Bordcomputer von E-­Bikes, Sportuhren oder Apps bieten heute Möglichkeiten, von denen man bis vor wenigen Jahren nichts geahnt hat. Gemeinsam ist den Errungenschaften, dass sie auf Datennutzung und Konnektivität basieren – also: die (zunehmend permanente) Verbindung mit dem Internet. Wie beeinflusst das alles den Freizeit­sport? Ein Blick voraus mit Florian Gschwandtner, der als Gründer von „Runtastic“ die Digitalisierung des Sports geprägt hat und unverändert prägt.

Interview: Arnold Pauly


Wenn ich 30 Schritte mache, gehe ich linear 30 Meter. Digitalisierung ist für mich dagegen exponenziell: Ein Meter, zwei Meter, vier Meter, acht Meter – mit 30 Schritten komme ich so ungefähr 25-mal um die Erde herum.“ Mit diesem einprägsamen Bild erklärt Florian Gschwandtner aus seiner Sicht die Vorteile der digitalen zur analogen Welt. Vor wenigen Wochen lud Bosch eBike-Systems zum „Connectivity Camp“ nach Altaussee mit dem Oberösterreicher als hochkarätigem Keynote Speaker. Wir haben die Gelegenheit genutzt: für ein Gespräch über Tracking und Datenberge, Gegenwart und Zukunft und den Mehrwert für die immer stärker vernetzten Freizeitsportler. Aber auch über Bedenken – Stichwort: Datensammeln.

Gehen wir einmal von dir selbst aus: Wenn du heute in der Stadt mit dem Rad unterwegs bist, läufst oder sonst Sport machst: Ist das Handy dann immer aktiv, trackst du alles mit?
Ich tracke nicht alles. Aber das, was eine Einheit, was Sport ist, schon. Fahre ich zum Einkaufen mit dem Rad, tracke ich das nicht, das ist für mich kein Sport, sondern Bewegung. Aber echten Sport, ja, den zeichne ich auf.

Gerade in der Stadt besteht Alltags-Mobilität aus vielen kurzen Wegen. Hier versuchen die Anbieter zurzeit die Themen Datenaufzeichnung und Konnektivität stark mit einzubinden, wie wir hier heute im „Connectivity Camp“ von Bosch schon erfahren haben. Worin siehst du hier die Möglichkeiten, wer ist die Zielgruppe?
Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Zielgruppen. Einerseits die, wo ich mich dazuzähle – der sagt, er macht Sport als echte Sporteinheit. Meine Schritte sind mir egal, ich will meine aktiven Einheiten aufzeichnen und auswerten, vielleicht auf den Puls achten, gezielt trainieren, Wettbewerbe machen. Die andere Zielgruppe ist jene, die wir auch sehr stark bei Runtastic gehabt haben, Stichwort: „10.000 Schritte am Tag“. Jene, die sagen, ich will mich einfach mehr bewegen, möchte ein wenig Gewicht verlieren, etwas mehr für meinen Körper tun. Da ist in den letzten Jahren ein enormes Bewusstsein entstanden, und hier ist die Alltags-Bewegung ein wichtiges Thema. Ich zum Beispiel achte enorm viel auf den Schlaf, habe in den letzten drei Jahren meinen Schlaf stark optimiert. Ich habe heute zwar relativ früh aufstehen müssen, aber ich war trotzdem „grün“ mit 84 Prozent Schlafqualität. Wenn ich weiß, ich bin im grünen Bereich, ist das für meinen Körper schon einmal enorm wichtig.

Die Schlaf-Optimierung funktioniert auf Basis gemessener Daten.
Ja, genau. Oxygen-Wert, Temperatur, Herzfrequenz-Variabilität und Puls, Atemfrequenz – all das ist heute messbar und es wirkt sich alles stark auf den Schlaf aus. Du kannst aber heute auch in der App eingeben, ob du gestern Alkohol getrunken hast, in der Sauna warst, genug getrunken oder Stress gehabt hast. Über viele dieser Parameter kriegst du enorm gute Information. Früher in der Runtastic-Zeit habe ich wahrscheinlich viel zu wenig geschlafen, weil wir wirklich viel gearbeitet haben. Jetzt habe ich versucht, meinen Schlaf zu optimieren und komme täglich auf über sieben Stunden. Das ist wirklich gut.

Heute kannst du viel mehr Datenquellen anzapfen, sie übereinander legen und miteinander verbinden und dann zum Beispiel dafür nutzen, bessere Trainingspläne zu bauen.

Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner

Ihr habt mit Runtastic 2009 begonnen. Wie lässt sich Datentracking 2021 mit der Zeit damals vergleichen?
Ich sehe hauptsächlich zwei große Unterschiede. Zum einen – die Basics des Trackings sind heute absolut Standard geworden. Dein Handy kann heute deine Schritte mitzählen, überall sind Sensoren drin, die hat es damals alle nicht gegeben. Wir haben selber damals einen Algorithmus entwickelt, wie man mit einem Drei-Achsen-Sensor Bewegungen wie Schritte oder Stiegensteigen messen kann. Oder: Dass du zugleich Musik hören und GPS-Daten aufzeichnen kannst, war früher ein Alleinstellungsmerkmal von Runtastic. Heute ist das alles selbstverständlich geworden. Zum anderen hast du jetzt diese Vielfalt an Daten. Du kannst viel mehr Datenquellen anzapfen, sie übereinander legen und miteinander verbinden und dann zum Beispiel dafür nutzen, bessere Trainingspläne zu bauen. Du hast vielleicht Sportdaten von einer Quelle, Erholungsdaten von einer anderen und Schlafdaten von einer dritten. Das ist der Unterschied 2021 – und gleichzeitig auch die Komplexität: Haben die Daten der Uhr A, des Produkts B und des Telefons C dieselbe Qualität? Kann ich einen iPhone- mit einem Android-User mit einem Garmin- oder Polar-User vergleichen? Das ist jetzt die Herausforderung.

Schauen wir voraus auf den Datenberg 2040: Daten zu generieren, zu sammeln und auch zu speichern ist eine Sache. Aber die Fülle der Daten auch zu verarbeiten – wer wird das können?
Stimmt, nur eine große Menge an Daten zu haben, bringt dir als Anbieter nichts. Du musst sie richtig interpretieren, analysieren und daraus auch Produkte ableiten. Da kommt, glaube ich, künstliche Intelligenz massiv ins Spiel. Du fütterst ein Modell mit Daten und es gibt dir Informationen zurück, wie du sie selbst nie gesehen hättest. Sehr viel geht hier in Richtung Prediction, also Vorhersage. Zum Beispiel bei der Frage: „Wirst du den Trainingsplan schaffen, damit dein Marathon unter vier Stunden gelingt, wenn du so weitermachst wie bisher? Oder musst du etwas ändern?“ Und da wird es schon sehr cool. Wenn du dann sagen kannst: Wenn du dieses machst, wird mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit jenes passieren: Dann ist das spannend, weil du Menschen damit motivierst. Da gibst du ihnen fast eine Garantie.

Der Begriff „Datensammeln“ erzeugt bei viele auch ein ungutes Gefühl und nicht umsonst gibt es Datenschutzrichtlinien. Ich habe mir aus deinem Vortrag den Satz aufgeschrieben: „Daten sind Service“. Also geht es darum, für Kunden einen klaren Mehrwert über die gesammelten Daten zu schaffen, damit sie es auch akzeptieren?
Genau. Menschen tun sich viel leichter damit, wenn sie es als gut empfinden, den Nutzen für sich sehen. Dass jetzt Datenspeicherung und Sicherheit immer mehr Standard werden müssen, dass mit Daten sensibel umgegangen wird: Das passiert Gott sei Dank ja zugleich auch. Aber solange ein Produkt oder ein Service dadurch besser wird, dass ich etwas von mir hergebe, solange werden die meisten Menschen früher oder später mitmachen. Ich selbst war immer ein wenig entspannter in der Frage, weil ich mir gesagt habe: Lieber kriege ich die Brille in der Werbung angezeigt, die auf mich passt und mich interessiert, als dass ich irgendetwas gezeigt bekomme.

Wie profitiert der Hobbysportler in naher Zukunft von der Konnektivität, vom ganzen Datensammeln? Du hast etwa am Beispiel E-Bike angeregt, dass Bosch ermittelte Daten dafür nutzen könnte, um Serviceintervalle besser zu koordinieren; oder um den Endverbraucher gezielter darauf anzusprechen, dass Verschleißteile fällig werden. Gibt es da noch ein paar Ideen?
Ich glaube, man kann dieses Beispiel sogar ruhig noch etwas weiterdenken. Vielleicht dreht sich der Spieß einmal um? Der Kunde geht nicht mehr zum Lieferanten, wenn er etwas braucht – sondern der Lieferant fährt mit einem mobilen Bus herum und weiß genau: Bei dir gehört der Hinterreifen gewechselt, bei dir gehört die Scheibenbremse serviciert. Jeder Stoßdämpfer wird einmal einen Chip drinhaben, der meldet: Hallo, ich bin jetzt 28.000-mal durchgefedert, jetzt brauche ich einmal etwas.

Also eine Win-win-Situation für ­Anbieter und Kunden?
Ich glaube schon, dass durch Daten, durchs Tracken Dinge wie diese möglich werden und dass das für beide Seiten gut sein kann. Dass der Kunde es als angenehm empfindet und umgekehrt auch der Händler, der seine Dienstleistungen an den Mann bringen kann. Es darf sich nur nicht danach anfühlen: „Ich will dir einen neuen Reifen verkaufen“. Sondern es muss wirklich auf Zahlen, Daten, Fakten basieren. Oder wenn es um Sicherheit geht: Freunde von mir entwickeln gerade Ski- und Radhelme. Hat der Helm nach einem Sturz einen Haarnadelriss, erkennt der Helm es selbst und meldet das. Das würde ich als Besitzer schon gerne wissen, dass mein Helm getauscht gehört, bevor ich damit den nächsten Unfall habe.

Als Kunde musst du dann allerdings glauben, dass das auch stimmt.
Da gebe ich dir recht, aber da sind wir dort, wo du als Marke Vertrauen aufbauen musst. Jeder will eine Marke, der man vertraut, mit der man sympathisiert. Die Haltung: Wir tun wirklich Gutes, wollen als Marke Menschen zur Bewegung motivieren, ihnen dabei helfen, draußen die Natur zu genießen und wenn das alles dann auch noch nachhaltig ist: Da geht es um Vertrauen. Den Faktor Mensch wird es deshalb ebenfalls immer brauchen, das ist auch das Wichtige.

Nochmals zu dir selbst: Wie stark bist du selbst privat in deinem Alltag „vernetzt“?
Relativ viel. Im Sport vom Armband über diverse Apps, das geht mit der Mediation los bis hin zum Tracken von Sport, Podcast und Musik beim Sport sind mir sehr wichtig. Im Auto bist du auch irgendwo ständig vernetzt. Ich nutze vieles auch deshalb, weil es mich von meiner DNA aus interessiert, weil ich Produkte und Services verstehen will. Als ich mir meine Wohnung gekauft habe, war für mich das Wichtigste, ohne Schlüssel in die Wohnung reinzukommen. Das war gar nicht so leicht in einem Mehrparteienhaus, ich habe mir das dennoch umbauen lassen. Ich will laufen gehen und keinen Schlüssel mithaben. Wir haben 2021, das ist wichtig für mich und taugt mir auch.

Du bist vermutlich in einem Umfeld, das sehr auf Technologie und Vernetzung Wert legt. Kennst du auch andere Menschen, die zum Beispiel sagen: Ich will beim Sport nur in die Natur raus und dort mit all dem nichts zu tun haben?
Ich verstehe Leute voll, die sagen: Ich gehe ohne Kopfhörer laufen, ohne irgendein Gerät und genieße einfach die Natur. Ich sage, ich genieße die Natur auch, wenn ich gleichzeitig einen Podcast höre. So kriege ich zusätzlich noch Informationen und kombiniere die Dinge. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, habe die Landwirtschaftsschule besucht und wie ich glaube, einen gewissen Hausverstand. Und ich habe überhaupt kein Problem mit Leuten, die sagen, ich werde das alles nie mitmachen – die sollen es auch nicht machen müssen. Aber mehr und mehr machen es, weil irgendwo ein Service dabei ist, weil eine Community dabei ist: wie Strava im Radfahren. Oder in der Pandemie: Alle Großeltern wollten mit ihren Enkeln über Videocall telefonieren. Dann nimmst du die Technologie an, da ist dann der Tipping Point. Das ist der Punkt für mich. Du bist dann halt nicht „Early Adopter“, sondern „Late Follower“ – aber wenn das Service über die Technologie letztlich so angenehm ist, der Mehrwert groß genug ist, dann gewinnt die Technologie über die Zeit betrachtet. Aber es kann trotzdem jeder für sich selbst entscheiden.

Florian Gschwandtner
Florian Gschwandtner

Geb. am 29. Jänner 1983 in Steyr (OÖ). Bekannt als Co-Founder von „Runtastic“, das er 2009 mit drei Freunden gegründet und rund um die revolutionäre Lauf- und Sport-App zum Unternehmen mit über 250 Mitarbeitern aus 42 Nationen aufgebaut hat, ehe es 2015 für 220 Millionen Euro von adidas übernommen wurde. Bis 2019 war Gschwandtner weiterhin als CEO bei Runtastic.

Aktuell ist der 38-Jährige unter anderem als gefragter Speaker sowie Investor (z. B. beim Klosterneuburger Kinderbike-Hersteller woom) tätig.