Ob Trailrun oder Skitour: Emelie Forsberg genießt die Freiheit der Berge – und inspiriert damit Menschen auf der ganzen Welt. Weil sie mit ihrer Liebe zur Natur immer wieder zeigt, dass es der Weg ist, der unser Ziel sein sollte. 

Axel Rabenstein
Axel Rabenstein


Emelie, du bist 2019 und 2021 Mutter geworden. Wie hast du diese Veränderung als Athletin erlebt?
Es waren in jeder Hinsicht intensive Jahre. Während der Schwangerschaften habe ich mein Training natürlich stark reduziert. Ehrlich gesagt habe ich auch darüber nachgedacht, ob es überhaupt Sinn macht, weiter als Wettkampfathletin aktiv zu sein. Wir müssen mehr planen, haben viel mehr Logistik zu beachten. Glücklicherweise sind wir sehr flexibel, das erleichtert einiges. Inzwischen sind wir gut organisiert, und jetzt bin ich gerade auf dem Weg nach Frankreich, um dort zu trainieren.

Was ist dein Ziel – so fit wie vorher zu sein?
Grundsätzlich, ja. Ich wusste, dass es seine Zeit brauchen würde, zurück aufs höchste Level zu kommen. Aber diese Zeit muss man sich eben nehmen. Ich ziehe meine Einheiten durch, höre auf meinen Körper und sehe, wohin es mich führt. Wichtig ist, sich nicht zu sehr auf ein Ziel zu fokussieren, sondern den Weg dorthin und den Prozess zu genießen.

Auf welchem Leistungslevel siehst du dich derzeit?
Ich habe das Gefühl, auf kürzeren Distanzen bereits meine frühere Leistungsfähigkeit erreicht zu haben. Für zwei bis drei Stunden kann ich extrem hart pushen. Ich würde sogar sagen, dass ich im Vertical stärker bin als zuvor. Woran ich arbeiten muss, ist meine Ausdauer. Aber ich bin da ganz entspannt: Ich erfreue mich einfach daran zu beobachten, wie weit mich mein Training bringt.

Bist du auch deshalb so entspannt, weil die pure Leistungsfähigkeit nie dein Fokus war? Sondern vor allem die Zeit, die du aktiv in der Natur verbringst?
Absolut, die Rennen sind seit vielen Jahren ein Teil meines Lebens, aber eben nur ein Teil. Ich würde mich nicht als Wettkämpferin definieren. Natürlich liebe ich es zu gewinnen.  Siege sind etwas Großartiges. Aber gleichzeitig sind Siege überhaupt nicht von Bedeutung. Bei meiner Leidenschaft für den Sport und das Draußensein geht es um viel mehr: Es geht um das Laufen, um das Skifahren und Klettern, um das Pflücken von Beeren, um ein Picknick in einer Wiese oder die Arbeit in unserem Garten.

Mit deinem Lebensgefährten Kilian (Jornet, Anm.) bist du 2016 in ein Haus in Møre og Romsdal gezogen, eine traumhaft schöne Provinz im Westen Norwegens am Europäischen Nordmeer. Was gefällt dir dort besser: der Sommer oder der Winter?
Bei schönem Wetter könnte ich kaum eine Auswahl treffen. Die Berge sind wundervoll, im Sommer gibt es hier fantastische Trails, die allerdings anspruchsvoller sind als die meisten Trails in den Alpen. Ich muss aber sagen, dass ich generell eher ein Wintermensch bin. Der große Vorteil des Winters ist, dass er dir noch mehr Möglichkeiten bietet: Skilanglauf, Skifahren oder Skibergsteigen … Und wenn du möchtest, kannst du auch im Winter einfach nur laufen gehen.

Was ist schöner: ein tiefer Atemzug kalter oder warmer Luft?
Da würde ich kalte und frische Luft bevorzugen. Wobei wir in Norwegen auch relativ kalte Sommer haben, ein schöner Atemzug kühler Sommerluft wäre also mit Sicherheit eine herrliche Lösung.

Ist der Winter auch deshalb besonders, weil es drinnen so schön gemütlich ist?
Definitiv, wenn du von draußen reinkommst, ein Feuer und ein paar Kerzen anzündest, dann ist das schon besonders stimmungsvoll.

Warum dann überhaupt raus in die Kälte, wenn’s drinnen so schön ist?
Weil es nur so schön sein kann, wenn man vorher draußen war. Außerdem gibt es so viel zu entdecken, verschiedene Arten von Schnee, neue Orte und Abfahrten. Diese Erlebnisse dann in einer wohligen Atmosphäre Revue passieren zu lassen, das ist wirklich ein großes Glück.

Was ist das Schöne am Skibergsteigen?
Ich spüre dabei die pure Freiheit. Du kannst nahezu jeden Ort in den Bergen erreichen. Bergauf suchst du dir deinen Weg, du kommst auf den Gipfel und genießt den Ausblick in die vereiste Landschaft mit ihren gleichzeitig sanften und schroffen Linien, dann fährst du ab und ziehst deine Spur in den Schnee. Für mich ist  Skitourengehen ein ganzheitlicher, kompletter Sport.

Trotzdem fahren die meisten Menschen lieber ausschließlich bergab. Was sagst du denen?
Mein Ratschlag wäre einmal mehr, den Prozess zu genießen. Bergauf erlebst du, wie dein Körper dich einem Ziel entgegenbringt. Du spürst einzelne Muskeln, die zusammenarbeiten und sich gegenseitig helfen. Wir Menschen sind dafür gemacht uns zu bewegen. Auf dieses Gefühl kann man sich beim Skibergsteigen sehr schön fokussieren. Und danach wartet dann auch noch die Belohnung einer einsamen Abfahrt.

Seine Leistungsfähigkeit auszureizen, ist auch eine Art Abenteuer, eine ­Entdeckungsreise.

Emelie Forsberg

Sich zu bewegen, ist die eine Sache. Sich ans Limit zu pushen eine andere. Warum macht dir das so viel Spaß?
Seine Leistungsfähigkeit auszureizen, ist auch eine Art Abenteuer, eine Entdeckungsreise. Wie weit kann ich gehen? Wie weit bringt mich mein Training? Für mich sind das spannende Aspekte und ich genieße beide Arten des Skibergsteigens: das Langsame und das im eigenen Grenzbereich.

Im Jahr 2026 wird das Skibergsteigen als Disziplin in die Olympischen Spiele aufgenommen. Was hältst du davon?
Es wird den Sport mit Sicherheit verändern und die Aufmerksamkeit für das Skibergsteigen erhöhen, was natürlich positiv ist. Ich muss aber sagen, dass die olympische Disziplin eines reinen Sprintrennens nicht viel mit dem Skibergsteigen zu tun hat. Vielleicht wird es in Zukunft ja zwei verschiedene Arten dieses Sports geben: das olympische Skibergsteigen und das echte Skibergsteigen.

Was war dein persönlich schönster Tag auf Skiern?
Das erste Bild, das mir in den Sinn kommt, ist bei uns zu Hause in Norwegen, wie ich über einen unberührten Hang im späten Sonnenlicht auf einen Fjord zugleite.

An welchem anderen Ort, außer bei euch zu Hause, bist du gerne?
Der Himalaya gefällt mir auch sehr gut. Die Dimensionen sind grandios. Und es gibt viele kleine Dörfer mit Menschen, die ein sehr zufriedenes, einfaches und friedliches Leben führen.

Sollten wir uns das zum Vorbild nehmen? Gerade in Zeiten wie diesen, in denen viele von uns sich vielleicht erstmals Gedanken darüber machen, wie viel Energie wir Tag für Tag verbrauchen?
Ich hoffe schon, dass wir alle noch aufmerksamer werden und achtsamer mit unseren Ressourcen umgehen. Dass wir öfter darüber nachdenken, woher unsere Nahrungsmittel kommen und wie sie produziert werden. Natürlich bleibt das am Ende jedem selbst überlassen. Aber für mich kann ich sagen, dass ich versuche, mein Glück in den kleinen Dingen das Alltags zu finden. 

Emelie Forsberg: Hang zur Freiheit
Emelie Tina Forsberg

wurde am 11. Dezember 1986 geboren. Die Schwedin ist eine der vielseitigsten Ausdauerathletinnen im Bergsport, viermal gewann sie Gold in der Skyrunner® World Series, 2014 wurde sie Weltmeisterin im Ultra SkyMarathon, zudem holte sie bis heute sechs WM-Medaillen im Skibergsteigen. Emelie lebt gemeinsam mit dem spanischen Ausnahme­athleten Kilian Jornet und ihren beiden Töchtern in einem Dorf am Romsdalfjord in Norwegen. 

Instagram: @tinaemelie