SPORTaktiv-Doc-Serie, Teil 6: Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine vegetarische oder vegane ­Lebensweise. Sport- und Ernährungsmediziner Robert Fritz über „vegan im Sport“ – was bringt’s, wo lauern Stolpersteine?

Christof Domenig
Christof Domenig


Von Österreichs Klasseläufer Andreas Voj­ta weiß man es seit Jahren, dass er vegan lebt, ganz offensichtlich ohne Leistungseinbußen. Auch im Freizeitsport hört man immer öfter, dass der Verzicht auf tierische Lebensmittel im Trend liegt. Neben Tierwohl und Klimaschutz als überaus ehrbaren Motiven schwirren aber auch Mythen um Leistungsvorteile durch eine vegane Ernährung durch die Sportwelt (etwa seit der populären, aber umstrittenen Dokumentation „The Game Changers“) – während auf der anderen Seite manche „Ernährungs-Traditionalisten“ bezweifeln, dass durch einen Verzicht auf Tierisches leistungsmäßig aus dem Vollen geschöpft werden kann.

Wir fragen nach bei unserem „SPORTaktiv-Doc“, Sport- und Ernährungsmediziner Robert Fritz von der „Sportordination“. Der erste Punkt, den der Mediziner vorausschickt: „Es ist ein wenig ein Problem unserer Zeit, dass es für viele nur Schwarz oder Weiß gibt. Du bist vegan oder du isst Fleisch, bist für mich oder gegen mich. Besser wäre es, wenn man ein paar Graustufen dazwischen hätte“, findet Fritz. Punkt zwei: „Die Wissenschaft sagt klar: Eine vegane oder besser gesagt pflanzenbasierte Ernährung hat keinerlei Nachteile im Hochleistungssport gegenüber herkömmlicher Mischkost – aber auch keinerlei Vorteile. Der Vorteil, den viele mit pflanzenbasierter Ernährung haben, liegt in der Beschäftigung mit dem Ernährungsthema.“

Lieber „pflanzenbasiert“ als vegan
Im Detail: „Die österreichische Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, maximal zwei- bis dreimal in der Woche Fleisch zu essen und nicht öfter“, weiß Fritz. Diese Empfehlung gibt es mit gutem Grund – die wichtigsten Vorteile pflanzlicher Lebensmittel kurz aufgezählt: „Es sind sehr viele Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe und Antioxidantien enthalten; die Kaloriendichte ist relativ gering; und man bekommt viele Ballaststoffe: Das sind alles Dinge, die für die Gesundheit wie die Leistungsfähigkeit absolut sinnvoll sind.“

Der Ernährungsmediziner spricht auch deshalb lieber von „pflanzenbasiert“ als von „vegan“, weil der Begriff in jüngerer Zeit in der allgemeinen Verwendung doch sehr „gedehnt“ worden sei: „Was heißt vegan? Es heißt in Wahrheit nur, dass es nicht vom Tier ist – ohne dass es gesund sein muss. Du kannst Junkfood auf der veganen Seite genauso wie auf der Mischkost-Seite haben“, stellt der Sport- und Ernährungsmediziner klar. Also: Wie für alle Lebensmittel gilt auch für pflanzenbasierte: Sie sind dann wertvoll, wenn sie möglichst wenig verarbeitet sind.

Pflanzenbasierte Ernährung heißt nicht weglassen, sondern eigentlich, die Möglichkeiten zu erweitern.

Dr. Robert Fritz

Vorsicht, Halbwissen
Um die Vorteile pflanzenbasierter Ernährung auszukosten, muss man tierische Produkte nicht völlig vom Speiseplan streichen (zumindest von den Aspekten Gesundheit und Leistungsfähigkeit aus betrachtet – Umweltauswirkungen lassen wir einmal gedanklich außen vor): Es reicht, sie aufs empfohlene Maß zu reduzieren. Rein vegan zu leben und voll leistungsfähig zu sein geht auch, sollte aber mit einer genaueren Planung einhergehen, empfiehlt Fritz. Und hier ist etwas Vorsicht geboten: Wer zum Stichwort „vegan“ im Internet sucht, bekomme auch viel Halbwissen oder schlicht Unsinn präsentiert. Bücher liefern in der Regel hochwertigere Infos.

Der beste Weg zum „Ausstieg aus dem Tierischen“ sei jedoch mit Expertenbegleitung: durch Ernährungsmediziner, -wissenschafter oder Diätologen. Ein vor der Umstellung vorgenommene Vollblut­analyse zeigt den Ist-Stand der Nährstoffversorgung. Nach einem halben Jahr pflanzenbasierten Essens folgt der Re-Ceck – und es lässt sich genau nachvollziehen, was sich verändert hat, so Fritz.

Eine Handvoll kritische Nährstoffe gibt es, auf die vor allem echte Veganer achten sollten. Vitamin B12 gehört dazu (doch auch Fleisch­esser hätten oft einen Vitamin-B12-Mangel), hier kommt man ums Subsituieren, also das Auffüllen mit Nahrungsergänzungen kaum herum. Vitamin D ist unabhängig von der Ernährung vor allem in der dunklen Jahreszeit „ein Thema“. Eisenmangel betrifft (aufgrund der Menstruation) vor allem Frauen, doch auch Männer sind davor nicht gefeit. Augenmerk sollten alle, die sich pflanzlich ernähren, ferner auf die Omega-3-Fettsäuren legen. Doch die meisten Nährstoffmängel sind keine Frage von „Fleisch essen oder nicht“, sondern generell einer ausgewogenen oder unausgewogenen Ernährungsweise.

Erweitern statt weglassen
Gemeinsam mit einem Nährstoffscreening holt man sich am besten maßgeschneiderte Tipps von Ernährungswissenschaftern oder Diätologen, erklärt Fritz: Wie viele Gramm Kohlenhydrate, Protein und Fett es bei der jeweiligen Körpergröße und dem persönlichen Sportpensum sein sollen, das lässt sich individuell genau berechnen. Und man bekommt auf die persönlichen Vorlieben abgestimmte, konkrete Rezeptvorschläge für Frühstück, Mittag und Abendessen, um den erforderlichen Bedarf zu decken.

Darauf aufbauend gilt es dann selbst auszuprobieren und Erfahrung zu sammeln. „Pflanzenbasierte Ernährung ist keine Einschränkung und heißt nicht weglassen – sondern eigentlich, die Ernährung zu erweitern, Lebensmittel dazuzunehmen, an die ich vielleicht noch nie gedacht habe“, sagt Robert Fritz. Eine Ernährungsberatung berücksichtigt aber auch die individuelle Lebenssituation: „Man sollte sich überlegen, ob die Partnerin oder der Partner, die Familie bei ­einer Ernährungsumstellung mitspielt. Kommunikation und Kompromisse sind oft gefragt. Vielleicht kann man ein Gemeinschaftsprojekt in der Partnerschaft machen“, regt Fritz an. Bei Kindern und Jugendlichen im Wachstum und in der Schwangerschaft ­ist bei einer rein pflanzlichen, also veganen Ernährungsweise beson­dere Vorsicht geboten.

Fast nur positive Auswirkungen
Und damit noch einmal zu den eingangs erwähnten Stufen zwischen Schwarz und Weiß: Wer manche gesunde tierische Produkte, von Fisch bis Joghurt, in die Auswahl miteinbezieht, tut sich leichter. Immer zu empfehlen: beobachten, wie es einem mit der veränderten Situation geht. Und da hört man eigentlich nur Positives von allen, die den Umstieg zur pflanzenbasierten Ernährung bereits geschafft haben – von gestiegener Schlafqualität bis hin zur Tatsache, dass die paar Kilo zu viel, die man mit sich schleppt, verschwunden sind. Robert Fritz kann das sehr gut nachvollziehen. Wie schon eingangs erwähnt: Es ist die bewusste Beschäftigung mit dem Thema Ernährung, die den Unterschied macht.

Dr. Robert Fritz
Dr. Robert Fritz

Der Sport- und Ernährungsmediziner ist einer der Gründer und medizinischer Leiter einer Unit der „Sportordination“ in Wien und einer der bekanntesten Sportärzte in Österreich. Als „SPORTaktiv-Doc“ beleuchtet er kompetent in jeder Ausgabe ein Sport- oder Ernährungsthema.


Web: www.sportordination.com