Alternative facts – oder echte Alternativen? ­ Die Österreichische Gesellschaft für Sporternährung (ÖGSE) hat die trendige ­„Paleo-Ernährung" wie auch den Dauerbrenner „Low Carb" unter die Lupe genommen. Sporternährungsexpertin Martina Fellner fasst zusammen, wie die Wissenschaft die beiden alternativen Ernährungsformen sieht.

Martina Fellner
Mag. Martina Fellner

Die Paleo-Ernährung beruht auf einer – angenommenen – Ernährung des Menschen in der Steinzeit. Doch bereits die Grundannahme des Paleo-Konzepts, dass wir heute noch die gleichen genetischen Voraussetzungen wie der Steinzeitmensch hätten, entspricht nicht der allgemeinen Kenntnis der Wissenschaft. Die Zusammensetzung der Nahrung war damals außerdem alles andere als einheitlich: So ernährten sich die Menschen in Hochtälern überwiegend von Kohlenhydraten, in Meeresnähe waren die Speisen dagegen sehr proteinlastig.

Durch den Anbau und die Verarbeitung von Getreidearten entwickelten sich die Ernährungsformen weiter. Der Mensch begann vor ca. 10.000 Jahren mit der Viehzucht, auch die Milch von Wiederkäuern wurde damals bereits für die Ernährung genutzt. Zeit genug für den menschlichen Organismus, sich anzupassen: Über 700 genetische Veränderungen wurden im Vergleich zum Urmenschen erforscht.

PALEO UNTER DER LUPE
Gesagt werden muss auch, dass es verschiedene Interpretationen der Paleo-Ernährung gibt. Empfohlen wird aber meist eine Ermährungsweise, die übliche Fett- und Kohlenhydratanteile der Nahrung reduziert, dafür stärker auf Eiweißquellen zurückgreift.

Die Hauptkomponenten der Paleo-Mahlzeiten stellen Obst und Gemüse, Kräuter, Samen und Nüsse dar. Eiern und Fleisch (von Wildtieren an Land und im Wasser) wird meist ein starkes Gewicht eingeräumt. Stärkehaltige Lebensmittel, wie Kartoffeln und Getreide, sollen dagegen nicht auf den Teller. Dies ist schon genetisch nicht plausibel, da auch Steinzeitmenschen Getreide genutzt haben. Milch und Milchprodukte, industriell verarbeitete Produkte, sowie alle Lebensmittel, die Zucker enthalten, werden gemieden. Ebenso wie alkoholische Getränke.

Vor allem der übermäßige Konsum von Zucker und Salz war in der Steinzeit tatsächlich dezidiert ausgeschlossen. Salz ist jedoch bei Sportlern ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, durch Schwitzen verlorene Flüssigkeit wieder aufzunehmen. Unumstritten ist aber auch, dass der allgemeine Salzkonsum heute zu hoch ist.

Ferner sollen laut Paleo-Konzept Lebensmittel gemieden werden, die man damals nicht verarbeiten konnte. Dazu zählen Hülsenfrüchte und Oliven. Auch Pflanzenöle werden oft abgelehnt – was sich mit den aktuellen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen nicht in Einklang bringen lässt. Ein Vorteil der Paleo-Ernährung hinsichtlich der Fette liegt allerdings darin, dass keine gehärteten Fette (Transfette) empfohlen werden. Diese tragen ein hohes Risikopotenzial für Erkrankungen, insbesondere des Herz-Kreislauf-Systems.

DAS PALEO-RESÜMEE
Einige Paleo-Empfehlungen bringen also durchaus Vorteile. Das größte Manko, speziell für Sportler, besteht jedoch darin, dass zu viele Proteine und zu wenige Kohlenhydrate auf dem Teller landen. Auch werden empfehlenswerte Lebensmittelgruppen ausgeschlossen. Die negative Einstellung gegenüber Kohlenhydraten aus Getreide (speziell Vollkorn), sowie gegen Hülsenfrüchte (die eine gute Kombination von Proteinen und Kohlenhydraten aufweisen) ist wissenschaftlich nicht haltbar. Die Vorteile dieser Ernährungsweise (wie weniger Salz, weniger Zucker ...) können durch eine ausgewogene, zeitgemäße Ernährung ebenso erreicht werden, ohne wichtige Lebensmittelgruppen auszuschließen.

LOW CARB IM CHECK
Wie schaut es mit „Low Carb" aus, das ebenfalls immer wieder auftaucht? Wie der englische Name sagt, soll der Anteil der Kohlenhydrate („Carbs") in der Nahrung verringert werden. Für die meisten Sportarten sind Kohlenhydrate allerdings die effizientesten Energielieferanten und auch essenziell bei Regenerationsprozessen. Nach der allgemeinen wissenschaftlichen Empfehlung sollten auch Nichtsportler mehr als 50 Prozent der Tagesenergie durch Kohlenhydrate zuführen. Für Ausdauersportler wird teilweise sogar ein Anteil von 60 bis 65 Prozent (und noch höher) empfohlen.

Eine Reduktion auf ca. 40 bis 50 Prozent und eine gleichzeitige Erhöhung des Proteinanteils auf ca. 25 bis 30 Prozent des Tagesenergieanteils ist für einige Wochen zu bestimmten Trainingszyklen tatsächlich sinnvoll, wenn das Ziel lautet, Gewicht zu reduzieren. Studien, etwa der Harvard School of Public Health, zeigen aber auch, dass über eine erfolgreiche Gewichtsreduktion in jedem Fall die Tagesenergiebilanz entscheidet – und nicht die Zusammensetzung der Quellen, aus denen die Energie stammt.

Sehr wohl sollte auf die Art der zugeführten Kohlenhydrate geachtet werden: Auch Sportler sollten bei ihrer Basisernährung – außerhalb sportlicher Belastungsspitzen – eher Kohlenhydrate mit niedrigem glykämischem Index (z. B. Vollkornprodukte, Linsen, Karotten, Spargel, Tomaten) wählen. Und solche mit hohem glykämischem Index (z. B. Baguette, Semmeln, Teigwaren) dagegen reduzieren.

PROTEINE UND FETTE
Ein verringerter Kohlenhydrat-Anteil führt unweigerlich zu einem höheren Proteinanteil oder Fettanteil (oder beidem) in der Ernährung. Zu Proteinen ist festzuhalten, dass sie weniger Energie als Kohlenhydrate liefern – für Sportler eine wichtige Information, sind sie doch auf eine gute Energieversorgung angewiesen. Die Eiweißsynthese in der Muskulatur ist ebenfalls limitiert. Und höhere Proteindosen als 12–15 Prozent des Makronährstoffanteils werden auch zur Regenerationsförderung nicht benötigt.

Immer wieder kursiert gerade unter Sportlern die These, dass mehr Fette in der Muskulatur oxidiert werden, wenn unter Kohlenhydratmangel vor und während des Sports vermehrt Fette zugeführt werden. Die Theorie besagt, dass so die Fettoxidation trainiert werden könne, um die wichtigen Kohlenhydratreserven zu schonen. Wissenschaftlich belegt ist dazu, dass ein höheres Angebot von Fetten die Fett­oxidation zwar tatsächlich erhöhen kann – bei höherer Belastungsintensität wird dieser Effekt jedoch umgekehrt: Dann werden wieder vermehrt Kohlenhydrate als Energiequellen herangezogen. Der Wechsel zwischen Fett- und Kohlenhydratoxidation wird insgesamt vorrangig vom Trainingszustand sowie von genetischen Faktoren bestimmt – und weniger von der Fettzufuhr.

DAS "LOW CARB"-FAZIT
Um sportlich leistungsfähig zu sein, ist also „Low Carb" genauso wenig das Optimum wie die Paleo-Ernährung. Am besten ist es unverändert, sich an die Leitfäden der Fachgesellschaften für Ernährung zu halten – worin die Kohlenhydrate dominieren!


Der Artikel basiert auf Inhalten aus dem Kapitel „Spezielle Diät- und Ernährungsformen im Sport" von Gast-Prof. Dr. Werner Seebauer aus dem ÖGSE-Lehrbuch der Sporternährung. Er wurde von Mag. Martina Fellner, Ernährungswissenschafterin und Mitglied des Expertenbeirates der ÖGSE, verfasst.
  

Lehrbuch der Sporternährung / Bild: ÖGSE

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Kontakt: www.oegse.at, office@oegse.at

Bezugsquelle: www.clax.co.at/shop

Martina Fellner
Mag. Martina Fellner

ist Ernährungswissenschafterin und Mitglied des Expertenbeirates der Österreichischen Gesellschaft für Sporternährung (ÖGSE).

Web: www.oegse.at