Thomas Verhounik lindert Schmerzen, löst Blockaden, knetet Muskeln und hat Erfahrung mit amerikanischen Geisterstädten. Und gewährt uns einen Einblick in das Leben als Marathon-­Masseur.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Jeder Läufer erzählt eine Geschichte. Viele, während sie bei Thomas Verhounik auf dem Tisch liegen, einige schon, mit der Art, wie sie sich auf den Tisch legen. Verhounik ist Sportwissenschafter und Heilmasseur und oft genug erkennt er schon an der Stellung der Füße und Beine, dass der Läufer da vor ihm seine angepeilte Zeit nicht erreichen wird. „Man sieht zum Beispiel, wenn ein Fuß ganz weit nach außen gedreht ist, dass er zu viel Spannung in der Gesäßmuskulatur hat. Wenn beide Beine scheinbar unterschiedlich in der Länge sind, könnte sich eine muskuläre Dysbalance verstärken.“ So spricht jemand, der Abertausende Läuferwadeln gesehen und geknetet hat, vor, während und nach einem Marathon. Viele Jahre hat Thomas Verhounik im Rahmen des Graz Marathons verhärtete Muskeln weich gemacht, stundenlang massiert. Dabei wäre alles fast ganz anders gekommen. Als Sanitäter beim Bundesheer in der zweiten Hälfte der 1980er- Jahre hat er gemerkt, dass er ein Händchen für kleinere und größere Wehwehchen der Rekruten und Berufssoldaten hat, weil die Leute immer öfter zu ihm gekommen sind. „Da hab ich mir gedacht – so falsch kann das nicht sein, was ich da mach.“

Also stapfte er zur Wirtschaftskammer um sich zu erkundigen, wie man Masseur wird. „Die haben mich ausgelacht und gesagt, dass das doch kein Beruf ist“, erinnert er sich. Über eine Freundin seiner Mutter ist er dann auf ein privates Institut gestoßen, an dem er die Ausbildung zum Masseur machen konnte. Bald danach wechselte er die Studienrichtung von BWL „auf das, was ich eh immer machen wollte, nämlich Sportwissenschaften.“ Massagejobs halfen ihm dabei, das Studium zu finanzieren und sich nebenbei auf dem Sektor der Massage weiterzubilden.  Zum Laufen ist er dann über den Turnverein USA Graz gekommen, in dem er Mitglied ist. „Marian Erker hat damals mit einem Team am 24-Stunden-Lauf in Wörschach teilnehmen wollen, da hab ich mich angeboten, die Läufer zu massieren.“ 1992 folgt dann ein Highlight, der Trans-America-Lauf von Helmut Linzbichler. 5000 Kilometer von Los Angeles nach New York hat der in der Szene bekannte Dauerläufer heruntergespult, mit Thomas Verhounik im Betreuerteam. „Das Fernsehen hat uns begleitet. Unvergessen, wie wir in einer Geisterstadt irgendwo im Niemandsland nachts die Massagebank aufgestellt haben.“ Ebenfalls in bleibender Erinnerung: der Badwater-Ultramarathon im amerikanischen Death Valley, bei dem er den Schweizer Milan Milanovic betreut hat. „Von 0 auf 4400 Meter und wieder retour, bei Temperaturen zwischen 5 und 50 Grad“, erinnert sich Verhounik an die insgesamt 500 km lange Strecke mit dem Mount Whitney als Höhepunkt.

Muskel-Mann meets Marathon

Später hatte er auch öfters eine Massagestation an der Marathonstrecke. „Dort kann man einem Läufer das Durchkommen schon noch retten.“ Eine Beobachtung hat Verhounik dabei gemacht. „Wer eine Zielzeit zwischen drei und dreieinhalb Stunden anpeilt, der lässt sich unterwegs nicht massieren, wenn er Probleme bekommt, sondern hört auf. Über vier Stunden dagegen geht es den Läufern zwar auch um eine Zeit, vor allem aber darum ins Ziel zu kommen.“ Eine Massage kann aber auch vor einem Bewerb sinnvoll sein. „Zum einen, wenn Läufer eine lange Anreise haben, ist es einen Tag davor sinnvoll, den Körper einmal zu entspannen“, sagt Verhounik. „Zum anderen kann man mit Massage aber auch den Muskeltonus heben, was für den Wettkampf gut ist.“ Vor allem aber hat er nach dem Marathon unzähligen Leuten kraft seiner Hände und seines Könnens eine ruhige Nacht beschert, weil ihnen die 15, 20 Minuten Massage Hüftschmerzen, ­Wadenkrämpfe und Co. erspart haben. ­Optimal ist so eine Behandlung übrigens nicht gleich nach Ende der Belastung.

„Zuerst sollte man die Kohlenhydratspeicher wieder auffüllen, das hilft in der Regeneration schon. Dann duschen, locker bewegen und zwei, drei Stunden danach zur Massage“, erklärt er. „Weil direkt nach der Anstrengung tun sich die Muskeln mit der Entspannung schwer.“ Neben dem körperlichen Effekt kommt auch der mentale dazu. „Sich selbst etwas Gutes zu tun, hilft in der Erholung ja auch“, sagt Verhounik. Viele Läufer erzählen dann vom Lauf, von ihren Schmerzen oder einfach von alltäglichen Dingen. Darum sind die drei, vier Stunden, die Thomas Verhounik am Massagetisch steht und seine Hände sprechen lässt auch keine Anstrengung für ihn. „Es ist immer interessant und abwechslungsreich. Ich mag das.“ Denn er kann sich oft in die Lage des Massierten hineinversetzen. „Fünf, sechs Marathons bin ich selbst gerannt“, erzählt er. Im Wettkampf, aber auch für sich alleine, zum Spaß. In der Natur im Norden von Graz. Was der Läufer gerade braucht, hart oder zart, ob klassische Massage, Triggerpunktbehandlung oder Faszientechniken, das muss ihm aber keiner erzählen. „Ein guter Masseur muss erkennen, was der Läufer braucht, ohne dass der es weiß“, sagt Verhounik.