Was ist das Schöne am Laufen? Antworten darauf gibt es wohl fast so viele, wie es leidenschaftliche Freizeitläufer gibt. Mit Sepp Lind und Gert Prügger haben wir zwei ungewöhnliche und (auf den ersten Blick) völlig unterschiedliche begeisterte Hobbyläufer zur gemeinsamen Laufrunde gebeten – und mit ihnen über ihre sportliche Leidenschaft geplaudert.

Von Klaus Molidor


Fast 60 Jahre trennen Sepp Lind und Gert Prügger und doch verbindet sie eines: Nichts geht ohne Laufen beim 24-jährigen Unternehmer Prügger, nichts geht ohne Laufen beim 82-jährigen Power-Pensionisten Lind. Gleichzeitig interpretieren die beiden den Sport auf zwei völlig unterschiedliche Arten. Sie sind quasi die Antipoden der fußgetriebenen Freizeit-Fortbewegung. Sepp Lind leitet mit 82 Jahren immer noch den Lauftreff der Therme Loipersdorf, läuft bei Wind, Wetter, Hitze und Schneefall jeden Montag, Mittwoch und Freitag. Für Gert Prügger ist Laufen die kürzeste Verbindung zwischen zwei Hindernissen, die er dann möglichst kreativ und spektakulär überwindet – denn Prügger ist Parkour-Läufer.

Loipersdorf in der Oststeiermark: Raureif hat die kahlen Laubbäume weiß überzogen, der Nebel hängt über den Hügeln des Vulkanlandes. Sepp Lind kommt in enger schwarzer Laufhose und weißem Funktionsshirt zum Lauftreffpunkt, darüber hat er eine dünne Winterjacke gezogen und eine knallgelbe Warnweste. Federnden Schrittes und kerzengerade: „Weil ich so klein bin", sagt er und lacht. „Dann musst du gehen wie eine Majestät, das gibt dir Selbstvertrauen und eine ganz andere Ausstrahlung."

Die erste von vielen Weisheiten auf einer speziellen Laufrunde. Gert Prügger sieht in Schlabber-Jogginghose, selbst designtem Kapuzen-Sweat­shirt und Haube eher aus wie ein Hip-Hopper. Ein fester Handschlag mit beiden und los geht's. Laufen und Reden übers Laufen – mit zwei Hobbyläufern, die auf den ersten Blick konträr sind, in Wahrheit aber doch viel gemeinsam haben.

Herr Lind, Sie sind 82, also exakt doppelt so alt wie ich und laufen immer noch drei Mal die Woche. Wie geht das?
LIND: Also, ich bin der Sepp. Unter Sportlern kann man gleich per du sein. Und warum das geht? Weil ich es regelmäßig mache. Seit fast 40 Jahren schon.

In den 1980er-Jahren hat der erste Laufboom eingesetzt. Wie bist du denn dazu gekommen?
LIND: Die Zeit war ganz anders als heute. Baldur Preiml, der als Querdenker bekannte Skisprungtrainer, hat damals hier in Loipersdorf eine Ausbildung zum „Bio-Trainer" gemacht und einen Lauftreff ins Leben gerufen. So bin ich dazu gekommen und leite den Treff jetzt genau seit 9. November 1981.

Und du Gert?
PRÜGGER: Ich hab eigentlich Fußball gespielt. Mit 15 Jahren habe ich dann Parkour-Videos im Internet entdeckt und mir das selbst beigebracht. Mittlerweile hab ich die Ausbildung zum Fit-Instruktor gemacht.

Inzwischen sind wir von der Therme losgelaufen, einen Hügel hinauf. Dort zeigt Gert Prügger erste Kostproben seines Könnens und überwindet eine Steinskulptur, die aussieht wie ein Tisch, mit einem abgestützten Salto. Lind ist beeindruckt.

Wär das auch was für dich, Sepp?
LIND: Heute nicht mehr. Aber wenn ich noch so jung wäre wie der Gert, könnt ich mir das sehr gut vorstellen. Aber sag, wie trainiert man das?
PRÜGGER: Wir haben uns am Anfang von einem benachbarten Bauern Heu geholt und so die Sprünge trainiert.
LIND: So wie wir als Kinder damals. Wir haben auch einen Salto ins Heu gemacht.

Was fasziniert euch denn beide eigentlich am Laufen?
LIND: Bei mir ist es die Sauerstoffaufnahme. Davon bekommt man sonst eh zu wenig. Und beim Laufen ist das herrlich.
PRÜGGER: Stimmt. Man ist zwar direkt nach der Bewegung müde, hat danach aber einfach mehr Energie.

Und man bekommt nach einem langen Tag den Kopf frei.
LIND: Genau. Ich laufe auch nur am Abend. Dabei hätte ich als Pensionist ja jetzt den ganzen Tag Zeit, aber das geht bei mir nicht anders. Jeden Montag, Mittwoch und Freitag um 18 Uhr laufe ich mit meiner Gruppe meine fünf Kilometer.

Winter wie Sommer, bei Sonnenschein und Regen?
LIND: Genau. Außer wenn Weihnachten auf einen dieser Tage fällt. Da nicht. Sonst aber immer.

Wie sieht es bei der Lauftreff-Runde aus? Könnten da alle deine Kinder sein?
LIND: (lacht). Nein. Viele schon, aber es sind alle Altersgruppen vertreten. Das macht einfach Spaß. Danach stärken wir uns noch gemeinsam, viele gehen mit in die Therme. Es ist ein schönes Gemeinschaftserlebnis.
PRÜGGER: Das verbindet uns. Beim Parkour sind wir auch meist in der Gruppe unterwegs und pushen uns dadurch oder haben einfach Spaß miteinander. Der Zusammenhalt ist enorm. Das ist ein Riesenunterschied zum Fußball etwa.
LIND: Bei uns stehen normalerweise zum gemeinsamen Aufwären die „Fünf Tibeter" auf dem Programm. Das stärkt die Bauchmuskeln, dehnt den Körper und bringt einfach den ganzen Körper in Schwung.

Sepp Lind lässt sich auch gar nicht lange bitten und macht diese Übungen auch mit uns. 21 Mal pro „Tibeter". Das Alter merkt man ihm überhaupt nicht an. Im Kreis drehen, Bauchmuskeln trainieren, Hüftbeuger dehnen, bewusst und konzentriert atmen.

An Beweglichkeit hast du offenbar noch nichts eingebüßt, Sepp?
PRÜGGER: Was heißt eingebüßt? So gelenkig wäre ich mit meinen 24 Jahren auch gerne.
LIND: Das geht nur mit Üben, Üben, Üben. Ich mache das jeden Tag in der Früh. Noch bevor das erste Brösel Essen oder Flüssigkeit in meinen Magen kommt. Das bringt den Körper und die Verdauung in Schwung. Beweglich bin ich noch ungefähr so, wie ich es auch mit 40 war.

Wie sieht es eigentlich mit Wettbewerben aus? Lauft ihr beide auch bei Veranstaltungen mit?
LIND: Früher ja. Bis zum Halbmarathon.
PRÜGGER: Nein, gar nicht. Mir reichen schon fünf Kilometer am Stück.

Sepp, bist du eigentlich laufsüchtig?
LIND: Laufen ist auf alle Fälle ein Bedürfnis, so wie Essen und Schlafen. Ich brauche das schon. Wie gesagt: der Sauerstoff, das Gruppenerlebnis und nicht zu vergessen die Energie, die mir das Laufen für den Alltag noch gibt. Süchtig bin ich vielmehr nach einer Droge.

Wie bitte?
LIND: Ein Butterbrot mit Honig und Knoblauch. Das ist meine Sucht. Vor Jahren hat mir das jemand auf einer Griechenlandreise gezeigt. Herrlich. Den Honig braucht es, um die Wirkstoffe aus dem Knoblauch richtig aufnehmen zu können. Der Vorteil bei dieser Art von Sucht ist es natürlich, dass ich nicht mehr im Berufsleben stehe. In einem Büro wäre das vielleicht nicht so problemlos umzusetzen (lacht).

Wie würdet ihr jemandem das Laufen schmackhaft machen, der gar nichts damit anfangen kann?
PRÜGGER: Mir gefällt vor allem, dass es keine Regeln gibt. Kein Richtig oder Falsch. Und Parkour trainiert nicht nur den ganzen Körper, sondern auch den Geist.
LIND: Also für mich ist das Laufen ein Jungbrunnen. Ich brauche mit 82 keine Pulverln nehmen, habe immer noch einen Blutdruck, der völlig im Normalbereich ist und durchs Laufen, meine Tibeter und ein paar andere Übungen wie den Kopfstand habe ich sogar meine Migräne wegbekommen.

Das sollte an Argumenten reichen. Und was rätst du Laufanfängern?
LIND: Sie sollen langsam anfangen. Die meisten laufen gleich viel zu schnell. Übrigens vor allem die Frauen.

Wir sind wieder im Foyer der Therme Loipersdorf angelangt. Sepp Lind ist bekannt wie ein bunter Hund, Mitarbeiter und Gäste grüßen ihn, mit jedem plaudert er ein bisschen. Dann führt er uns weiter Richtung Seminarräume und zeigt uns am Boden noch ein paar Dehnübungen und hockt sich auf den Boden. „Diese Übungen dehnen auch und die kann man locker beim Fernsehen machen", erteilt Lind jeder potenziellen Ausrede sofort eine Absage.

Sepp, zu den Laufcamps nach Loipersdorf kommen ja immer wieder auch Profiläufer aus Kenia. Was sagen denn die zu dir?
LIND: Ich kann ja nicht so gut Englisch, darum verstehe ich nicht alles. Aber da läuft dann auch immer jemand mit, der mir das übersetzt. Sie sind auf alle Fälle beeindruckt. Aber bei den Fünf Tibetern kommen sie nicht mit. Gedehnt sind sie ganz schlecht. Auf den Boden hockerln, so wie ich das jetzt mache, schaffen sie zum Beispiel gar nicht – obwohl sie so leichtfüßig laufen wie die Gazellen!

Gert Prügger und Sepp Lind / Bild: Thomas Polzer

Die Laufbegeisterten

GERT PRÜGGER, 24, kommt aus Frohnleiten und arbeitet in Graz. Seit neun Jahren betreibt er leidenschaftlich Parkour.

SEPP LIND, 82, ist gelernter Schuster und leitet seit 35 Jahren den Lauftreff der Therme Loipersdorf.


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