOANNEUM Bad Gleichenberg, Lehrbeauftragte an der Med-Uni Graz; sie berät viele Spitzensportler in Trinkfragen, z. B. die Fußballer von Sturm Graz. Dr. Manuela Konrad ist auch Vorstandsmitglied der Österr. Gesellschaft für Sporternährung (ÖGSE) in Graz.
Kontakt: manuela.konrad@fh-joanneum.at
Zum Weiterlesen:
- Functional Food - Lebensmittel mit dem gewissen Extra
- Die 5 hartnäckigsten Trinkmythen im Faktencheck
- Nahrungsergänzung im Sport - Und was nimmst du?