In Zeiten wie diesen zählt auch dieses Faktum: Freeriden ist der Corona-resistenteste Skisport! Aber Vorsicht: Für die „Freiheit am Ski“ braucht es Können – und Köpfchen.

Thomas Polzer
Thomas Polzer

Ein Skifahrer zieht in der unendlichen Weite einer makellosen Schneelandschaft einsam seine Spuren in den aufstaubenden Pulverschnee. Es ist ein seit Jahren praktiziertes Marketing, dass alle Skiberge, egal, ob groß oder klein, mit Bildern vom Freeriden um die Skigäste buhlen. Aber heuer befüttern diese Motive von der „grenzenlosen Freiheit auf Skiern“ mehr denn je den Wunsch-traum vieler Wintersportler, die auch coronabedingt dem Gedränge bei den Seilbahnen und dem Trubel auf den Pisten ausweichen wollen und nicht zuletzt animiert von den plakativen Powder-Bildern nun ebenfalls die Spur ins freie Gelände wählen wollen. 

Womit sich sofort die Frage stellt, wie massentauglich das Freeriden ist. Denn ganz anders als beim Pistenfahren steht bei diesem Skisport im Outback zwischen Wunsch und Wirklichkeit der Bremsklotz „Risiko“, warnt auch unser Experte Stephan Skrobar, staatlich geprüfter Skiführer und Betreiber der Free­ride- und Skitouren-Schule „Die Bergstation“ in Ramsau am Dachstein: „Wer Freerider sein will, muss zuerst einmal hinterfragen: Bin ich skitechnisch und konditionell tatsächlich gut genug, um im unverspurten Gelände und bei unterschiedlichsten Schneebedingungen sicher abfahren zu können? Frage zwei: Habe ich überhaupt das Wissen, um Freeride-Touren planen und die Gefahren im Gelände einschätzen zu können? Und Frage 3: Bin ich sicherheitstechnisch entsprechend ausgerüstet und kann ich mit diesem Equipment auch umgehen?“

Stephan Skrobar fasst diese drei entscheidenden Einstiegskriterien ins Freeriden unter dem Begriff „Eigenverantwortung“ zusammen: „Nur wer diese Verantwortung für eine ehrliche Selbstbeurteilung mitbringt, wird beim Freeriden das Erlebnis genießen können, das er sich erhofft.“ Aber der Experte will mit diesem Verweis nicht abschrecken, sondern vielmehr allen Interessierten den richtigen Weg des Freeride-Einstiegs zeigen. Der beginnt nämlich dort, wo man sich das Wissen und das Können, das man als Freerider braucht, aneignen kann. „Kein Mensch kommt auf die Idee, ganz allein seine erste Skitour zu unternehmen, sondern er wird zuerst einen Kurs absolvieren oder sich zumindest bei erfahrenen Tourengehern anhängen“, sagt Skrobar. „Nicht anders muss es beim Freeriden sein. Um die Grundkenntnisse zu erlernen, bucht man sich als guter Hobbyskifahrer entweder in einen Kurs ein oder man vertraut sich einem ausgebildeten Freeride-Guide an, der einen ganz persönlich und professionell in diesen Sport einführt.“

Das Wichtigste beim Freeriden ist die Eigenverantwortung.

Stephan Skrobar

Mit dem Aufschwung der Freeride-­Industrie, die ein gewichtiger Wirtschaftszweig im Wintersport geworden ist, hat sich logischerweise auf den Skibergen eine eigenständige Freeride-Kultur entwickelt, die auch mit eigens ausgewiesenen Freeride-­Revieren samt dazugehöriger Infrastruktur beworben wird. Zu dieser Infrastruktur gehören eben auch Freeride-Schulen, die Kurse und Camps veranstalten, sowie professionelle Freeride-Guides. „Zur Klarstellung: Freeride-Guides sind keine Skilehrer, wie sie auf den Pisten fahren“, sagt Stephan Skrobar, „sondern wir haben die spezielle Ausbildung als Ski-und Bergführer. Das heißt, wir bringen unsere Gäste nicht nur sicher durchs unverspurte Gelände und schulen sie in der Skitechnik, sondern wir geben ihnen auch unser Wissen mit, wie man Schnee und Wetter einschätzt, wie man Freeride-Routen plant, mit dem Sicherheitsmaterial richtig umgeht und wie man sich in Extremsituationen verhält.“

Die Suche nach einer passenden Freeride-­Schule ist automatisch mit einem weiteren gewichtigen Kriterium des Freeridens verknüpft: mit der Auswahl eines guten Freeride-Reviers samt dazugehöriger Infrastruktur! Aber auch da müssen alle traditionellen Pistenfahrer umdenken: Während bei den präparierten Skibergen allein schon nach Schwierigkeit und Länge der gelisteten Pistenkilometer, nach Anzahl und Ausstattung der Liftanlagen bis hin zur Hüttenkultur die Angebote ziemlich genau verglichen und danach eine emotionale Vorauswahl getroffen werden können, so fehlen bei der Suche nach einem attraktiven Freeride-Revier solch einfache Kriterien. „Bei diesem Geländesport kann es gar keine vergleichbaren Kriterien und Zahlen geben“, erklärt Stephan Skrobar, „sondern hier sind es viele Faktoren, die die Qualität und die Art des Freeridens im jeweiligen Revier beeinflussen. Höhe, Wetterlage, Wind, Schneelage, geographische Bedingungen, die Größe des Geländes und seine Beschaffenheit – alle diese Faktoren bestimmen völlig unterschiedlich den Charakter und die Tauglichkeit eines Skigebiets für Freerider.“

Richtig ist, dass auf immer mehr Skibergen eigens markierte Freeride-Routen teilweise sogar mit Kilometerangaben oder Schwierigkeitsfaktor ausgewiesen werden; Sprengungen im Backcountry garantieren Lawinensicherheit und selbst Testcenter für LVS-Checks und Lawinenkunde werden angeboten. „Anhand solcher Angebote zeigt ein Skigebiet jedenfalls, dass es hier eine Freeride-Szene gibt, auf die man Wert legt. Damit sorgt man zugleich aber auch dafür, dass die Freerider im gesicherten Raum und nicht in Sperrgebieten oder Ruhezonen der Wildtiere herumfahren“, sagt Stephan Skrobar, dem wie allen Skiführern das Thema Naturschutz ganz wichtig ist. „Ich bin im ständigen Austausch mit Jägern und Förstern, welche Bereiche am Berg für den Naturschutz wertvoll sind und wo man aufpassen muss. Auch das ist ein Wissen, das man im Kurs, im Camp oder bei der Tour mit dem Guide vermittelt bekommt.“

Viele Faktoren beeinflussen die Qualität eines Freeride-Reviers.
 

Stephan Skrobar

Die völlig unterschiedlichen und vielfältigen Bedingungen, mit denen man als Freerider konfrontiert wird, erklären auch, warum nicht nur Einsteiger, sondern vielfach routinierte Geländefahrer die Dienste von Guides in Anspruch nehmen. Und das nicht nur etwa in der endlosen Weite des Arlbergs, wo ein ortskundiger Führer bei der Spurensuche praktisch unverzichtbar ist. Stephan Skrobar weiß aus langjähriger Erfahrung, „dass es nicht auf die Größe eines Skigebiets ankommt, um ein exzellentes Freeride-­Revier zu sein. Die Tauplitz oder die Planneralm in der Steiermark oder die Wildkogel Arena im Pinzgau – alles das sind authentische, übersichtliche Freeride-Gebiete, wo sich Geübte ebenso wohlfühlen wie Anfänger, die in solchen Gebieten oft in Sichtweite der Pisten ihre ersten Versuche starten können.“ Oder wie es Katharina Steiner von der „Weißsee Gletscherwelt“ in Uttendorf/Pinzgau auf den Punkt bringt: „Entscheidend ist, dass es im Revier genug freies Gelände und unterschiedliche Hänge gibt, die für alle Freerider, egal, welcher Könnerstufe, genug Spielwiese bieten, um an einem Tag nicht zweimal die gleiche Linie fahren zu müssen. Für unseren Tourismus sind die Freerider jedenfalls eine wichtige und vor allem neue, junge Zielgruppe geworden, der wir auch entsprechend was bieten müssen.“

Ein Tipp noch, den unser Experte Stephan Skrobar allen Freeridern, ob Newcomer oder Routinier, mit auf die Tour geben will: „Bleibt stets konzentriert, werdet nicht überheblich, sondern steckt euch beim Erreichen des nächsten Levels immer wieder neue, aber kleine Ziele.  Und vertraut auf die Hilfe von Profis – dann habt ihr auch den Spaß, den ihr euch beim Freeriden erhofft.“

Schnee
Stephan Skrobar

ist staatlich geprüfter Skilehrer und Skiführer und Alpinausbildner für den steirischen Skilehrerverband. Gemeinsam mit Peter Perhab leitet er das ‚Die Bergstation Freeride & Alpin Center‘. Stephan betreibt außerdem eine Kommunikationsagentur und ist Gründungsmitglied des Thinktank Neowise. 
WEB:  www.bergstation.at