Enduros, ob mit oder ohne „E“ sind eine beliebte Bike-Klasse. Doch woher kam eigentlich die Idee zum bergaborientierten Tausendsassa mit Klettergenen?

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Ich kann mich noch gut an den Beginn meiner Zeiten als Redakteur im Mountainbike-Umfeld erinnern. Ein damaliger Kollege hatte einen Großteil seiner glückseligen Zwanziger irgendwo zwischen Whistler und Utah verbracht, konnte den 2014 in unseren Breiten schwelenden „Trend“ zum Enduro-Bike so gar nicht verstehen. Für ihn war es einfach endlich das, was er und seine kanadischen und US-amerikanischen Kumpels schon immer wollten und schon immer in ihren Garagen aufbauten. Ein Trailbike für den ganzen Berg, ein Bike, das robust und fahrtechnisch stabil genug war, um auf den härtesten Downhills zu bestehen – und gleichzeitig ein Bike, mit dem man auch würdig aus eigener Kraft und ohne Shuttle zum Einstieg der Trails gelangen konnte. Berge hochtreten, um dann in der Abfahrt maximalen Spaß zu haben: die Essenz des Mountainbikens. 

Rund um diesen Spagat aus kompromisslosem Abfahrtsspaß und tourentauglicher Uphillperformance hatte sich im Schatten der Bikeparkbewegung spätestens zu Beginn der 2000er-Jahre eine eigene Szene samt bald folgenden, eher spaßbetonten und inoffiziell organisierten Rennen zusammengefunden. Vielfach hatten die „Erdenker“ ihre Wurzeln im „Enduro“ der Motorradszene, versuchten den entspannten Spirit und die Abwechslung der dort üblichen Rennmodalitäten aufs Mountainbike zu übertragen. Technisch anspruchsvolle Abfahrten trafen und treffen dabei, in gezeitete Wertungsetappen und Transfers aufgeteilt, auf konditionell herausfordernde Anstiege – sozusagen „Allround“-Bewerbe, welche die Fahrer in allen Aspekten des Mountainbikens prüfen. 
Auf den Wertungsetappen geht es in der Regel bergab, über kurze Passagen auch mal leicht bergan um jede Sekunde. Die Transfers zwischen den Etappen sind meist aus eigener Kraft, hin und wieder auch mit Gondel-Unterstützung innerhalb einer vorgegebenen Zeit zu absolvieren. Wird diese überschritten, gibt es eine Strafzeit auf die Gesamtzeit der Wertungsetappen. 
Dem Ruf der wachsenden Beliebtheit folgten sowohl Hersteller mit Bikes und Ausrüstung als auch kommerzielle Rennorganisatoren – aus den lokalen Untergrundrennen in Frankreich, Italien oder Neuseeland wurden offizielle Bewerbe. Sowohl aus der Downhill- als auch der Crosscountry-Szene sattelten Fahrer auf Enduro um. 2013 folgte schließlich mit der Enduro World Series, kurz EWS, die erste internationale Serie und gleichsam die Professionalisierung. Parallel zur EWS entwickelte sich schließlich mit der EWS-E auch eine Serie für E-Enduros. Ein klein wenig der Lockerheit konnte sich die Szene aber dennoch bis heute erhalten, und so ist es bei vielen Events nach wie vor möglich als Amateur neben den Profis an den Start zu gehen.
 

Seit 2023 erhielt die EWS mit „UCI Mountain Bike Enduro World Cup“, kurz EDR, nicht nur einen neuen Namen, sondern führt künftig neben Cross-Country Olympic (XCO), Cross-Country Short Track (XCC), Downhill (DHI) und Cross-Country Marathon (XCM) auch den Status eines UCI-Weltcups. Neu ist, dass alle Rennen der EDR als Eintagesbewerbe ausgetragen werden, dazu gibt es ein Punktesystem für jede Wertungsprüfung. Eine Gesamtwertung der Punkte entscheidet über die Start­reihenfolge der Fahrer auf der letzten Stage, der Fahrer mit den meisten Punkten (also der Führende) startet dabei als Letzter – sicherlich auch ein Zugeständnis an Warner Bros Discovery, den neuen Broadcasting-Rechte-Inhaber der gesamten UCI MTB World Series. Demselben Prinzip folgt auch E-Enduro (E-DER), allerdings mit etwas adaptierten Strecken und anspruchsvollen technischen Anstiegen, welche eben auch E-Enduros an ihre Grenzen bringen sollen.

Die Bikes, so vielseitig wie die Strecken selbst
Heute ist es üblich, dass die Bikes der Enduro-Racer „markiert“ werden: Für den gesamten Bewerb müssen dieselben Laufräder, dieselbe Gabel und derselbe Rahmen verwendet werden, ein Tausch für unterschiedliche Wertungsetappen ist verboten. Und so wurden über die Jahre die Bikes so vielseitig wie die Strecken selbst. Federwege zwischen 150 und 170 mm sind zu finden. Im Rennsport bekommen überwiegend die schnelleren 29“-Laufräder den Zuschlag, wenn auch vereinzelt Mixed-Wheel-Konfigurationen gefahren werden. Die Rahmen, oft aus Carbon, in den günstigeren Preisklassen aber natürlich auch in Aluminium, sind mit langem Reach, flachen Lenkwinkeln um die 64 Grad und steilen Sitzwinkeln um die 76 bis 77 Grad modern gezeichnet, robust und doch ausreichend leicht. 

Effizient genug für würdige Uphills, potent genug für härteste Downhills – Enduros sind wahre Tausendsassa.

Moderne Enduro-Bikes sind Eier legenden Wollmilchsäue. Sicher nicht erste Wahl für flotte Touren, aber doch effizient und agil genug, um ebendort Spaß zu bringen. Sicher nicht erste Wahl für harte Weltcup-Downhillstrecken oder Bikeparks, aber laufruhig, stabil und abfahrtstauglich genug, um auch in härtestem Terrain, über hohe Drops und weite Sprünge zu bestehen – und daher auch in Bikeparks oft gesehen. Blickt man auf die Streckenprofile der großen internationalen Rennen, treten die Fahrer dort an einem Wochenende mehr Höhenmeter, als es uns Hobbyfahrern am leichten Marathonracer angenehm wäre, und stürzen sich gleichzeitig in technische Trails, auf denen der Durchschnittsbiker wohl auch am Downhiller Schiebepassagen vorfinden würde. 
Welches der vielen Enduros am Markt zum eigenen Anspruch passt, darüber geben Geometriedaten und letztendlich eine Probefahrt Aufschluss. Wer berg­ab Geschwindigkeit über alles stellt, greift zu längeren, laufruhigeren Modellen oder der größeren Rahmenhöhe. Ist man eher gemächlich unterwegs, können echte Racer und sehr lange Bikes mitunter träge wirken (vergleichbar einem RTL-Ski auf voller Piste). Hier eignen sich agilere Modelle mit steileren Winkeln oder kleinere Rahmenhöhen besser.
Also: Wer nur ein Bike für sämtliche Spielarten des Mountainbikens – oder auch E-Mountainbikens – in seinen Fuhrpark stellen möchte, von Touren über Transalp bis Bikepark alles sein Revier nennt und dabei Abfahrtsspaß, Speed und technische Trails in den Fokus stellt, der ist mit einem hochwertigen ­Enduro sehr gut beraten. Egal ob mit oder ohne ­Rennambitionen.