Mit Sport lässt sich etwas bewirken – will Berghaus-­Athletin und Snowboard-Freeride-Weltmeisterin Manuela Mandl in Hinblick auf einige der ­großen ­Probleme unserer Zeit beweisen.

Nicole Hofstetter
Nicole Hofstetter


Die gebürtige Wienerin ist auf einem Spaziergang durch ihre Wahlheimat Innsbruck, als wir sie erreichen. Während sie marschierend dem Wind trotzt, saugt sie ein paar der letzten Sonnenstrahlen des Herbstes auf. Stillsitzen ist nicht ihr Ding: „Mir wird meistens relativ schnell ein bisschen fad.“ Dass das der Wahrheit entspricht, glauben wir ihr mit Blick auf ihre Agenda, die vollgestopft ist mit verschiedensten Herzensprojekten, gern.

Langeweile spielte auch eine zentrale Rolle, als sie im Alter von 14 ihre erste Line im freien Gelände hinterließ. Sie hatte die Nase voll vom gewöhnlichen Skifahren und Lust darauf, etwas Neues auszuprobieren. Das Snowboard übte vom ersten Moment an eine spezielle Faszination auf sie aus: „Es hatte einfach etwas Besonderes – dieses Balancehalten und das Gefühl, wenn man in einen Turn geht.“ Rasch und ohne viel nachzudenken verschlug es die Jugendliche, ihrer Abenteuerlust geschuldet, auch von den Pisten weg in den tiefen Schnee: „Tiefschnee war damals schon das Schönste.“

Recht auf Risiko
Heute sieht die 34-Jährige das Ganze etwas differenzierter. Sich Hals über Kopf einen Hang hinunterzustürzen, ohne einen Gedanken an alpine Sicherheit zu verschwenden, sei definitiv nicht erstrebenswert. Das ist auch einer der Punkte, weswegen Freeriden immer wieder in der Kritik steht: dass es zu riskant sei, sich für eine Sportart den Naturgewalten des Winters auszusetzen und dadurch womöglich noch andere Personen im Zuge des eigenen Handelns zu gefährden. 

Besonderes wenn Zweiteres der Fall ist, kennt Manuela Mandl kein Pardon. In Skigebieten gelte es die Piste nur zu verlassen, wenn anderen mit absoluter Sicherheit nichts passieren kann – was selten der Fall sei. Trotzdem plädiert die Profisportlerin für bewusstes Risiko und das Recht darauf, es einzugehen, „wenn es gut durchdacht ist, wenn Problembewusstsein für Lawinen, Absturzgefahr und andere alpine Gefahren vorhanden ist“. Ohne ein Wagnis einzugehen, ist kein Fortschritt möglich – im Sport wie im Leben: Davon ist (nicht nur) Manuela Mandl überzeugt. Nur, wenn das sichere Umfeld auch gelegentlich verlassen wird, kann etwas dazugelernt werden.

Im Lichtkegel der Stirnlampe, mit fokussiertem Tunnelblick, hat man ein ganz anderes Vertrauen zu sich selbst.

Manuela Mandl

Zudem kann ein wenig Risiko zu unvergleichlichen Abenteuern führen. Ein solches Erlebnis hat Mandl in ihrem Film ­„Through Darkness“ dokumentiert. Die Mission damals: mit dem Splitboard während eisiger Temperaturen nachts die norwegischen Berge zu befahren und in diesem Rahmen auf die Wichtigkeit von mentaler Gesundheit aufmerksam zu machen. „In dem Moment, wenn man nur den Kegel der Stirnlampe als Welt hat, hat man einen komplett fokussierten Tunnelblick. Man nimmt die Umgebung weniger mit den Augen, sondern eher mit allen anderen Sinnen wahr – da hat man ein ganz anderes Vertrauen zu sich selbst“, beschreibt sie diese Erfahrung. Erstmals mit der Öffentlichkeit geteilt wird das Gefilmte übrigens ganz symbolisch in der längsten Nacht des Jahres – am 21. Dezember 2022.

Meisterin ihres Faches
Neben solchen herausragenden Erlebnissen gibt es aber auch noch andere Aspekte, die für Mandl das Freeriden so großartig machen: „Oft sind es die ganz normalen Tage am Berg, wo die Bedingungen passen, wo es sicher ist, wo jeder weiß, was er tut, und wo man einfach ganz viel Spaß und Freude hat.“ Außerdem schätzt sie die Vielfältigkeit des Sports – die tägliche Wahlmöglichkeit, ob es gemütliches Cruisen im 30-Grad-Gelände oder doch eine wilde Fahrt durch Steilrinnen sein soll. Und egal, wie oft sie eine Line fährt, sie ist jedes Mal anders. Einfach weil Naturschnee im Gegensatz zu präparierten Pisten durch so viele Faktoren beeinflusst wird.

Dass Mandl den Schnee dennoch beherrscht, wie es nur wenige können, hat die 34-Jährige spätestens 2018 im Rahmen der Freeride World Tour bewiesen. Dort hat sie sich als allererste Österreicherin in der Kategorie „Snowboard Frauen“ den Titel Weltmeisterin geholt. Und für so einen Gesamtsieg einer Serie muss schon einiges zusammenpassen. Das Können der Teilnehmenden wird in verschiedenen Teilen der Welt auf extrem steilen Abfahrten, die sie zuvor nur mit einem Fernglas von der anderen Seite des Berges sehen, nach Linienwahl, Flüssigkeit, Technik, Air & Style und Kontrolle beurteilt. Kurz gesagt: „Wer am tollsten, spektakulärsten und schönsten hinunterfährt, gewinnt.“

Mehr Frauen in den Sport
Wenn Manuela Mandl eines in ihrem Sport, insbesondere bei Wettkämpfen, vermisst, dann sind es Kolleginnen. „Es ist erschreckend, wie wenig Frauen, die Profisport betreiben, ich selbst aufzählen kann“, sagt sie – was oft auch an der fehlenden Berichterstattung liege. Und das hat weitreichende Folgen: Fehlen Vorbilder, dann hinterlässt dies auch Spuren in der Gesellschaft. „Ich merke, dass es in den letzten Jahren zwar viel mehr Frauen gibt, die Sport betreiben, aber diese immer noch die Minderheit darstellen. Dabei ist Sport einfach ein Aspekt, der die Lebensqualität enorm anheben kann“, beschreibt Mandl ihre Ambition, mehr Frauen zum Outdoor-­Sport zu bewegen. Einen Stolperstein auf dem Weg dorthin sieht sie vor allem im traditionellen Frauenbild: „Wenn man etwa hört, dass ein Frauenkörper eher schön als funktional sein soll.“ 

Mädchen würden zudem häufig nicht zum Mutig-Sein erzogen. Die Folgen solcher gesellschaftlicher Prägungen kann sie auch an sich selbst beobachten: „Obwohl ich mich schon eher als emanzipierte und selbstbewusste Frau wahrnehme, ist es oft nicht einfach für mich, mich in den Mittelpunkt zu stellen und zu sagen: Da bin ich, ich bin super und ich bin Sportlerin.“ Deswegen betont Manuela Mandl die Bedeutung von Initiativen wie „exploristas“ oder „Sister Summit“, die Mädchen und Frauen bei gemeinsamen Outdooraktivitäten fördern und die Menschen dazu anregen, über nach wie vor ungleiche Chancenverteilung nachzudenken. 

Manuela Mandl
Manuela Mandl

Die 34-jährige Snowboard-Freeride-Weltmeisterin 2018 regt mit ihren Worten und Filmen gerne zum Nachdenken an. Unter anderem engagiert sie sich für Themen wie das „Recht auf Risiko“ und „Frauen im Sport“.

WEB: manuelamandl.com