Ein Familienunternehmen ist einer der innovativsten Hersteller der ganzen Fahrradkomponenten-Branche. Und das seit genau 100 Jahren. Wie modernes Hightech, menschliches Management und ständige Weiterentwicklung zusammenwirken, weiß man bei busch+müller im Sauerland.

Was hatte 1946 ein saftiger Schinken im Büro eines kleinen Unternehmens für Fahrradteile und andere Gebrauchsprodukte zu suchen? Er ist Protagonist einer der skurrilen Episoden aus dem Unternehmerleben von Dr. Rainer Müller, heutiger Co-Chef des Zweirad-Teileherstellers busch+müller.

Sein Vater Willy Müller hatte bereits 1925, noch vor der Gesellenprüfung, zusammen mit dem Betriebsschlosser August Busch im Sauerländischen Meinerzhagen das Unternehmen gegründet. "Das war, wie oft im Leben meines Vaters, eine pragmatische Entscheidung", erzählt der 82-jährige Müller, der selbst eine gehörige Prise natürlicher Autorität, aber auch viel Unternehmer-Lebenserfahrung ausstrahlt. Man glaubt ihm, wenn er etwas behauptet, dass er genau weiß, was er sagt. Die 1920er-Jahre waren harte Zeiten. "Der Betrieb, bei dem beide vorher angestellt waren, war pleitegegangen. Es musste ja irgendwie weitergehen!", so Müller.

Die beiden gründeten ein Metallwaren-Unternehmen. Man schlug sich einige Zeit durch - und landete dann einen Coup: In den späten 20er-Jahren wird das "Katzenauge" Vorschrift, ein runder Glas-Reflektor für die Fahrrad-Hinterseite. Der 20·jährige Willy Müller will damit sein Geld verdienen und fährt also mit einem seiner selbst hergestellten Katzenaugen-Reflektoren nach Berlin, um das offizielle Prüfzeichen dafür einzuholen. Es klappte, und der Weg in die Fahrradindustrie von busch+müller nimmt seinen Lauf. In den 30ern wurde das aktiv leuchtende Licht am Rad Pflicht. Und busch+müller begann mit der Produktion davon, wofür das Unternehmen berühmt wird: Rücklichter. Dazu kamen immer wieder auch andere Nebenprodukte wie ein Wäschestampfer oder auch mal Motorradhelme. Nach Ende des zweiten Weltkriegs - und hier kommt der Schinken ins Spiel - bekommt die Firma Besuch von einem Opel· Einkäufer. "Ich hab gehört, ihr habt noch Katzenaugen!?", fragte er und packte im Büro seinen Schweineschinken aus dem Rucksack, um ihn während der Verkaufsverhandlungen genüsslich zu verspeisen. Machtdemonstration der Autoindustrie in kargen Nachkriegszeiten? "Ich weiß bis heute nicht, warum er das gemacht hat", so Rainer Müller.

Jedenfalls kam Vater Müller mit Opel ins Geschäft. Der Deal: Ein Opel Blitz­ Lieferwagen gegen die abgesprochene Menge von 3.000 Katzenaugen! Ein echter "Deal"!

Erste Erfahrungen mit Kunststoff
Der Kunststoff Bakelit war im Aufwind und eignete sich bestens für Fahrradgriffe; also wurde mit einer Bakelitpresserei nachgerüstet. Neben Griffen stellte busch+müller Teller, Trinkbecher und Butterdosen daraus her. Der Opel-Kontakt führt später zum Einstieg ins Geschäft mit Außenspiegeln für Autos: Kadett, Rekord, Manta, in jedem Opel kontrollierte man mit Blick in den busch+müller-Spiegel, ob überholen sicher war.

Doch die wichtigsten Erfindungen hat man in Meinerzhagen für das Rücklicht gemacht. "Modernes Acrylglas würde sich doch viel besser eignen", dachte sich Dr. Rainer Müller als junger Entwickler in den 50ern. Bruchsicher, leicht, einfach herzustellen. Bedenken der Verkehrsgesetzgeber: Das wird doch zu schnell zerkratzt und lässt kein Licht mehr durch. Oder? "So musste das Verkehrsministerium schließlich mit praktischen 'Kratztests' mit Wiener Kalk überzeugt werden!" erzählt er lächelnd. Schon damals ist die Kommunikation zwischen dem Verkehrsministerium und dem 1967 nach seinem Wirtschaftsstudium ins Unternehmen eingetretenen Dr. Rainer Müller intensiv. Bis heute sitzt er in Gremien zur Verkehrsgesetzgebung und hat hier enorm viel für das Verkehrsmittel Fahrrad erreicht.

Eulen nach Athen, Reflektoren nach Holland
Immer gehört auch Glück zum Erfolg: In der Fahrradnation Niederlande wurden in den 70ern Gepäckträger-Rückstrahler Pflicht und mussten nachgerüstet werden. Und busch+müller konnte quasi Tag und Nacht Reflektoren produzieren und dorthin verkaufen. Dasselbe war kurze Zeit später in Deutschland angesagt.

„Mein Vater war Rheinländer. Der sagte: ,Wenn es Brei regnet, halt den Löffel raus!'" Müller lacht. Aber ein unausgesprochenes Motto war und ist auch: Bewege dich weiter! Eine der wichtigsten Erfindungen: Das Rücklicht mit Standlicht, 1992. Ein Kondensator speicherte die Energie, sodass das Dynamo-betriebene Licht auch im Stand leuchtet - heute Standard. Auch dazu gibt's eine Geschichte: .,Bei der Vorstellung des Rücklichts auf der Kölner Messe meinte der dortige Bürgermeister beim
 
Rundgang mit dem Verkehrsminister, er hätte auch so eines am Rad, "und isch dacht, dat wär kapott!" Über diese kölsche Logik kann man bei busch+müller heute noch schmunzeln. Aber für Viel-Radfahrer und Radpendler war es ein weiterer Schritt Richtung mehr Sicherheit im Verkehr!

Ab 1993 gab es dann Frontleuchten von Bumm, wie das Unternehmen oft genannt wird. 1999 kann sich Fahrradlicht dank Sensor bei Dämmerung selbst einschalten - auch von B&M entwickelt.
Mitte der 2000er Jahre kommt statt Halogen die LED ins Scheinwerfergehäuse, mit damals stattlichen 40 Lux Leuchtstärke! Endlich nicht nur vage gesehen werden, sondern, gerade auf schlecht beleuchteten Straßen jenseits der City, auch nachts besser erkennen können, wohin man rollt - unbezahlbar.

Verkehrsministern erklären, wie das Fahrrad sicher wird.
2010: "Tagfahrlicht. Das haben wir vom Auto abgeguckt!", schiebt Rainer Müller fast schuldbewusst hinterher. Als ob es deshalb keine echte busch+müller-Entwicklung wäre. 2011 ein weiterer Meilenstein: Das erste zugelassene Bremslicht. "Eigentlich war Bremslicht am Fahrrad nicht erlaubt", schmunzelt Müller. Aber auch hier war der erfahrene Kommunikator bei der Neuregelung des Gesetzes in beratender Funktion dabei und kann überzeugen, was heute viele Radfahrende fühlen: Bremslicht macht das Radfahren nochmals sicherer, vor allem nachts.

2015 kam der von Rainer Müller selbst entwickelte Scheinwerfer IQ-X auf den Markt. "Für die damals ungewöhnliche runde Form habe ich mich vom Sektkelch inspirieren lassen", meint Müller mit einem Schalk
in den Augen. Es wird der erste zugelassene Scheinwerfer mit 100 Lux auf dem Markt. Die letzten Jahre, in denen auch Sohn und Co-CEO Guido Müller kräftig mitmischte, ging's Schlag auf Schlag: Einem Mitarbeiter gelang mit der Entwicklung des Kurvenlichts - ein Adapter, der das Licht auch in Kurven in Fahrtrichtung strahlen lässt, statt es drei Meter vor dem Rad in den Boden zu schicken -, fast schon ein Geniestreich.
Heute gibt's das auch digital: Auch hier analysiert die Technik die aktuelle Lage des Rads und aktiviert Leuchtdioden innerhalb des Scheinwerfergehäuses, die in die entsprechende Richtung leuchten.
Leuchtkraft en masse: Mit den bis zu 220 Lux des Fernlichts lässt das E-Bike-Licht Briq XL die Nacht zum Tag werden und viele Autofahrer vor Neid erblassen.

Noch mehr Sicherheit: Ganz aktuell bringen die busch+müllers eine Blinker-Anlage für das E-Bike auf den Markt: TURNTEC T4. Endlich bleiben beide Hände beim Richtungswechsel am Lenker, und die Blinker sind nachts gar nicht mehr übersehbar.
 
Premium-Faktor Made in Germany
Das Fahrrad, vor allem das E-Bike aus Deutschland, ist heute ein Hightech­ Produkt. Großen Anteil daran haben diese Sauerländer. Und, das wird keiner der Müllers müde zu erwähnen: Ihre mittlerweile 340
Mitarbeiter. "Mein Sohn hat vor Kurzem auf einer Feier gesagt: 'Ich möchte keinen einzigen von euch verlieren!'", erzählt Müller stolz. "Da gehört einiges zu, aber es zeigt auch, wie wichtig uns unser Personal ist!" Und auch für die Region ist busch+müller ein wichtiger Arbeitgeber. Ein Jahrhundert lang hat busch+müller - die Busch-Linie stieg 1980 aus dem Unternehmen aus - mit ihren drei Geschäftsführern aus drei Generationen und ihren Mitarbeitern dafür gesorgt, dass das Fahrrad ein sichereres, beliebteres und komfortableres Verkehrsmittel geworden ist. Dass sie 2025 ihr 100-Jähriges feiern können, ist also kein Zufall. Sondern äußerst verdient, auch verdient um das Fahrrad.

Technik-Highlights aus der busch+müller-Geschichte:

1989 Toplight: erstes Rücklicht für den Gepäckträger mit Zulassung 1992 Secutec: erstes Rücklicht mit Standlicht
1999 erster Scheinwerfer mit Sensortechnik - automatische Lichteinschaltung
2004 erster LED-Scheinwerfer mit Zulassung in Deutschland
2008 Big Bang, erster Gasentladungsscheinwerfer für Fahrräder mit Zulassung
2010 erstes Tagfahrlicht im Scheinwerfer
2011 Rücklicht mit Bremslichtfunktion mit Zulassung 2018 E-Bike-Scheinwerfer mit Fernlichtfunktion 2022 Leval Kurvenlicht
2023 Fernlicht mit Dynamoversorgung 2023 Blinker für S-Pedelecs und E-Bikes 2024 digitales Kurvenlicht

Daten busch+müller
Gründung: 1925 von Willy Müller und August Busch
Sitz: Meinerzhagen im Sauerland
Produktionsfläche: 14.000 Quadratmeter
Mitarbeiter: 300 (+60 beim Elektronikhersteller BEW Byczek)
Produkte im Fahrrad-Bereich: Scheinwerfer, Bremslichter, Rücklichter, Spiegel, Blinker - und natürlich „Katzenaugen"