Dass die neue Wintersaison gleich wieder mit einem Lockdown starten würde, hatte im Oktober bei der „Österreichischen Seilbahntagung“ in Kaprun niemand ahnen können. Dafür gab es aber ganz genaue Vorstellungen zur Zukunft des Wintertourismus – am Beispiel einer beeindruckenden Modellregion.

Thomas Polzer
Thomas Polzer


Noch stärkere Digitalisierung, noch flexiblere Buchungsbedingungen, noch attraktivere Angebote am Tourismus-Arbeitsmarkt: „Das sind nur einige der nachhaltigen Veränderungen, die nicht zuletzt durch die Pandemie im heimischen Tourismus vorangetrieben werden müssen“, kündigte der Ökonom Oliver Fritz gleich zu Beginn des traditionellen Netzwerktreffens der Ski- und Seilbahnindustrie in Kaprun an. Der WIFO-Experte prophezeite aber auch eine Veränderung, die der heimischen Tourismuswirtschaft gefallen wird:  „Durch die steigenden Temperaturen im Mittelmeerraum wird sich die Landkarte des Tourismus in Zukunft mehr in die kühleren Alpen verlagern. Dadurch entstehen für unsere Region viele neue Chancen, es gilt aber auch, künftig mehr alternative Angebote zum reinen Winter­erlebnis auszuarbeiten.“

Natürlich war die Klimaveränderung ein zentrales Thema in diesem „Forum Zukunft Winter“, ebenso wie die Nachhaltigkeit. Schließlich belegen zahlreiche Studien, dass den Urlaubsgästen ökologische Angebote immer wichtiger werden. Auch die Österreich Werbung, die national und international eine große Kampagne mit dem Thema „Winterliebe“ spielt, bestätigt, dass vor allem für die jüngeren Gäste bei der Wahl des Urlaubsortes die ökologische Nachhaltigkeit immer stärker zum zentralen Thema wird. Verständlich daher, dass etwa auch die Seilbahn-Betreiber vehement daran arbeiten, ihr Image aufzupolieren – „es kann nicht sein“, sagte Obmann Franz Hörl, „dass wir immer nur mit Umweltverschmutzung in Verbindung gebracht werden. Es wird dabei völlig übersehen, was wir seit Langem schon in nachhaltige Projekte investieren.“

Da passte es perfekt ins Bild, dass am speziellen „Greenday“ in Kaprun zwei außergewöhnliche Vorzeigeprojekte ­­direkt aus der Region extra vorgestellt wurden: einmal die „KEM“, die ­Klima-Energie-Tourismus-Modellregion Zell am See-Kaprun und zum zweiten das „Freiluftlabor“ Kitzsteinhorn, ein Projekt der Gletscherbahnen Kaprun und des Forschungsinstituts Geo­­research.

„KEM“ –  Klima-Energie-Tourismus Modellregion Zell am See-Kaprun
Anfang 2021 wurde Zell am See-Kaprun als eine von zwei Klima- und Energie-Tourismus-Schwerpunktregionen vom „Klima- und Energiefonds“ ausgezeichnet. Im Wissen, dass ohne Klimaschutz die Naturkatastrophen ansteigen und horrende Kosten verursachen, wurden in der ganzen Tourismusregion Zell am See-Kaprun daraufhin die Themen Nachhaltigkeit und Mobilität, Energie und nachhaltige Beschaffung in die neue Strategie aufgenommen. Ziel ist es nun, innerhalb des vorerst dreijährigen Projektzeitraums die in einem Detailkonzept dargelegten Maßnahmen in die Tat umzusetzen.

Der größte Schwerpunkt der Umsetzungsmaßnahmen ist die Mobilität. Die Kernaussage des Berichts „Klimawandel und Tourismus“ ist, dass 80 Prozent der CO2-Emissionen im Tourismus nicht etwa durch Aktivitäten (wie Beschneiung), sondern durch die An- und Abreise der Gäste entstehen. „Hier gilt es, Angebote zu schaffen, um mit der Bahn zu reisen und das Auto stehen zu lassen. Und hier ist in der Region schon enorm viel passiert“, sagt Stefan Obenaus, der gemeinsam mit Sebastian Vitzthum das Projekt leitet. „Es gibt beispielsweise schon eine Mobilitätskarte, mit der man in der ganzen Region Zell am See-Kaprun gratis fahren kann. Auch der Bahnhof im Stadtzentrum Zell am See wurde wieder ans internationale Bahnnetz angeschlossen und gilt als Mobilitätsdrehscheibe.“

Zugverbindungen gibt es schon von Wien (3 x die Woche), Schweden (Direktverbindung mit Nachtzug sowie Kooperation mit der Online-Buchungsplattform „Snälltaget“), Dänemark, Hamburg, Hannover, München, Zürich etc. „Die Anreise mit der Bahn ist ein wichtiger Schwerpunkt. Hier will man noch weitere Produkte schaffen. Man ist auch laufend in Verhandlung mit den ÖBB, auch ein Gebäcktransport von Tür zu Tür ist angedacht“, weiß Renate Ecker, TVB-Direktorin von Zell am See-Kaprun. „Unsere Kombination ‚Gletscher-Berg-See‘ ist einzigartig. Die Natur ist uns wichtig, und dieses Paradies heißt es zu bewahren. Wir haben daher die Verantwortung, Produkte zu entwickeln, die das CO2 reduzieren und einen schönen Urlaub für den Gast gewährleisten. Unser Ziel ist es jedenfalls, die Ankunft aus Nahmärkten und den Ausbau der öffentlichen Anreise aus Österreich und Deutschland zu steigern. Das österreichische Klimaticket ist hier eine zusätzliche Chance. Aber es braucht im öffentlichen Verkehr auch lokal Verdichtungen, höhere Frequenzen und Infrastruktur-Verbesserungen.“

Außerdem werde der Ausbau der E-Ladeinfrastruktur für Auto, Öffis und E-Bike weiter forciert, ergänzt Ecker. Und der E-Bike-Verleih in der E-Bike-­Region – auch das tägliche Fahrrad und Lastenrad für die Einheimischen – werde ab Sommer 2022 vermehrt ausgebaut. Für die Touristen passiere in Hotels schon sehr viel und auch da werde noch viel mehr folgen.

Die Gletscher können auch wieder zurückkommen.

Markus Keuschnigg, Forschungsinstitut „Georesearch“

Klimaneutrale Infrastruktur
Der zweite Schwerpunkt von „KEM“ ist das Thema Energie. Hier gibt es u. a. eine groß angelegte Beratungsoffensive für Betriebe zu den Bereichen erneuerbare Energie, Fuhrpark, Gebäude, Mobilität, Förderungen sowie eine verstärkte Vernetzung samt Austausch und Bündelung der Kommunikation. Die KEM-Partnerbetriebe spielen hier auch eine wichtige Rolle als Sprachrohr zu den Gästen und zu den Einheimischen.
Der dritte Schwerpunkt ist die regionale Produktion. Regionale Produkte und Lebensmittel sollen bevorzugt werden, wichtig sind hier kurze Lieferketten, authentische, einheimische und saisonale Produkte, ein virtueller Marktplatz, Erzeugerkooperationen und eine effiziente Logistik. Die Stärkung des Bewusstseins der Gäste für regionale Produkte soll zugleich auch eine nachhaltige Bindung an die Region schaffen.

Wer ist dabei beim Projekt „KEM“? Alle! Gemeinden, Modellregionsmanagement, Bergbahnen, Klima- und Energiefonds, Visionäre und Vordenker, touristische Betriebe – sie alle gehen höchst motiviert ans Werk und sind sich bewusst, dass die positiven Auswirkungen des ambitionierten Umsetzungsplans noch lange in die Zukunft wirken werden. Sebastian Vitzthum: „In den kommenden drei Jahren werden wir ein ambitioniertes, 11 Punkte umfassendes Maßnahmenpaket zur Umsetzung bringen. Der Großteil der Maßnahmen ist so gewählt, dass die positiven Effekte noch lange über den Projektzeitraum hinaus spür- und erlebbar sein werden. Darin liegt unsere Strategie, möglichst viele Menschen in der Region in dieses Leuchtturm-Projekt mit internationaler Strahlkraft mit einzubeziehen, nur so schaffen wir einen Schulterschluss aller Akteure, breite Zustimmung in der Bevölkerung und spürbare Begeisterung aufseiten der Besucher, Urlauber und Gäste unserer Urlaubsregion, die so zu einem touristischen Vorreiter werden soll.“

Das „Freiluftlabor“ am Kitzsteinhorn
Am höchsten Punkt des Nationalparks Hohe Tauern forscht das Forschungs­institut Georesearch seit dem Jahr 2010 in den vier Kernbereichen Klima, Gletscher, Permafrost und Felsmonitoring. „Das ist in der Form in Europa so komprimiert einzigartig. Wir machen schon viele Jahre Naturraummanagement, unsere Zukunftsentscheidungen basieren auf diesen Forschungsergebnissen. Damit stellen wir nachhaltiges Handeln in möglichst hohem Einklang mit dem Naturraum sicher,“ sagt Gletscherbahnen-Kaprun-Vorstand Dir. Norbert Karlsböck.

Die Folgen des Klimawandels sind bekanntlich Gletscherrückgang, Entstehung neuer Seen, Freilegung neuer Felsblöcke und verstärktes Lockermaterial. Unsichtbare Folgen sind Permafrost-­Rückgang, Destabilisierung des Untergrunds, Steinschläge, Muren und vieles mehr. Die Forschungen im „Freiluftlabor“ am Kitzsteinhorn sind die Basis für eine erfolgreiche Klimawandelanpassung. Zum Beispiel wird durch Perma­frost-Forschung (der Frost wird hier an mehreren Stationen am Gletscher in 21 und 30 m Tiefe gemessen) errechnet, wo man in Zukunft was bauen kann. „Viele Forschungsergebnisse sind die Grundlage für nachhaltige Zukunftsentscheidungen. Sie helfen mit, dem Skigebiet Planungssicherheit zu geben, auch über 40 Jahre und mehr“, sagt Norbert Karlsböck, „wir müssen nicht nach zehn Jahren schon wieder alles verwerfen.“ Und Markus Keuschnigg vom Forschungsinstitut „Georesearch“ weiß: „Es braucht Kontinuität, um Anpassungsstrategien entwickeln zu können. Jetzt müssen wir uns anpassen, denn bis die Maßnahmen greifen, dauert es Jahrzehnte. Die positive Nachricht aber ist: Die Gletscher können auch wieder zurückkommen!“

Diese zwei außergewöhnlichen Projekte zeigen beeindruckend, wie sich in der Region Zell am See-Kaprun die Tourismusbetriebe, aber speziell auch die Bergbahnen intensiv und in wertschätzender Weise mit der Natur und deren Schutz beschäftigen. „Das ist die Basis für die Nachhaltigkeit“, sagt Gletscherbahn-Vorstand Norbert Karlböck, „wir machen keine größeren Torten, sondern wir machen sie besser – und wir verteilen sie besser, an die Touristen, die Mitarbeiter, an die Einheimischen. Und wir sind stolz darauf, dass immer mehr unserer 900 Tourismusbetriebe im Rahmen eines Wettbewerbs diese Modellregion mitgestalten.“ Franz Schenner, der Organisator dieses Netzwerk-Treffens der Touristiker und Seilbahner, brachte es schließlich nochmals auf den Punkt: „Ob in den Tourismusbetrieben oder bei den Bergbahnen – wir alle haben schon lange unsere Hausaufgaben gemacht. Aber vielleicht müssen wir einfach viel mehr über die guten Dinge reden, die wir schon lange tun. Denn dann wären wir nicht die Bösen, die die Natur schädigen – sondern wir können die Vorbilder sein.“