Jeder Nationalpark-Ranger hat seine besondere Passion. Emanuel, Ranger im Nationalpark Hohe Tauern, faszinieren Gletscher. Seine Begeisterung, sein ­Wissen gibt er weiter. Etwa während der Tour am Gletscher­lehrweg Innergschlöss am Fuß des Großvenedigers in ­Osttirol. Wir machen uns mit ihm auf den Weg.

Von Oliver Pichler

Natur-Bulldozer. Beständige Urgewalt. Beeindruckend. Mächtig ... – Die Gletscherwelt rund um den Großvenediger prägt sich tief in die Erinnerung ein. Nicht von ungefähr entstand hier der Gletscherlehrweg Innergschlöss. Die Tour erlaubt es, intensiv und umfassend in die faszinierende Welt der Gletscher einzutauchen. „Das Gschlösstal bietet viele lehrbuchhafte Gletscher-Phänomene. Binnen drei bis vier Stunden reiner Gehzeit können wir all das erleben, wofür Gletscher bekannt sind“, erzählt Nationalpark-Ranger und Gletscherexperte Emanuel Egger. Er ist es, der Interessierte einmal in der Woche hinauf ins „ewige Eis“ begleitet. Von Mitte Juli bis Mitte September besteht jeden Mittwoch die Möglichkeit dazu.

START: MATREIER TAUERNHAUS
Ausgangspunkt der Tour „Ins ewige Eis – Gletscherlehrweg Innergschlöss“ ist das Matreier Tauernhaus (1.512 m) unterhalb des Südportals des Felbertauerntunnels. Begleitet von Emanuel Egger wird das erste Wegstück per Taxi „abgekürzt“. Die sehr schöne erste Stunde Gehzeit über Außergschlöss, vorbei an der berühmten Felsenkapelle aus dem Jahr 1870, nach Innergschlöss will der Ranger seinen Gästen ersparen. Er weiß, es gilt, mit der Kraft hauszuhalten, um die Tour hinauf zum Schlatenkees gut bewältigen zu können. Beim Venedigerhaus (1.691 m) in Innergschlöss geht es dann wirklich los. Hier öffnet sich ein prächtiger Blick Richtung Gletscherzunge. Und es wird klar, welch landschaftsgestaltende Kraft der Gletscher hier in vergangenen Jahrtausenden entfaltet hat. Flach, ja gemütlich, startet die Tour – hinein in den Gschlösstalboden. Der Talschluss sorgt für den ersten Wow-Effekt. Die steil aufragenden Trogwände, die Wasserfälle und mit etwas Glück Bartgeier und Steinadler machen klar, dass der innerste Teil des Nationalparks erreicht ist.

1850ER-MORÄNE & WASSERFALL
Nachdem links – Richtung Gletscherweg – abgezweigt wurde, ist die „1850er Moräne“ schnell erreicht. Bis hierher hat der Gletscher während der letzten kleinen Eiszeit im Jahr 1850 gereicht. Nun geht es so richtig bergauf. Steil. Über Felsstufen. Gut 400 Höhenmeter. Ranger Emanuel drosselt das Tempo, damit nicht nur gegangen wird, sondern alle Sinne ihre Zeit zum Wahrnehmen haben. Unterbrochen wird der Anstieg gleich zu Beginn durch den zweiten Wow-Effekt – den tosenden Schlatenbachwasserfall, der unvermittelt aufragt. Weitergehen lohnt sich dennoch: Schon bald – auf gut 2.100 m Höhe – breitet sich im Bereich Salzboden eine beeindruckende Moränenlandschaft aus, in deren Mitte der Gletscher den tiefblauen Salzbodensee hinterlassen hat.

DAS „AUGE GOTTES“
Vorbei am See, dauert es nicht lange, bis das „Auge Gottes“ erreicht ist. So heißt ein beschaulicher, dreieckiger Tümpel mit Insel, auf der Wollgras blüht. Von hier erfolgt die respektvolle weitere Annäherung an den Gletscher. „Zuerst sind zwei Moränen zu überqueren, ehe sich der direkte, freie Blick auf die Gletscherzunge öffnet. Gleichzeitig sehen wir nach unten, Richtung Ausgangspunkt der Tour. So offenbart sich die ganze Länge, die der Gletscher einmal hatte“, beschreibt Emanuel Egger die Stimmung. Weiter führt der Weg über den Gletscherschliff – das ist kahler, vom Gletscher modellierter, rötlich-brauner Fels ohne jede Vegetation. So könnte es auch am Mond aussehen... Der mit 2 Grad eiskalte Gletscherbach mit seinem milchig-trüben Wasser schlängelt sich durch den Fels talwärts. Am Gletschervorfeld des Schlatenkees geht es hin bis zum Eis, das türkis-grün-blau schimmert. Es anzufassen und zu wissen, 500 oder mehr Jahre alte Materie in der Hand zu haben, flößt Respekt ein. Immerhin ist das Schlatenkees Teil der größten zusammenhängenden Gletscherfläche der Ostalpen.

GESCHICHTSTRÄCHTIGER STEIG
Es geht noch auf 2.300 m hinauf, zum höchsten Punkt und dann auf historischen Spuren, am 150 Jahre alten Prager-Hüttensteig, talwärts. Dieser Steig ist es, auf dem die Großvenediger-Erstbesteigungen über den Ostanstieg von Innergschlöss aus erfolgten. Nach 600 Höhenmetern teils steilen Abstiegs ist das Venedigerhaus erreicht. Seine Sonnenterrasse samt Prachtpanorama lädt zum Genuss köstlicher Osttiroler Küchenspezialitäten ein. Der ideale Ort, um den Abschluss des alpinen Tages auszukosten. Was bleibt, ist neues Wissen um das Phänomen Gletscher. Und die Gewissheit, das Werk der Gletscher ab der nächsten alpinen Tour mit viel kundigeren Augen zu sehen.

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