Mit 66 ist lang noch nicht Schluss. Anton Reiter aus Wien hat mehr als 420 Marathons in 74 verschiedenen Ländern absolviert. Dabei wollte er doch nur seinen Bauch wegkriegen.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Begonnen hat alles mit seinem Charakter. Und mit seinem Bauch. Diese beiden Dinge waren es, die am Anfang der Sammlung von Anton Reiter stehen. Einer Sammlung, die Ende Jänner 2021 exakt 420 gelaufene Marathons umfasst. Die genaue Zeitangabe ist wichtig, denn die Zahl soll sich noch verändern.

Wir schreiben das Jahr 2000. Die große Computer-Katastrophe, der „Millennium Bug“, ist ausgeblieben, was auch den IT-Experten Anton Reiter freut. Als Ministerialrat im Unterrichtsministerium ist er wie so oft auf einer Messe unterwegs, baut gemeinsam mit zwei jungen Damen einen Messestand auf. Viele Bücher gilt es noch zu schleppen. Eine Aufgabe, die der Gentleman natürlich nicht den Damen überträgt. „Da hab ich mich zum Aufheben runtergebeugt und gemerkt, dass mir der Bauch im Weg war“, erinnert sich Reiter. So kann es nicht weitergehen, denkt sich der damals 46-Jährige. „Zu Hause hab ich dann im Keller ein paar Schuhe gesucht, mit denen ich laufen kann.“ Mühsam schleppt er sich anfangs über die Prater- Hauptallee in Wien. 10 Minuten benötigt er zunächst für einen Kilometer. Reiter bleibt aber dran, schwitzt, trainiert, läuft länger und länger. Der Ehrgeiz erwacht, rasch ist ein Halbmarathon absolviert und 2001 der erste Marathon in Wien. „Laufen ist für mich Freiheit pur. Es ist gut für den Körper, für den Geist, für die Seele“, kommt er schnell ins Schwärmen. 
 

Das Gefühl, nach 35 Kilometern noch jemanden überholen zu können.

Anton Reiter

Schon nach wenigen Jahren hat er die Idee, seine beiden Leidenschaften zu verbinden: laufen und reisen. Die Marathon-Sammlerei beginnt. 100 sind das erste große Ziel, das er nach ein paar Jahren erreicht. Von da an geht es so richtig los. Von um die 16, 17 Marathons pro Jahr schraubt er sich weiter bis auf 53 – österreichischer Rekord. Bis heute ist er in 74 Ländern die 42,195 Kilometer rennmäßig gelaufen. „Zu meinem 70er sollen es 100 sein.“ Wenn das mit der Reiserei halt wieder so geht. „So einfach wie es einmal war, wird das wegen der Pandemie nicht mehr werden“, glaubt Reiter. 

Was aber treibt einen an, so extrem zu laufen? „Die Kollegen im ‚100 Marathon Club Austria‘. Die versuchen mehr Bewerbe zu laufen. Das Gefühl, nach 35 Kilometern noch jemanden überholen zu können, der vielleicht sogar noch deutlich jünger ist als ich“, sagt Reiter und lacht. Ehrgeizig ist er, aber nicht verbissen. „Das Gefühl bei einem großen Marathon am Start zu stehen ist großartig. Leute aus aller Welt, eine große Gemeinschaft, einfach Gänsehaut.“ Er hechelt auch nicht nur die Rennen ab, sondern hängt mit seiner Frau („Sie läuft schon ein bisschen, aber keine Marathons“) immer auch ein paar Tage Urlaub und Kultur an. Manchmal steht auch die Reise im Vordergrund. Vor ein paar Jahren haben die Reiters eine Weltreise mit dem Schiff gemacht. „Bei der Vorbereitung darauf hab ich drei Marathons an der Strecke eingeplant.“ 

Leidenschaft 42,195: Anton Reiter hat über 400 Marathons in aller Welt absolviert

Das Laufen hat ihm Freude und Freunde gebracht. Mit den heimischen Männern und Frauen, die 100 Marathons und mehr gesammelt haben, tauscht er sich regelmäßig aus. Dazu ist er Mitglied im Country Marathon Club. Ein elitärer Zirkel, der nur Läufern Zutritt gewährt, die Marathons in zumindest 30 verschiedenen Ländern absolviert haben. Seit 2016 ist Reiter dabei, hält Kontakt mit den anderen Sammlern, hofft, dass man sich bald wieder sehen wird auf den Strecken dieser Welt. Ihnen allen fehlt ihre Leidenschaft, das Marathonlaufen. Immerhin: Luxor und die Seychellen sind sich 2020 für Reiter ausgegangen, ehe die Pandemie alles gestoppt hat. Eigentlich wäre Reiter jetzt in Kuwait. „Aber Corona“, seufzt er. Das Reisen fehlt ihm, gehörte es doch nicht nur privat dazu, sondern auch beruflich. Auf einer Konferenz trifft er einmal sogar Apple-Gründer Steve Jobs und kann sich mit der IT-Ikone austauschen. „Jobs ist auch gelaufen, aber nur ein bisserl in der Früh und zum Ausgleich, keine Marathons.“  

Die Bewerbe fehlen ihm. „Aber ich habe in der Zeit auch reflektieren können und schätzen, was ich alles erlebt habe.“ Rasten war trotzdem nicht sein Ding. Also hat er mit John Wallace ein Buch herausgegeben. „Country Marathon Collecting“ heißt es. Viele Mitglieder des elitären Klubs erzählen darin von ihren Highlights, von Herausforderungen und Mühsal. „Das Marathonlaufen ist eine Parabel auf das Leben“, sinniert Reiter. Man muss dranbleiben, Hürden überwinden, Rückschläge einstecken und wird am Ende fürs Durchhaltevermögen belohnt. Reiter weiß, wovon er spricht. Auf seiner Südostasien-Tour 2018 ist er beim Penang Bridge Marathon in einem Tropensturm gestürzt und hat sich am Knie verletzt. „Den Singapur-Marathon konnte ich ein paar Tage später bei drückend schwüler Hitze nur gehend absolvieren.“ 

Leidenschaft 42,195: Anton Reiter hat über 400 Marathons in aller Welt absolviert


Das fast bewerbslose Jahr 2020 nutzte Reiter für sein Buch „Country Marathon Collecting.“

Überhaupt läuft er keinen Marathon mehr am Anschlag, sondern, wie er sagt, „auf Vorrat“. Damit am Ende Kraft überbleibt und man auch einmal einen „Doppler“ einstreuen kann, also zwei Marathons hintereinander. 100 Länder sollen es also werden und 500 Marathons. Und dann? „Die Ziele gehen mir nicht aus. Das hält jung und fit.“ 

Viele Rennen hat er noch auf einen Fingerschnipper parat. „In Indien hat mich ein Scooterfahrer versetzt, der mich zum Start bringen sollte. Da hab ich einen anderen aufgeweckt, der vor dem Hotel geschlafen hat. Wir kommen zum Startbereich, da krieg ich mit, dass der Start kurzfristig eine Stunde vorverlegt wurde. Ich bin also gerade noch in den Startblock gekommen und losgerannt.“ 

Seit einigen Jahren hat er auch immer eine Kamera dabei, dreht sich unterwegs um, fotografiert, fängt das Erlebnis ein. „Laufen ist auch perfekt, um neue Leute kennenzulernen, man kommt sehr schnell in Kontakt.“ Fit bleiben, beweglich – körperlich und geistig, für diese Effekte des Laufsports ist Anton Reiter ein Vorzeigebeispiel. Keinen einzigen Lauf möchte er missen, ist dankbar, alles erlebt zu haben. Nur eines wurmt ihn ein bisschen. „Dass ich nicht früher mit dem Laufen angefangen habe. Was da noch möglich gewesen wäre.“ Wie meinen? „Na ja, also von der Zeit her.“ 

Anton Reiter
Anton Reiter

Der gebürtige Lienzer lebt in Wien und begann 2001 Marathons zu laufen. Seine Bestzeit liegt bei knapp unter vier Stunden. Sein Bestwert bei 53 Marathons im Jahr (2013, 2017). Insgesamt hält er bei mehr als 420 Marathons in 74 Ländern.
WEB: countrymarathonclub.com