Gladbachs Publikums-Liebling Stefan Lainer im großen ­Interview: über Geisterspiele, das Krisen-Management von Marco Rose, Gehaltsverzicht, Vorbildfunktion und den ­Titelkampf in der deutschen Bundesliga.

Markus Geisler

Man hört von Spielern nach Matches in Hexenkessel-Atmosphäre oft den Satz: „Für solche Spiele bin ich Profi geworden.“ Gilt umgekehrt: „Für Geisterspiele bin ich bestimmt nicht Profi geworden“?
Nein. Erstens ist es eine Ehre, wenn man mit seiner Leidenschaft Geld verdienen kann. Dann kommt dazu, dass man gern vor vollem Haus spielt. Ich als Profi bin aber froh, dass ich jetzt überhaupt wieder spielen kann, auch wenn nicht fix ist, dass wir die Saison zu Ende bringen können. Und, ja, drittens würden wir uns freuen, wenn die Stadien bald wieder voll sind und wir den oben zitierten Satz wieder sagen können.

Gladbach wurde nach sieben Punkten aus vier Geisterspielen schon als „Geister-Meister“ gefeiert. Warum kommt ihr mit diesen Bedingungen so gut zurecht?
Uns kommt sicherlich entgegen, dass wir eine spielstarke Mannschaft haben mit vielen spielerisch versierten Akteuren. Ich hatte in den meisten Partien das Gefühl, dass wir das Tempo mit dem Ball kontrollieren und unser Spiel aufziehen konnten. Für den Gegner ist es dann nicht einfach, erst recht, wenn die Fans fehlen, die ihn nach vorne pushen ­können. 

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat ein striktes Sicherheitskonzept entworfen mit weitreichenden Maßnahmen, die teils ins Private der Spieler gehen. Hat sich dein Leben seit Trainingsbeginn stark verändert?
Ich bin schon einer, der gern mit seiner Frau ins Restaurant geht oder mit Freunden etwas unternimmt. Ich war seitdem nicht ein mal in einem Lokal – das geht mir schon ab. Aber auch Kleinigkeiten sind gewöhnungsbedürftig: Die Maske ist überall dabei, man desinfiziert sich immer und überall. De facto bin ich nur noch zu Hause oder im Hotel, wenn wir in Quarantäne sind.

Gutes Stichwort: Es gibt Bilder, auf denen du mit Gitarre in euer Hotel im Borussia Park einziehst. Sitzt ihr dann im Kaminzimmer, du spielst DJ Ötzi und alle singen mit?
(Lacht.) Nein, nein, auch im Hotel ist jeder überwiegend in seinem Zimmer. Aber ich denke, man kann seine Zeit sinnvoller nutzen als nur fernzuschauen oder Play Station zu spielen. Deswegen war die Gitarre dabei. Ich wollte mich mal wieder in anderen Bereichen verbessern und kann dabei gut entspannen, das ist ein wichtiger Ausgleich für mich.

Viel wird in diesen Zeiten über die Zukunft des Fußballs diskutiert. Ein Ansatz ist der in den USA übliche Salary Cap, eine Art Gehaltsobergrenze. Einverstanden?
Schwieriges Thema! Wenn es den Salary Cap nur in Deutschland gäbe, würden die Topspieler womöglich alle nach England oder Spanien gehen. Dann wäre es kontraproduktiv. Er müsste also für ganz Europa gelten, was wohl schwer umsetzbar wäre. Ganz grundsätzlich halte ich eher wenig davon. Das Fußballgeschäft gehört zur freien Marktwirtschaft wie jede andere Branche auch. Wenn jemand bereit ist, für gewisse Leistungen einen gewissen Preis zu bezahlen, dann ist das einfach so. In der Autoindustrie gibt es ja auch keine Obergrenzen für die besten Designer oder Ingenieure. Ich denke aber trotzdem, dass sich das Geschäft verändern wird.

Inwiefern?
Es wird ein Umdenken bei den Vereinen stattfinden. Der eine oder andere Klub wird nicht mehr das Maximum an Gehalt ausschütten oder in Transfers investieren, sondern vermehrt Rücklagen bilden, um auf so eine Art von Krise vorbereitet zu sein. Es wird nachhaltiger gewirtschaftet werden, vorsichtiger. Dadurch wird sich auch das Gehaltsgefüge ändern.

Gladbach war der erste Klub in Deutschland, bei dem die Spieler freiwillig auf einen Teil ihres Gehalts verzichteten. Wie kam das zustande?
Wir wussten, dass der Verein mit Einbußen zu kämpfen hatte. Viele Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt, mit den meisten von ihnen stehen wir täglich in Verbindung. Uns war es ein Anliegen, sie zu unterstützen, damit sie ihr volles Gehalt bekommen und auf möglichst wenig verzichten müssen.

Euer Trainer Marco Rose gilt als Spezialist in Sachen Menschenführung. Gab es besondere Maßnahmen, mit denen er euch durch die Corona-Krise gelotst hat?
Ja, schon. Er ist ein sehr authentischer Trainer, dementsprechend offen und ehrlich sind wir als Gruppe mit der Situation umgegangen. Jeder hat ganz offen Feedback gegeben, wie es ihm in der jeweiligen Lage geht. Und jedem wurde aufrichtig freigestellt, ob er sich bereit und sicher fühlt. Oder ob er vielleicht bei den Eltern zu Hause ist und noch nicht ins Training einsteigen will. Er hat sich alles angehört und respektiert.

In dieser Phase wurde die überwiegende Mehrheit der Fußballprofis ihrer Vorbildrolle gerecht, es gab aber auch den Fall Kalou in Deutschland oder den Fall LASK in Österreich. Was ging dir durch den Kopf, als du davon gehört hast?
Was beim LASK passiert ist, habe ich zu wenig verfolgt, um mich äußern zu können. Der Fall in der Bundesliga war natürlich ein Aussetzer, völlig fehl am Platz. Und er hätte beinahe vieles von dem kaputt gemacht, was die DFL und alle Beteiligten zuvor mühsam aufgebaut hatten. 

Sportlich spielt Gladbach eine herausragende Saison, ihr seid auf Champions-League-Kurs. Gab es mal den Gedanken: Ein Abbruch wäre besser, um mit unsicheren Geisterspielen das Erreichte nicht zu gefährden?
Nein, nie! Wir haben alle gehofft, dass es weitergeht. Auch weil für viele Vereine aus der Bundesliga der wirtschaftliche Druck so hoch war. Wenn es für manche ums Überleben geht, ist der rein sportliche Gedanke zweitrangig. Und als es weiterging, haben wir es als Chance gesehen, dass wir jetzt noch mal richtig angreifen können. Mit dem Start haben wir ein Zeichen gesetzt, dass wir das maximal Mögliche erreichen wollen.

Also auch den Titel? Das M-Wort ist ja in Gladbach an sich verpönt ...
Wir wollen jedes Spiel gewinnen, das ist die Vorgabe. Das gilt für die Partie bei Bayern München genauso wie für jeden anderen Gegner.

Viele warnen, dass wegen der kurzen Vorbereitung und der vielen Spiele die Verletzungsgefahr steigt. Wie schätzt du das ein?
Ich verstehe die Gefahr, muss aber sagen, dass ich das nicht als großes Problem sehe. Mit den fünf Wechseln, die von der FIFA in dieser Phase erlaubt sind, kann man die Belastung gut steuern. Damit kann man die Hälfte aller Feldspieler wechseln, das ist schon ordentlich. Ich mache mir keine Sorgen, dass eine große Verletzungswelle auf uns zurollen wird.

Ohne Corona würdest du dich jetzt auf die EURO vorbereiten. Wie traurig bist du, dass du um dein erstes großes internationales Turnier umfällst?
Ein wenig bitter ist es schon. Wir hätten eine richtig coole Mannschaft zusammen, die gut eingespielt ist und bei der die Harmonie passt. Für mich hätte es jetzt mit der EURO losgehen können, die Vorfreude war riesig. Aber natürlich war die Verschiebung richtig. Freuen wir uns halt auf 2021.

Gab es in der Phase Kontakt mit ­Teamchef Franco Foda?
Mit ihm direkt nicht, es gab ja auch nichts zu besprechen. Aber wir Spieler haben eine Whats-App-Gruppe, in der wir uns gegenseitig auf dem Laufenden gehalten haben.