An Wettkämpfen teilzunehmen, gehört für viele fix zum ­Läuferleben dazu. Gut so! Wer sich darauf entsprechend ­vorbereitet, kann ­Marathon & Co. dann auch in vollen Zügen­ genießen. Von der Vorbereitung bis zum Eventtag: Worauf es vor dem Wettkampf ankommt, hat uns ­Runtastic-Sportwissenschafter Herwig Natmessnig verraten.

Von Christoph Lamprecht


Einmal Wettkampfluft schnuppern, angefeuert vom Publikum gemeinsam mit hunderten oder gar tausenden Gleichgesinnten Kilometer um Kilometer hinter sich lassen und dabei die volle Ladung Endorphine genießen: Die Zahl jener, die sich diesen Traum erfüllen, ist nach wie vor riesig.

Dass die große Mehrheit der Starter heute nicht über die vollen 42,195 Kilometer geht, sondern sich lieber auf der Halb- oder Viertelmarathon-Distanz versucht, ist neben jährlich neuen Anmelderekorden ein weiteres Indiz dafür, dass einerseits eine breite Masse an Hobbyläufern die Scheu vor dem Vergleich mit anderen abgelegt hat. Und, dass andererseits das Flair solcher (Groß-)Veranstaltungen die Hauptmotivation für eine Teilnahme darstellt.

„Wenn es bei einem Rennen nur darum geht, dabei zu sein, sprich: man ohne jeglichen Wettkampfgedanken startet, kann auch eine kurzfristige Vorbereitung ausreichen", weiß Sportwissenschafter Herwig Natmessnig, der seine Erfahrungen und trainingsspezifisches Know-how auch im Runtastic-Blog weitergibt. Großes Aber: „Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, die gewählte Distanz problemlos durchlaufen zu können. Sinnvoll ist das nur bei Streckenlängen bis maximal 10 Kilometer Länge."

Ambitionierten Läufern verordnet der ehemalige Leistungssportler zuallererst eine objektive Bestandsaufnahme der persönlichen Leistungsfähigkeit, denn: „Je länger die Distanz und je schlechter das Leistungsniveau, desto umfangreicher sollte logischerweise auch die Vorbereitungsphase gestaltet werden!"

Einen „One-size-fits-all"-Trainingsplan gibt es allerdings nicht. Denn, wer die investierte Zeit optimal nutzen möchte, muss das Training auch an individuelle Gegebenheiten anpassen. Diese werden im Rahmen einer Leistungsdiagnostik ermittelt, auf deren Grundlage dann ein maßgeschneidertes Programm erstellt wird.

RAUS AUS DER KOMFORTZONE
„Wer immer das tut, was er schon kann, wird immer das bleiben, was er schon ist" – so lautet eine alte Sportlerweisheit, die auch für Läufer von besonderer Bedeutung ist. Denn, wer seine Leistung bis zum Tag X verbessern will, muss davor gezielt neue, trainingswirksame Reize setzen. „Nur, wer sich in der Vorbereitung aus seiner Komfortzone, der sogenannten Homöostase, bewegt, setzt körpereigene Anpassungsprozesse in Gang, die dafür sorgen, dass man auch tatsächlich schneller wird oder länger laufen kann", erklärt Natmessnig

Als wichtigste Strategie, um den Körper bei jedem Training aufs Neue zu Verbesserungen anzuregen, empfiehlt der ehemalige Profi-Kanute abwechslungsreich vorzugehen: „Intervall- und Tempoläufe sollten ebenso in den Trainingsplan aufgenommen werden wie Bergsprints oder Fahrtenspiele, um die Muskulatur und das Herz-Kreislauf–System kontinuierlich vor neue, notwendige Herausforderungen zu stellen." Wer im Training hingegen stets die gleiche Belastung wählt, findet sich langfristig garantiert auf einem Leistungsplateau wieder, auf dem „nichts mehr weitergeht".

KLARE ZIELSETZUNG
Hat man eine persönliche Bestzeit im Visier, macht ein Besuch beim Trainingsprofi nicht nur zu Beginn, sondern auch gegen Ende der Wettkampfvorbereitung Sinn, so Natmessnig. „Die genaueste Möglichkeit, um eine realistische Zielzeit bzw. die optimale Pace zu ermitteln, ist ein Leistungstest mittels Laktatbestimmung oder Atemgasanalyse."

Spätestens in den letzten paar Wochen vor dem Wettkampf ist die Zeit für Experimente vorbei! Entscheidend ist nun, dass man die Trainingsumfänge langsam reduziert, um möglichst fit und energiegeladen an den Start gehen zu können. Natmessnig kennt das klassische Problem: „Viele Läufer meinen, kurz vor dem großen Tag noch einmal alles geben zu müssen, doch genau damit berauben sie sich selbst ihres Potenzials. Beim sogenannten Tapering werden die Trainingsumfänge in der Woche vor dem Rennen auf 50 bis 30 Prozent des ‚normalen' Laufumfangs reduziert. Ungewohnte Belastungen haben im Training jetzt definitiv nichts mehr verloren – nicht nur, weil diese jetzt keine Verbesserungen mehr bringen, sondern weil sie zu diesem Zeitpunkt der Leistungsfähigkeit schaden."

Auch radikale Ernährungsumstellungen sind nun fehl am Platz. Speziell in der letzten Woche vor dem Rennen sollte aber auf eine möglichst ausgewogene Nährstoffverteilung und großzügige Flüssigkeitszufuhr geachtet werden.

KLEINIGKEITEN ENTSCHEIDEN
Trotz perfekter, körperlicher Vorbereitung gibt es am Renntag noch reichlich Möglichkeit, die Nerven wegzuschmeißen und im Eifer des Gefechts auf wichtige Details zu vergessen. Daher macht es Sinn, sich auch mental mit dem Bevorstehenden zu befassen, und stets einen konkreten Plan parat zu haben – gerade für Situationen, wenn es gerade nicht nach Wunsch läuft. „Ein durchdachter Wettkampfplan mit realistischen Pace-Vorgaben kann schwierige Situationen oft schon im Voraus ausschließen", betont Natmessnig nachdrücklich.

Doch auch ohne Rekord-Gedanken liefert ein wissenschaftlicher Check bzw. ein Termin beim Laufcoach knapp vorm Rennen hilfreiche Daten. Der Grund: Gerade Wettkampf-Neulingen wird im Eifer des Gefechts nicht selten Selbstüberschätzung zum Verhängnis, wieder andere passen sich vor lauter Aufregung unbewusst an das Tempo stärkerer Läufer an, starten zu schnell und müssen im schlimmsten Fall deshalb sogar das Handtuch werfen. „Taktisch sollte man so vorgehen, dass man die zweite Hälfte des Rennens etwas schneller läuft als die erste", rät der Runtastic-Experte, und stellt klar: „Außerdem muss eines jedem Starter von vornherein klar sein: Es ist keine Schande, überholt zu werden!"

Einen anderen, häufigen Fehler ortet Natmessnig im Verzicht auf ein entsprechendes Aufwärmprogramm: „Wie wichtig das sowohl für die Leistungsfähigkeit als auch die Verletzungsprophylaxe ist, wird häufig unterschätzt. Die positiven Effekte des Aufwärmens sollte man sich schon ab dem Startschuss zugute machen und nicht erst während des Rennens ‚warmlaufen'. Ein guter Indikator für eine ordentliche Durchwärmung des Körpers ist, dass man leicht zu schwitzen beginnt."

Beim Wettkampf selbst gilt es, sich darauf zu besinnen, was man in der Vorbereitung gemacht hat. Das schließt auch Ess- und Trinkgewohnheiten ein. So nützt „das beste Energy-Gel" nichts, wenn man erst im Ernstfall erkennt, dass man es einfach nicht runterbekommt. Natmessnig: „Die Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme ist umso entscheidender, je länger die zu bewältigende Distanz ist. Daher sollte man während des Trainings unbedingt austesten, was einem schmeckt und vor allem, was man am besten verträgt."

Ähnliches gilt für die Kleidung, insbesondere aber für das Schuhwerk. Neue Schuhe, die beim Wettkampf zum ersten Mal zum Einsatz kommen, führen nicht selten zu mehr als unangenehmen Druckstellen und werden Einsteigern so immer wieder zum Verhängnis.
Beachtet man diese Grundregeln, muss man sich aber keine Sorgen machen, für die während des Rennens ohnehin kein Platz ist. Denn nach einer umfangreichen Vorbereitungsphase stehen am Tag X vor allem zwei Dinge im Vordergrund: Eindrücke sammeln und genießen.


Sportwissenschafter Mag. Herwig Natmessnig / Bild: Runtastic

Der Experte

MAG. HERWIG NATMESSNIG ist für Runtastic als Sportwissenschafter tätg. Als Profiathlet war er 14 Jahre lang Mitglied der ­österreichen Kanu-Salom-­Nationalmannschaft.

Web: runtastic.com/blog

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