Hab ich schon einmal erwähnt, dass ich an einem von Wolf Haas gut ­beschriebenen Syndrom leide? Mein Unterbewusstsein spielt Lieder in meinem Gehirn ab, die zur aktuellen Situation passen. So auch, als ich mich auf mein angeordnetes Sommerprojekt vorbereitete: Tourenradeln.

Christof Domenig
Christof Domenig

I foahr so gern durch Österreich durch unser schönes Lond /weil do san olle Dörfa gleich und nix is unbekonnt / vom Neusiedler- zum Bodensee, egal wia’s Kaff a hoaßt / du woaßt genau wos kemma werd, bevor du einefoahrst“, spielte also die Lungauer Kultband Querschläger in meinem Kopf. Die Verbindung war nicht schwer herzuleiten: Der Start meiner Radtour sollte im Lungau, das Ziel das Büro in Graz sein – soweit die vom Chefredakteur bei der Befehlsausgabe festgelegten Eckdaten. Sozusagen eine Radfahrt von meiner zweiten Heimat – schließlich bin ich mit einer Lungauerin verheiratet – in meine erste: Graz, nicht das Büro. 

Dazwischen verläuft praktischerweise der Murradweg. Dass mir in einer Gegend, wo ich schon Hunderte Male mit dem Auto durchgebrettert bin, „nix unbekonnt“ sein sollte, lag zwar irgendwie auf der Hand – aber vielleicht täuschte sich mein Unterbewusstsein da auch: Radfahren soll schließlich die Perspektive verändern. Und der Murradweg wird als „vielfältigster Flussradweg im Alpenraum“ beworben.

Ich überlegte dann noch: Radwegradeln ist natürlich nichts, womit man am Sportler-Stammtisch ein Leiberl reißt – im Gegensatz zu, Hausnummer: durch die Wüste nach Las Vegas laufen, 300 Kilometer an einem Tag vom Großglockner nach Grado radeln oder sich als Nicht-Mountainbiker zum Dolomitenmann anmelden. Was halt die werte Kollegenschaft so täglich macht. Aber ich gehöre, im Gegensatz zu manchen Kollegen, zum Glück nicht zur „Schmerz vergeht, Stolz bleibt“-Fraktion, bei der „Radweg“ als Schimpfwort gebraucht wird. Außerdem wird ab einem gewissen Körpergewicht bekanntlich Radfahren, Nordic Walken oder Aqua-Gymnastik der Gelenke wegen empfohlen – insofern hab ich es ja noch gut erwischt.

„Du musst einmal raus. Außerdem bist du nie im Bild zu sehen!“, hatte der Chef ferner moniert und das so beständig, bis meine Einwände immer schwächer wurden. „Aber ich hab kein Radl“, war mir ganz zum Schluss noch eingefallen. Kein Problem: Kollege Heigl hat einen ganzen Keller voll, schnell war das passende, getunte Tourenexemplar im Understatement-Look ausgefasst. Rollt super – sofern ich das beurteilen kann. Die gefederte Sattelstütze quietscht ein wenig, was mir nichts ausmacht. Wie bei den Menschen: Kleine Schönheitsfehler machen nur sympathischer, finde ich.
 

Ein Kollege schreibt gern von angesäuerter Muskulatur ab Kilometer 40. Die kenne ich jetzt auch. Dass der Kollege dabei vom Trailrunning schreibt, tut nichts zur Sache.

Christof Domenig

Drei Tage für 230 Kilometer
Also Murradweg! Zwischen dem Start beim Mur-Ursprung im Lungau und Graz, wo er noch bei Weitem nicht endet, liegen rund 260 Kilometer. Von St. Michael im Lungau, wo auch der jährliche „Tour de Mur“-Event im Juni startet, sind es rund 230. Sowie tendenziell, wie bei Flüssen in Fließrichtung halt üblich, mehr Abwärts- als Aufwärts-Höhenmeter. Also eigentlich ein Klacks, meinten zumindest die Kollegen, und in zwei Tagen locker herunterzureißen. Auch die Tour-de-Mur-Radler schafften das und da sind ja nicht nur Extremsportler mit dabei.
Vom Tourismus werden dagegen fünf Etappen vom Mur-Ursprung nach Graz vorgeschlagen. Ich entschied mich für eine 3-Tage-Tour. Start in St. Michael, Etappenorte in Unzmarkt und Bruck an der Mur, das ergibt zweimal etwas unter 90 Kilometer, plus einmal rund 56 Kilometer.

Bevor ich losfuhr, gaben mir die Kollegen noch eine simple Rechnung mit auf den Weg „Mit einem 20er-Schnitt gehen in fünf Stunden 100 Kilometer. Das wirst ja wohl derpacken?“
Sorry: Den 20er-Schnitt hab ich nicht derpackt. Obwohl ich wie ein Triathlet vorbereitet („A Waunsinn! I bin überhaupt net zum Trainieren kumman!“) an die Sache heranging. Ich habe mich stattdessen an die touristische Wegbeschreibung gehalten, wo sich die empfohlene Fahrzeit von rund 14 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit ableitet. Alles andere ginge auch am Sinn des Tourenradelns vorbei – was jetzt bestimmt nicht die Meinung der SPORTaktiv-Gesamtredaktion, sondern nur meine ganz persönliche Meinung widerspiegelt.
Als Tourenradler will man schließlich unterwegs auch einmal stehenbleiben und schauen. Noch ein Grund, warum ich den 14er ausreichend finde, sind die Bergauf-Passagen. Ja, die gibt’s, gar nicht so wenige. Die Vorstellung, dass man ständig flach am Fluss entlangrollt, stimmt abschnittsweise nämlich gar nicht. Was im Sinne der Abwechslung nur zu begrüßen ist, aber auch die eine oder andere zusätzliche Pause provoziert.
Ein geschätzter Kollege schreibt ja gern von angesäuerter Muskulatur ab Kilometer 40. Davon kann ich jetzt auch berichten – und dass der Kollege das in der Regel im Kontext Trailrunning schreibt, tut hier nichts zur Sache. Eingeteilt hab ich mir die Tage in je vier Abschnitte mit rund um oder etwas über 20 Kilometern Länge. Die zweite Tageshälfte zieht sich dann schon ein bisserl. 

Der Soundtrack der Sattelstütze
Dafür kann ich eines, was man mehrtägigen Touren nachsagt, voll bestätigen:  Je länger man unterwegs ist, desto mehr beginnt so eine Auszeit vom Alltag zu wirken. Das ist ja auch beim Weitwandern so. Ein schwer definierbares Hochgefühl stellt sich ein. Der Ballast des Alltags bleibt auf der Strecke. Die salzburgerische und steirische Landschaft tut das Ihre dazu; der Fluss als roter Faden; man rollt vorbei an Wiesen und Wäldern, durch Ortschaften und dann wieder kilometerweit unbesiedelte Gebiete. Von wegen „olle Dörfa gleich“. Der Sound­track, der mich durch die zweieinhalb Tage begleitete, kam nicht aus meinem Kopf, sondern von der Sattelstütze in Form eines fröhlichen, rhythmischen: „Quiek, Quiek, Quiek.“ 

Und ein gewisser Stolz kommt schon auch auf, wenn man nach über 80 Kilometern sein Tagwerk für vollendet erklärt. Klar taten mir am Morgen von Fahrtag zwei und drei beim Aufstehen die Beine weh, und beim Aufsitzen der Allerwerteste. Das ist aber bloß eine Frage des (mangelnden) Trainingszustands. Und der Körper gewöhnt sich rasch an eine neue Belastung. 
Ich kann nach meiner Tour nun auch bestätigen, dass im Sommer auf den Radwegen viel los ist. Interessant übrigens: Die meisten Radwegradler sitzen auf Mountainbikes – besonders in den alpineren Regionen. Je weiter nach Osten und Süden ich kam, desto mehr Tourenbikes fielen mir auf. Noch etwas: Der E-Anteil ist beachtlich.

So viele sind an schönen Sommerwochenenden übrigens unterwegs, dass ein Notfallsplan von mir zum Scheitern verurteilt gewesen wäre: „Wenn’s nicht mehr geht, steigst einfach in den Zug“. Falsch gedacht: In den ÖBB-Railjets herrscht Reservierungspflicht bei Fahrradmitnahme und die Plätze sind, wie ein versuchsweiser Anruf ergab, mitunter am Vortag schon ausgebucht.
Ich hab den Zug eh nicht gebraucht. Nach zweieinhalb Tagen bin ich in Graz angekommen – früh genug, um frisch geduscht den Anpfiff des WM-Finales zu erleben. Ja, Tourenradeln hat was – zumindest für alle wie mich, die keine Höchstleistungen brauchen. Ich kann mir jedenfalls gut vorstellen, bald wieder einmal – aber dann nur für mich – durch Österreich zu foahrn.