Von null auf hundert: Obwohl sie mental am ­Boden war und mit Olympia schon abgeschlossen ­hatte,­ gewann Bettina Plank in Tokio Bronze. Hier ­beschreibt sie ihre Reise ins Schwarze, die viele ­Turbulenzen, aber auch ein Happy End zu bieten hat.

Markus Geisler

Olympische Spiele. Viele Jahre lang war das die Pfeife, nach der Bettina Plank tanzte, das Ziel, dem sie alles unterordnete. Klar, es war ja auch eine Once-in-a-Lifetime-Geschichte. Zum ersten und gleichzeitig letzten Mal olympisch, konnten auch Karate-Kämpfer in Tokio erleben, welch immense Wirkung die fünf Ringe auf eine Sportart haben. Doch es gab Tücken: Gewichtsklassen wurden zusammengelegt, gerade einmal zehn Sportlerinnen durften pro Klasse an den Start gehen. Das Auswahlverfahren war brutal und kompliziert, erst im Mai 2021 sollte endgültig feststehen, wer wirklich zu den Spielen nach Japan reisen darf.

„Der Druck war enorm“, sagt Bettina Plank heute. Und meint damit längst nicht nur ihre persönliche Befindlichkeit. Sie wusste, dass es einen ganzen Stab an Leuten gab, die dafür schufteten, dass sie es nach Tokio schafft. Und die sie auf keinen Fall enttäuschen wollte. Doch genau mit diesem Szenario musste sie sich anfreunden. Im Mai in Paris, als sie beim entscheidenden Quali-Turnier von den Mattenrichtern gnadenlos benachteiligt wurde und die notwendige Platzierung unter den Top 3 verpasste. „Ich saß in meinem Hotelzimmer auf dem Balkon und habe mein persönliches Notizbuch herausgekramt. Dort habe ich das Wort TOKIO ganz bewusst mit einem fetten Stift durchgestrichen.“ Ein Abschied vom großen Ziel, aber auch eine Befreiung von der Last, die monatelang auf ihren Schultern lag. „Ich habe in dieser Nacht so gut geschlafen wie lange nicht mehr.“

Eine nur kurze Ruhepause. Schon am nächsten Tag haben ihre Trainer ausgerechnet, dass sie es über den europäischen Quotenplatz doch noch schaffen könnte. Erleichterung? Im Gegenteil. „Ich konnte mich nicht darüber freuen, hatte Schwierigkeiten, das Ganze anzunehmen.“ Auch weil sie wusste, dass sie in ihrer aktuellen Form bestenfalls als Kanonenfutter nach Tokio reisen würde. Schließlich stand das gesamte Jahr 2021 unter keinem günstigen Stern. Nach der Corona-Pause tat sie sich schwer, wieder in den Wettkampf-Modus zu kommen. Sie erkrankte selbst an dem Virus, musste einen Todesfall in der Familie verdauen, wurde zunehmend ratloser, wie sie den Turnaround schaffen könnte. Und hatte das Gefühl, auf der Zielgeraden einzugehen wie eine Sonnenblume im Herbst. „Das hat mich zermürbt.“

Als kurz nach Paris die Bestätigung des Weltverbandes kam, dass sie wirklich als eine der zehn Auserwählten in Japan dabei ist, schrieb sie in ihr Buch: „TOKIO – wieder aufgenommen!“ Doch sie stand vor einer riesigen Challenge: Wie kann es ihr gelingen, das System wieder hochzufahren? Wie kann sie es schaffen, an ihre Form anzuknüpfen, die sie vor der Corona-Pandemie hatte? Und das in nur acht Wochen? „Es war ein verdammt harter, aber eben auch verdammt kurzer Weg, der vor mir lag“, sagt Plank. Und versucht in der Rückschau zu ergründen, welche Faktoren entscheidend waren, dass sie ihn bewältigen konnte. „Erstens: Ich habe sämtliche Erwartungen weggeschoben. Zweitens: Ich habe mich auf einen extrem strukturierten Prozess eingelassen, bei dem es jeden Tag darum ging, eine Kleinigkeit zu verbessern. Drittens: Ich habe den vollen Fokus nur auf mich gelegt, um wieder ein Gefühl für mich selbst zu bekommen.“ 

Plank begab sich in den Tunnel. Freunde und Verwandte hatten ausgiebig Zeit, sich mit ihrer Mobilbox zu unterhalten, Verabredungen wurden gecancelt, Termine verschoben. Es zählte nur noch die Vorbereitung auf Olympia. Mentaltraining, Kinesiologie, Handlungspläne mit Worst-Case-Szenarien, nichts wurde unversucht gelassen. Was fehlte, war ein Wettkampf, um zu überprüfen, wie konkurrenzfähig sie wirklich war. „Es war eine Reise komplett ins Schwarze, ich hatte keine Ahnung, wo ich stand.“ Am 5. August stand sie jedenfalls auf der Matte des Nippon Budokan in Tokio, wo es zum Olympia-­Auftakt gleich mal eine 2:6-Niederlage gegen die starke Japanerin Miho Miyahara im ersten vor vier Vorrunden-Kämpfen setzte. Entgegen ihrem eigentlichen Naturell verließ Plank die Matte allerdings mit einem Lächeln. Weil sie spürte, dass sie mithalten konnte. Weil das Gefühl überwog: Ich bin wieder da!

Ich war in einem Flow, hab zu 100 Prozent im Moment gelebt.

Bettina Plank

Es sollte sie nicht täuschen. Es folgten zwei Siege, ein Remis und die Erkenntnis, die Chance ihres Lebens genutzt zu haben. Zum Teil mit Techniken, die sie vorher nicht einmal im Training probiert hatte, die nur so aus ihr herausgeflossen sind. „Ich war in einem Flow, hab zu 100 Prozent im Moment gelebt. Das ist das Coolste, was dir als Sportlerin passieren kann.“ Sie hat Karate nicht nur würdig vertreten und ins Rampenlicht gestellt, sondern auch Bronze gewonnen. Als wahrscheinlich unwahrscheinlichste Medaillengewinnerin Österreichs. Das letzte Edelmetall in diesem Sport für viele Jahre.

Vor allem aber die Bestätigung, unglaublich hohe Hürden übersprungen und Widerstände besiegt zu haben. Ein Erlebnis, das ihr keiner mehr nehmen kann und das sie bei künftigen Bewerben begleiten wird. Zum Beispiel bei den Weltmeisterschaften im November in Dubai. Wer allerdings glaubt, sie würde dort ganz relaxt mit der Gelassenheit einer Medaillengewinnerin hinfliegen, hat das System Plank nicht verstanden. „Für mich wäre diese Herangehensweise kontraproduktiv. Würde ich mich zu sehr entspannen, könnte ich meine Leistung nicht abrufen.“

Und trotzdem freut sich 29-jährige Vorarlbergerin, die seit acht Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Linz hat und seit einem Jahr zur Sportfamilie der oberösterreichischen Energie AG gehört, auf die kommende Saison, in der das Thema Olympia nicht mehr dauernd in ihrem Kopf herumspukt. Nicht falsch verstehen, die Degradierung zur nicht-olympischen Sportart hält sie für eine Katastrophe, „da liegen Welten dazwischen, was die Rahmenbedingung für uns Sportler angeht“. Aber den Druck, den das Ereignis auf sie und ihre Kolleginnen ausübte, wird sie nicht vermissen. Es wird Zeit, dass sie endlich wieder nur nach ihrer eigenen Pfeife tanzen kann.