Er ist der "Hipster" in der Laufszene. Tätowiert und mit Piercing in der Lippe läuft er auch mal 100 km zu seiner Mama – und schreibt dann darüber auf Instagram. Der Deutsche Florian Neuschwander zählt zur Welt-Elite im Ultramarathon, bleibt dabei immer schön im Flow – und beweist, dass Laufen vor allem eine lockere, lässige Angelegenheit sein soll.

Von Axel Rabenstein


Florian, es ist ziemlich kalt, kein optimales Laufwetter. Warst du trotzdem schon unterwegs?
"Nein, noch nicht. An solchen Tagen lasse ich mich nicht hetzen. Aber die Lust aufs Laufen wird später schon noch kommen!"

Du lässt dich also auch von Frost nicht aufhalten?
"Bis minus 5 Grad gehe ich raus. Wenn es kälter ist, weiche ich schon mal aufs Laufband im Studio aus."

Was steht heute auf dem Programm?Für Florian Neuschwander ist Laufen einfach "eine coole und lässige Angelegenheit". Und genau so sollte man auch an die Sache herangehen ... / Bild: privat
"Irgendwas zwischen 15 und 20 km entspannter Dauerlauf. Gestern abend war ich für eine schnellere Einheit in der Halle, deshalb habe ich Muskelkater und will nur locker traben."

Welchen Schnitt bedeutet „locker traben" für dich?
"Schön entspannt sind 4:20 Minuten pro Kilometer. Das normale Dauerlauftempo für längere Strecken liegt bei 4:00 Minuten. Kurze Dauerläufe mache ich mit 3:45 Minuten pro Kilometer."

Es heißt, du trainierst kaum nach Plan. Stimmt das?
"Mein nächstes Highlight ist der 'Wings for Life'-Run im Mai. Bis dahin stehen einige längere Einheiten auf dem Zettel. Aber wenn ich keine Lust habe, lasse ich auch mal was ausfallen. Manchmal merke ich erst vor der Haustür, wie kalt es ist. Dann lege ich mich in voller Montur ins Bett und penne nochmal weiter. Es kann aber auch sein, dass ich 20 km laufen will und dann erst nach einem Marathon nach Hause komme."

Weil's einfach läuft?
"Genau. Ich bleibe immer im Flow."

Wie sieht's mit der Ernährung aus?
"Natürlich esse ich gesunde Sachen wie Gemüse. Aber ich mag auch Pizza oder brate mir abends ein paar Schweinenackensteaks und trinke ein Bier dazu."

Könntest du nicht schneller und erfolgreicher sein, wenn du strikter trainieren würdest?
"Müsste ich einen Plan durchziehen, würde mir mit Sicherheit die Lust am täglichen Laufen vergehen. Ich will Spaß haben. Und wenn ich eine harte Einheit geplant habe, mich aber nicht danach fühle – na ja, dann lass ich es eben sein."

Du hast mal gesagt, du würdest gerne mit einem VW-Bus um die Welt fahren, um die Menschen für das Laufen zu begeistern. Warum das?
"Laufen ist die natürlichste Sportart überhaupt. Jeder läuft. Für mich ist Laufen eine wundervolle Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Ich mache immer wieder über Facebook oder Instragram öffentliche Treffpunkte aus. Dann kommt eine Gruppe wildfremder Läufer zusammen, die allesamt die gleiche Begeisterung teilen. Das ist großartig! Und ich laufe dann mit denen auch gerne mal einen 6er-Schnitt ..."

Bist du auf so einer Art Mission, den Ruf des Ausdauersports zu verändern und für etwas mehr Lässigkeit unter den Läufern zu sorgen?
"Kann man so sagen. Laufen könnte schon ein wenig cooler werden. Dieser Sport hat viel mehr Style verdient. Wirklich reich wirst du auch als Profiläufer nicht. Deshalb ist es nur naheliegend, den Spaß in den Vordergrund zu stellen und immer schön locker zu bleiben."

Auf deinem Oberarm sieht man ein Tattoo des verstorbenen Läufers Steve Prefontaine. Du trägst den gleichen Oberlippenbart. Ist er dein Vorbild?
"Steve hat in den 70er-Jahren viel für den Sport getan und Tausende anderere Menschen für das Laufen begeistert. Er hat sich gegen starre Wettkampfregeln eingesetzt, war immer anders und hat zu seiner Zeit trotzdem alle US-Rekorde gehalten. Mit 24 Jahren ist er dann bei einem Autounfall ums Leben gekommen, das hat ihn zu einer Art Legende gemacht. Mich hat Steves Leben wirklich inspiriert."

Du versuchst wie er, auffallend anders zu sein und bist sehr präsent in den sozialen Netzwerken. Ist das auch eine Trotzreaktion – weil man gegen die schnellen Afrikaner sowieso keine Chance hat?
"Natürlich würde ich gerne mal ein großes Rennen gewinnen. Aber an den guten Kenianern oder Äthiopiern kommst du wirklich nicht vorbei. Die haben einen anderen Körperbau, sind von Kindheit an ans Laufen gewöhnt. Allerdings bin ich mir sicher, dass neun von zehn Kenianern dabei keinen echten Spaß haben. Für die ist das knallhartes Business. Da laufe ich dann doch lieber für mich, weil es mein Lifestyle ist."

Du läufst alles zwischen 800 Metern und 100 Kilometern. Ist Vielseitigkeit der Schlüssel für besonders viel Spaß am Laufen?
"Laufen bedeutet für mich die Freiheit, zu tun, was ich will. Deshalb möchte ich mich auch auf keine bestimmte Strecke festlegen. Ich denke, dass ich über die 10 Kilometer vielleicht nochmal an die deutsche Spitze anschließen könnte, aber ganz ehrlich: Ob ich eine Minute schneller oder langsamer bin, ist mir total egal."

Hast du trotz aller Vielseitigkeit eine Lieblingsdistanz?
"Momentan gefallen mir Marathonstrecken mit viel Abwechslung – ein bisschen Straße, leicht profiliert durch den Wald oder ein wenig Trail. In London laufe ich gerne von Park zu Park, einfach quer durch die Stadt. Ich liebe diese Flexibilität! Du kannst so lange laufen, wie du möchtest, und dort, wo du möchtest. Man braucht Schuhe, ein paar Klamotten und los geht's. Ich finde das einfach lässig."

Trotz aller Lässigkeit konntest du beachtliche Erfolge erlaufen. Im August 2015 hast du den legendären Trans Rockies Run gewonnen – ein 6-Tage-Rennen über 193 km und 6.000 Höhenmeter. Warst du da überrascht?
"Das war mein erstes Etappenrennen überhaupt, den Startplatz hatte ich bei einer Outdoor-Messe gewonnen. Es ging hoch bis auf 3.800 m, in so dünner Luft war ich nie zuvor gelaufen. Dass ich da ohne Extravorbereitung gewinnen konnte, war schon erstaunlich. Aber ich hatte einfach Bock darauf, durch diese tolle Landschaft zu rennen."

Was war bis heute der Lauf deines Lebens?
"Ich denke, das war mein erster Lauf über 100 Kilometer. Weil mein Lauf-Blog die Marke von 100.000 Besuchern überschritten hatte, bin ich spontan 100 km gelaufen, von meinem Wohnort Trier zu meiner Mama ins Saarland. Um 8 Uhr morgens ging's los, über insgesamt 3.000 Höhenmeter. Am Nachmittag bin ich, nach 7:59 Stunden, angekommen. Mama war sprachlos."

Und die Fans deines Lauf-Blogs?
"Die haben sich auch gefreut. Weil ich die Route veröffentlicht hatte, waren sogar einige von ihnen an der Strecke und sind ein paar Abschnitte mitgelaufen. So war's nicht so langweilig."

Welche Läufe sollen noch kommen? Wo ist dein ganz persönliches Ziel?
"Oh, ich habe noch einiges vor. Der 'Comrades Marathon' in Südafrika über 89 km, mit fast 20.000 Teilnehmern der größte Ultramarathon der Welt. Der 'Leadville 100 Run' in Colorado über 160 km würde mich auch reizen, ebenso der 'Western States Endurance Run' in Kalifornien. Und wenn ich dann noch laufen kann, wäre der 'Ultra-Trail du Mont-Blanc' ein genialer Höhepunkt. Das sind 168 km mit 9.000 Höhenmetern."

Ehrlich, kann man bei so einer Tortur noch lässig bleiben?
"Ich werd's versuchen ..."

Florian Neuschwander / Bild: privat

DER ALLESLÄUFER
Florian Neuschwander wurde am 1. Juni 1981 in Neunkirchen (D) geboren. Er spezialisierte sich zunächst auf Mittel- und Langstreckenläufe, wurde im Jahr 2008 deutscher Meister mit der Mannschaft im Halbmarathon und Marathon. Seinen schnellsten Marathon lief er in 2:20:28 Stunden. Im vergangenen Jahr belegte er den 1. Platz beim „Wings fo Life"-Run in Deutschland mit gelaufenen 74,5 km.

Im August 2015 siegte er mit einer knappen halben Stunde Vorsprung beim legendären Trans Rockies Run in Colorado über 193 km. Einen Monat später wurde er WM-Neunter bei seinem Debüt über die Ultramarathon-Distanz (100 km). Florian Neuschwander vermarktet sich über soziale Netzwerke, er arbeitet in einem Laufladen und lebt in Frankfurt am Main (Deutschland).

Web: www.run-with-the-flow.com



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