Wie das E-Mountainbike einen Profi nach schwerer Krankheit zurück in den Sattel brachte und fit machte. Der Innsbrucker­ ­Bikejournalist und Miterfinder des „alpinen Mountainbikens" Christoph ­Malin berichtet­ über seinen steinigen Weg ­zurück. Und ­erklärt, warum ­moderne Elektro-Bikes so viel Spaß und ­Sinn machen.


Als wir, eine kleine Gruppe von Bergführern, Bergsportlern und Extrembikern, vor mehr als 17 Jahren begannen, rund um Innsbruck steile, schwierige, alpine Wege zu befahren, unter dem Begriff „Vertriding" eine eigene Fahrtechnik zur Bewältigung von Steilserpentinen entwickelten, konnten wir noch nicht ahnen, was für eine Bewegung wir auslösen würden. Das zu einer Zeit, als extreme Mountainbike-Freeride-Events wie die „Red Bull Rampage" in Utah den Sport neu definierten. Abgeschaut von den „Big Mountain"-Freeskiing-Wettbewerben wo die Fahrer in steilsten Hängen von einem Cliffdrop zum nächsten sprangen, und froh waren, wenn sie die Stunts überlebten.

DER BERG UND DER VERTRIDER
Nicht mit uns. Wir setzten dem Trend aus den USA die entschleunigte alpine Innsbrucker Bikekultur entgegen, zelebrierten entspannt hochalpines Vertriden und sammelten Höhen- und Tiefenmeter wie Sand am Meer. Alpines Know-how bei der Tourenplanung gehörte auf einmal genauso zum Biken dazu wie Risikominimierung am Berg.

Das Motto: „Big Mountain Vertriding". Nur du, dein Bike, der Trail und der Berg. Die Abfahrt an der Grenze des Fahrbaren, die wir natürlich ständig neu definierten. 350.000 Höhenmeter und mehr pro Jahr, wir waren fit wie Turnschuhe, machten unzählige Erstbefahrungen in Tirol und anderswo, definierten die „Single Trail Skala", und wurden von den Magazinen interviewt wie blöd. Ein paar Irre aus Innsbruck, die vormals unfahrbare alpine Routen meisterten. Wow.

Unsere modifizierten Freeride-Bikes hatten dicke Reifen, kleinere Hinterräder, steife Gabeln, absurd kurze, handliche Geometrien für enge Serpentinen, wogen 18 bis 20 kg, boten lächerliche 16 cm Federweg, aber wir trugen sie mit Freuden nach endlosen Forststraßenauffahrten ohne zu murren auch noch stundenlang auf einsame Gipfel, um auf spannenden Routen spektakuläre alpine Abfahrten zu absolvieren.

DAS BIKE ALS TIEFSCHNEESKI
Unsere Bikes waren unsere Sommer-Snowboards, wir surften die schwierigsten technischen Trails – je steiler desto besser. Die Fahrradindustrie hatte ein neues Thema: alpines Biken. Vertriding. Und entwickelte spezielle Bikes für den neuen Fahrstil.

Ich hielt als Gründer mit Foto und Film die Innsbrucker Vertrider in den Medien präsent, baute mit Christian Piccolruaz den Innsbrucker „Nordketten Single Trail", Europas schwierigste Downhillstrecke (offizieller Vertrider-Spielplatz), beriet die Bikeindustrie, war Werksfahrer und Tester und organisierte Sponsorings für Tiroler Nachwuchsfreerider.

Für den österreichischen Alpenverein gestaltete ich die Mountainbike-Ausbildung mit, und guidete in der Freizeit „Vertrider Big Mountain Weeks" auf den Kanaren.

VON 100 AUF NULL
Doch 2010 kam der Schock: Ich konnte aufgrund einer rapide schlimmer werdenden Innenohr-Erkrankung und damit verbundenen Gleichgewichtsstörungen nicht mehr Rad fahren. Von 250 Tagen im Jahr am Bike auf null heruntergebremst. Das war bitter. Zwei Jahre Fehldiagnosen machten die Situation nicht besser.

In meiner Verzweiflung und in meinem Frust legte ich alle Funktionen nieder, kehrte der Mountainbikeszene radikal den Rücken, machte aus der Not eine Tugend und fasste bei Freunden in der Filmindustrie im Wissenschafts- und Werbefilm Fuß. Ich machte damit einen Traum wahr – und legte notgedrungen einen anderen nieder.

Fünf Jahre tingelte ich als spezialisierter Kameramann um die Welt, filmte in der Nacht unter Sternen in der Atacama, erstellte spezielle Zeitraffer für die Apple Watch oder begleitete am CERN 100 m unter der Erde die Modernisierung des berühmten ATLAS-Experiments mit Spezialkameras. Eine tolle Erfahrung, doch die Heimat und die Vertride-Touren, die gute Zeit mit Freunden am Berg fehlten mir sehr.

Zwar machte meine Innenohr-Therapie endlich Fortschritte, doch durch die ständigen Reisen zu Filmlocations und 60plus-Stunden- Wochen war an regelmäßiges Training nicht zu denken.

Ich hockte selten am Bike, und wenn, dann war es frustrierend: Trail- Koordination und Kondition waren weg, die Angst vor der nächsten Schwindelattacke permanent da, auch wenn sie weniger wurden. Ich kam einfach nicht mehr in die alte Form zurück.

DIE RETTUNG
Vor zweieinhalb Jahren besuchte ich einen befreundeten Stubaier Bergführer auf ein Bier und stolperte in seinem Garten über ein „Flyer" E-Mountainbike Enduro. Wow, ein E-Enduro? Hm, mit Motor. Ich war skeptisch. „Man muss ja schließlich trotzdem noch treten, probier's einfach", sagte mein Freund.

Er war so mutig, mir das Bike für eine Woche zu leihen, und diese Woche veränderte mein Leben erneut. Ich fuhr in sieben Tagen so viel Mountainbike, wie ich Zeit fand. So viel wie lange nicht mehr.

FORTSCHRITT DURCH TECHNIK
Heute nennt man unsere damaligen Alpinbikes „Enduros", sie wiegen 12 bis 13 kg, haben 16 bis 18 cm Federweg, sensationelle Fahrwerke und Bremsen und funktionieren Lichtjahre besser als unsere alten Klapperkisten von damals. Und es gibt sie eben auch als E-Enduros, mit 21 bis 23 kg und den gleichen tollen Fahrwerken. Mit denen man auch schwere Abfahrten meistern kann, wenn man weiß wie. Der Kreis schließt sich.

Leise surrend wie ein Schweizer Uhrwerk begleitete mich das Flyer auf meinen alten Lieblingstouren, die plötzlich wieder möglich waren. Ich fuhr ohne Stress, ohne mich kaputt zu machen zu den Hütten hoch – Landschafts- und Naturgenuss pur. Ich fuhr mehr und wurde langsam aber sicher wieder fit.

Und der absolute Oberwahnsinn: Bergauf zu fahren, machte auf einmal so viel Spaß wie bergab. Eine neue, ganzheitliche Erfahrung.

LEIDENSCHAFT E-MTB
Daraus ist nun eine große Leidenschaft fürs E-MTB geworden, ich bin nach nur zweieinhalb Jahren so fit wie schon lange nicht mehr und mit mehr Freude als je zuvor zurück in der Bike­szene. Ich kann am E-MTB mein Training effektiv steuern, einfach nur genüsslich nach Feierabend eine Tour fahren oder genauso gut sportlich biken.

Die Lebensqualität ist wieder da, die Berge sind wieder Teil meines Lebens. Und ja, Vertriden gehe ich auch wieder. Der Spirit ist zurück.

Christoph Malin

Der Experte

CHRISTOPH MALIN ist Extrembiker der ersten Stunde mit Hang zu alpinen Höhenlagen, Gründer der legendären Innsbrucker Vertrider-Truppe, des Nordketten-Singletrails (Europas steilste Downhillstrecke), Berater in der Fahrradindustrie mit eigener Consulting GmbH, Ausbildner MTB des OeAV, E-MTB-Fachjournalist und Tester.

Kontakt: christoph@electric-mountain.at


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