Die wahre Freiheit auf Skiern ist abseits der Pisten zu finden – davon sind immer mehr überzeugt. Wie ­Skigebiete mit dem Trend zum Freeriden umgehen und was sie der Off-Piste-affinen Zielgruppe bieten.  

Christof Domenig
Christof Domenig

Es ist dieses Gefühl annähernder Schwerelosigkeit – wenn man Schwung auf Schwung in den lockeren Schnee setzen kann und über das, was man macht, nicht mehr nachdenken muss. Man kommt in den Flow, einen Adrenalinrausch. Und wenn man das einmal erlebt hat, dann will man es immer wieder erleben.“ So beschreibt Alex Huber, früher Freeride-Profi, heute Skischul-Betreiber und Freeride-Experte am Kärntner Nassfeld, das Gefühl und die Faszination Freeriden. Wobei dieses Gefühl nicht erst auf weiten, unverspurten Hängen zu finden ist (auch wenn dies Werbebilder oft suggerieren), betont auch Andreas Putz vom Skicircus Saalbach Hinterglemm Leogang Fieberbrunn: „Freeriden beginnt mit dem Anschnallen der breiten Ski und dem Zuklipsen des Rucksacks. Es gibt Tage, wo du sogar auf der Piste 20 Zentimeter Powder hast; du kannst unmittelbar neben der Piste super Schnee finden und es geht bis dahin, 500 Höhenmeter aufzusteigen, um einen freien Hang zu finden. Freeriden kann man nicht so klar definieren wie einen First Ride auf der Piste – es geht darum, was du fühlst.“

Dieses mit starken Emotionen verbundene Erlebnis ist gefragt, die Zahl derer, die lieber im Gelände als auf Pisten Ski fahren, wächst unverändert: Das beobachtet auch Stefan Leitner vom Ski Juwel Alpbachtal Wildschönau in Tirol. Dort ist das Areal rund um das 2128 m hohe Wiedersberger Horn der Treffpunkt der Off-Piste-Fahrer. „Wenn es frisch geschneit hat, geht es dort ab. Das hat auch damit zu tun, dass die Hänge relativ sicher sind und keine großen Schwierigkeiten bieten. Zugleich ist es so beschaffen, dass es für Einsteiger wie auch für erfahrene Freerider lukrativ ist“, sagt Leitner. 

Was braucht ein Freeride-Skigebiet?
Wie gehen Skigebiete mit der wachsenden Zahl der Freerider um? „Für ein Skigebiet wie unseres hat das Thema eine sehr große Bedeutung“, sagt der Saalbacher Putz, „auch in dem Sinn, dass wir uns verpflichtet fühlen, die Leute zu informieren, auszubilden und ihnen die Möglichkeit zu einem niedrigschwelligen Einstieg zu geben.“ Zur Frage, worin sich ein sehr gutes „Freeride-Skigebiet“ von anderen abhebt, sagt der Experte auch gleich: „Abwechslung und unterschiedliche Schwierigkeitsgrade bieten zu können, ist sicher wichtig. Wir haben einerseits Hänge mit ganz niederschwelligen Einstiegsmöglichkeiten neben dem Lift, aber auch Steilwandabfahrten wie in Fieberbrunn, die ich nur erreiche, wenn ich selbst aufsteige, wozu ich entsprechend fit sein muss.“

Alex Huber findet: „Es braucht eine gewisse Steilheit, um schön fahren zu können. Eine gewisse Schneesicherheit ist wichtig, um – egal ob aus ei­n­er Nord- oder Südstaulage – richtig viel Schnee abzubekommen. Sind dann noch Aufstiegshilfen vorhanden, um diese Hänge relativ einfach zu erreichen, ist das Paket geschnürt.“ Gerade nach Schneefällen bei Südstaulage hat sein Kärntner Heimat-Skigebiet an der Grenze zu Italien den einstigen Status des „Geheimtipps“ für Freerider längst hinter sich gelassen. Hänge zwischen 400 und 700 Höhenmeter finde man am Nassfeld zur Genüge – „ist man bereit, ein paar Meter hochzusteigen, dann steht einem der ganze alpine Schatz des Berges zur Verfügung.“ Wichtiger Zusatz: immer unter Beachtung der Sicherheit (siehe Factbox unten).

Große Freeride Regionen hätten – im Vergleich zu einer kleinen „Geheimtipp-Region“ – auch dann Vorteile, wenn die Wetter- und Lawinenlage einmal nicht ideal ist, sagt Andreas Putz: „Wenn es gefährlich ist, darf ich in gewisse Gebiete nicht hin – aber es gibt immer noch flachere Hänge oder Wiesenabfahrten. Grasberge eignen sich im Vergleich zu Steinbergen auch deshalb sehr gut, weil du weniger Schnee brauchst und sofort ein Freeride-Erlebnis haben kannst.“

Natürlich geht es auch um die Höhenlage und die Exposition – Putz: „Pulvriger, kalter Schnee ist besser, das ist keine Frage. Das Erlebnis in der Sonne ist schöner, nordseitig, wo es schattig ist, hält der Schnee dafür länger. Auch da liegen wir aufgrund unserer Querausrichtung und nord- wie auch südseitigen Hänge ideal.“
 

Sicher freeriden: So gelingt der Einstieg

Freeriden fängt direkt neben der Piste an. „Und manchmal ist man schon direkt neben der Piste mit alpinen Gefahren konfrontiert“, sagt Alex Huber. „Du kannst zehn Meter neben der Piste in Absturzgefahr oder mit rutschendem Schnee in Konflikt kommen. Geht es über den Pistenrand hinaus, muss man sich mit dem Thema alpine Gefahren, mit der Sicherheitsausrüstung und mit sich selbst auseinandersetzen.“ 

Einstieg auf Skirouten
Eine gewisse körperliche Grundfitness sollte gegeben sein, so Huber. Eine Möglichkeit zum erstmaligen Einstieg ist, sich an ausgewiesene Skirouten, unpräparierte, jedoch abgegrenzte und ausgewiesene Areale, zu halten: „Sie werden von den Pistenerhaltern nur freigegeben, wenn sie sicher sind. Das ist ein guter Weg, als Neuling das Gelände zu erkunden. Aber auch dort gibt es keine 100 % Sicherheit: Lawinenwarnstufe null gibt es nicht.“ 

Sicherheitsausrüstung
Es gilt auch: auf keinen Fall ohne Sicherheitsausrüstung ins freie Gelände. Pflicht sind LVS-Gerät, Sonde und Schaufel. Man soll die Teile aber nicht nur mithaben, sondern unbedingt damit umgehen können. LVS-Suche gehört gelernt und trainiert. Daneben kann ein Lawinen-Airbag-Ruckack hilfreich sein. Aber: „Nicht wenige glauben, man kann sich Sicherheit mit einem Lawinenrucksack kaufen. Wenn etwas passiert, ziehe ich den Airbag“, weiß Huber. Es gibt aber etliche Situationen, in denen ein Lawinenairbag nicht hilft. 

Kurse und Guide
„Kaufen“ kann man sich Sicherheit auf zweierlei Art: als Investment in das eigene Wissen und Können – etwa mit dem Besuch von LVS-Trainings und Sicherheitskursen. So ein Kursbesuch sollte im Bestfall schon ganz am Anfang des Freeride-Lebens stehen. In Camps und auf geführten Touren mit Profis kann man ebenfalls viel lernen. Die andere Art, Sicherheit zu kaufen, ist sich einen Freeride-Guide zu buchen. Geht man an das Thema Freeriden mit Bedacht und Umsicht heran, dann lässt sich das Gefahrenpotenzial sehr klein halten.

Infrastruktur und Events
Hilfreich sind für Freerider auch Informationen in digitaler oder gedruckter Form – eine Freeride-Map, wie es sie etwa im Skicircus Saalbach Hinterglemm Leogang Fieberbrunn gibt, wo Freeriderouten dargestellt und LVS-Checkpoints eingezeichnet sind. Eben jene Checkpoints und LVS-Übungsfelder gehören auch zur Infrastruktur, mit der man als Skiresort Freerider unterstützen kann, allein um Aufmerksamkeit für das wichtige Sicherheitsthema zu schaffen: „Die meisten haben zwar ein Lawinenpieps mit, aber wenn ich nicht weiß, was ich damit tue, kann ich im Ernstfall niemandem helfen. Das ist ein Riesenthema“, so Putz. Der auch berichtet: „Wir haben auch ein eigenes Lawinenwarnsystem eingerichtet, noch spezieller auf die Region bezogen.“
 
Eine andere Möglichkeit, sicher unterwegs zu sein, auch wenn man selbst nicht über das Wissen und die Erfahrung verfügt, ist das Buchen eines Freeride-Guides. Solche findet man in vielen Skigebieten – dieses Investment zahlt sich auch aus, weil man sich damit nicht nur „Sicherheit“ kauft, sondern auch in Sachen Fahrtechnik vom Guide lernen kann, betont Skischulbesitzer und Freerider Alex Huber. Fein auch: Hotels und Unterkünfte, wo man sich Tipps von Locals und Insidern holen kann.
Natürlich sind auch Events für die Freeride-Community von Bedeutung: Fieberbrunn ist der einzige Stopp im deutschsprachigen Raum in der Freeride World Tour, um die Profis „bei der Arbeit“ zu sehen. Der Open Faces Freeride Contest im Alpbachtal ist als Freeride Qualifier ein Wettkampfformat für die Nachwuchs-Freerider. Der Ski-Nachwuchs ist es auch, den man im vielfach ausgezeichneten Familienskigebiet Ski Juwel Alpbachtal Wildschönau mit seinen Freeride-Angeboten in erster Linie erreichen will, sagt Stefan Leitner: Mit speziellen Familien-Lawinencamps und Kooperationen mit Schulen – „die Sicherheitsthematik an die junge Zielgruppe zu bringen, ist uns ein wichtiges Anliegen“.

Am wichtigsten: Respekt
Neben den bekannten großen Freeridegebieten gibt es auch viele sehr gute kleinere Gebiete, wo man sich herantasten kann und mit dem Virus infiziert wird, weiß Andreas Putz – siehe auch unsere Top-20-Auswahl. Einen Gedanke möchte der Saalbacher allen noch mitgeben: „Wir bewegen uns in der freien Natur und ein Wort ist hier besonders wichtig: Respekt. Vor der Natur, den Wildtieren und den Schutzzonen, aber auch den Einflüssen wie Schneefall, Steilheit. Sperrungen haben etwa immer einen Grund. Mit Respekt haben wir alle einfach mehr davon.“