Hier schreiben die Athleten: Österreichs Weltklasse-Diskuswerfer Lukas Weißhaidinger über seinen härtesten Konkurrenten, erhöhte Chancen für Olympia, finanzielle Einbußen und einen Deal mit der Verteidigungsministerin.  

Eins vorweg: Ich halte nichts vom Jammern und habe auch nicht vor, aufgrund der Corona-Krise damit anzufangen. Man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen, und versuchen, das Beste daraus zu machen. Mich hat Jammern jedenfalls noch nie weitergebracht. Trotzdem muss man feststellen: Für uns Sommersportler kam der Lockdown zum brutalst ungünstigsten Zeitpunkt. März und April sind die Monate des Jahres, in der die Form und die Technik für die ganze Saison geschliffen werden. Genau das war jetzt nur sehr eingeschränkt möglich. Mein Trainer Gregor Högler und ich haben viel über Skype trainiert, was unter diesen Umständen schwer okay war. Aber in einen Bildschirm zu starren ist auf lange Sicht doch etwas ganz anderes, als einen Wurf in 3D zu analysieren. Das hat an meinen Nerven gezehrt, da haben wir sicher an Qualität verloren. Das Wichtigste in dieser Phase war, Ruhe zu bewahren. Das habe ich einigermaßen hinbekommen – zumindest für meine Verhältnisse ...

Zwei bis drei Prozent habe ich durch die Corona-Krise sicher verloren. Das klingt nicht nach viel. Aber bei 68 Metern Weite sind ein Prozent schon 68 Zentimeter, das kann am Ende locker über Sieg und Niederlage entscheiden. Jeder kann sich vorstellen, wie erleichtert ich war, als ich endlich wieder mit Gregor in der Südstadt trainieren konnte. Wir haben schnell unseren gewohnten Rhythmus gefunden und uns auf unser gewohntes (Trainings-) Niveau eingependelt. Und niemand kann sich ausmalen, wie happy ich war, endlich wieder ein paar Massagen zu bekommen. Elektrotherapie, Kältebecken, Lasertherapie, ich habe alles gemacht, was allein möglich ist. Aber ich habe mir noch nie im Leben so sehr gewünscht, einen Physio- oder Massagetermin zu bekommen. Ich war nach 5 Wochen Heimtraining total verspannt, mein ganzer Körper tat mir weh, es war wirklich hart. Ich habe jedenfalls sehr zu schätzen gelernt, was Gregor und ich in den letzten Jahren an Infrastruktur in der Südstadt aufgebaut haben.

Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig es für einen Sportler ist, dass er Ziele hat, dass er weiß, dass sein Training irgendwo hinführt. 

Lukas Weißhaidinger

Was für mich jetzt total ungewohnt ist: Ich habe jahrelang immer auf ein Highlight im Sommer hintrainiert. Das geht mir jetzt ab. So etwas bringt dich aus der Mitte, macht alles schwieriger. Da die Saison so gut wie komplett abgesagt ist und auch die EM Ende August in Paris nicht stattfindet, werden wir auf jeden Fall ein paar Mini-Meetings bestreiten. Das sind Wettkämpfe mit einer Minimalanzahl von Athleten, Trainern und Kampfrichtern, so, wie es erlaubt ist. Jetzt ist mein Höhepunkt eben nicht das Olympiafinale in Tokio, sondern ein Wettkampf in Schwechat oder Rannersdorf. Man darf nicht unterschätzen, wie wichtig es für einen Sportler ist, dass er Ziele hat, dass er weiß, dass sein Training irgendwo hinführt. Es gibt nichts Schlimmeres, als über einen langen Zeitraum ins Leere zu trainieren. Mit einem Ziel vor Augen, hat jede Einheit eine höhere ­Qualität und Intensität, ist der Fokus ein ganz anderer. So etwas lässt sich nicht simulieren.

 Dass es bei diesen Mini-Meetings gegen nationale Konkurrenz geht und nicht gegen andere Weltklasseathleten, ist dagegen kein großes Problem. Denn mein größter Konkurrent ist das Maßband und das ist immer und überall dabei. Daher weiß ich, wo ich im internationalen Vergleich stehe. Oft werde ich in der Vorbereitung gefragt: Luki, wann wirfst du wieder richtig weit? Ich sage dann: Wenn ich es muss! Wir Sportler sind mental darauf getriggert, im Moment X unser gesamtes Potenzial abrufen zu können. Und das ist der Wettkampf, egal, ob groß oder klein. Natürlich hat einer meiner stärksten Gegner, der Schwede Daniel Stahl, momentan einen Vorteil mir gegenüber. Weil die Schweden eine andere Strategie gegen Corona hatten, konnte er durchtrainieren. Ich habe sogar gehört, dass er demnächst einen Weltrekordversuch starten will. Soll er ruhig machen, in gewisser Weise ist es ja irrelevant, wie weit er dieses Jahr wirft. Wenn wir beide wieder im Ring stehen und gegeneinander werfen, dann erst kommt ein zählbares Ergebnis heraus. 

Ich habe jetzt ein Jahr länger Zeit, noch präziser an mir zu arbeiten, noch mehr an Kleinigkeiten zu feilen.

Lukas Weißhaidinger

Mit Blickrichtung Olympia sehe ich durch die Verschiebung auf 2021 sogar einen kleinen Vorteil für mich. Ich gehöre ja nicht zu den Kraftwerfern, sondern bin ein Techniker, der extrem von der Biomechanik oder dem Drehmoment lebt. In dem Bereich geht es um Nuancen. Da habe ich jetzt ein Jahr länger Zeit, noch präziser an mir zu arbeiten, noch mehr an Kleinigkeiten zu feilen, noch mehr die Ergebnisse unserer Trainingsgeräte auszuwerten. Das könnte für mich sprechen und gegen meine Konkurrenten, die schon jetzt relativ viel in ihren Körper investiert haben und die jetzt noch ein Jahr lang ihr Topniveau halten müssen. Eine ganze Saison keine großen Wettkämpfe zu haben, bedeutet auch: keine Preisgelder, kein Präsentieren der Sponsoren. Das trifft viele hart. Als Sportler habe ich nur eine begrenzte Zeitspanne, in der ich Geld verdienen kann, bei den meisten sind es zwei bis drei olympische Zyklen.

Ich bin froh, eine Vielzahl an treuen Partnern zu haben. Natürlich sind auch welche abgesprungen, die gesagt haben: Luki, ich muss Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, ich kann dich heuer nicht unterstützen. Das verstehe ich vollkommen! Dass ein Mitarbeiter seinen Job behalten kann, geht eindeutig vor. Andere Partner sagen: Wir tauchen da gemeinsam durch, es gibt auch ein Jahr nach Corona. Am wichtigsten ist ja am Ende des Tages, dass möglichst alle gesund und unbeschadet durch diese Zeit kommen. Viele wissen ja von meiner Idee, dass ich ein Bäumchen bei der 70-Meter-Marke in der Südstadt pflanzen will, wenn ich es geschafft habe, sie zu übertreffen oder bei Olympia eine Medaille zu holen. Kurz nachdem wir Anfang Mai dort wieder trainieren konnten, hat mich Verteidigungsministern Klaudia Tanner, als Heeressportler ja so etwas wie meine oberste Chefin, besucht. Was mich, das gebe ich zu, schon stolz gemacht hat. Ich habe ihr von meiner Idee erzählt, worauf sie spontan meinte: Wenn ich das wirklich schaffe, besorgt sie einen Apfelbaum und wir pflanzen ihn gemeinsam ein. Fand ich richtig cool von ihr. Top, die Wette gilt!