Fabio und Elias sind von Graz 13.643 Kilometer nach Tokio geradelt. 284 Tage lang haben sie fürs Leben gelernt, sind von Bergen überrascht worden, haben Bankomaten gesucht und einen Millionär gefunden. Vor allem aber sind sie erwachsen geworden. Reifen auf Reifen sozusagen.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Die Veränderung ist mit freiem Auge sichtbar. Fabio trägt Vollbart, Elias fast schulterlanges Haar. Beim Start zu ihrem Graz-Tokio-Fahrradprojekt haben sie Bart und Kopfhaar komplett wegrasiert und die ganze Reise nicht nachgeschnitten. „Ich hab halt nahezu gar keinen Bartwuchs“, lacht Elias auf die Frage, ob er sich zwischendurch rasiert hat. Verändert hat sich aber natürlich nicht nur die Optik. Die beiden Burschen (Fabio ist 23, Elias 20 Jahre alt) sind nach wie vor jung, aber deutlich gereift unter 13.643 Fahrradkilometern und einer 284 Tage langen Reise durch 12 Länder. Aus den beiden Burschen sind Männer geworden, die ihren Lebensplan überdacht haben. „Ich wollte eigentlich Jus studieren“, sagt Fabio. „Unterwegs ist mir aber klar geworden, dass das nicht das Richtige ist und ich stattdessen Journalismus und PR machen werde.“ Elias wiederum hat die Reise in seiner Vorstellung bestärkt. „Ich will Schauspieler werden und bin mir jetzt noch sicherer, dass ich das machen werde.“

Nicht verändert hat sich die Beziehung zueinander. „Wir sind immer noch Freunde“, sagen die beiden mit einem lauten Lachen. „Natürlich haben wir uns im Vorfeld überlegt, was passieren könnte und was wir machen, wenn es zu einem Streit kommt“, erzählt Elias. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es nichts bringt, wenn wir uns in die Haare kriegen“, ergänzt Fabio. Bei Meinungsverschiedenheiten sind sie dann einfach in einem Abstand von ein, zwei Kilometern gefahren – zum Ausdampfen. Körperlich sind die beiden völlig unvorbereitet losgefahren und sich im Rückblick sicher, dass es darauf auch gar nicht ankommt bei einem solchen Projekt. „Der Kopf muss stark sein“, sind sich beide einig. Sonst steht man nicht acht Tage im Dauerregen durch. Baut Abend für Abend im Regen das Zelt auf, legt sich in feuchten Dingen nieder. Immer und immer wieder.  

Dafür ist mit jedem Tritt aufs Pedal das Gefühl der Freiheit größer geworden. „In Ungarn dann, nach dem Plattensee, war so eine Grenze, wo wir gespürt haben: Wow, jetzt sind wir weit gekommen. So weit, dass mich mein ­Vater nicht mehr einfach mit dem Auto abholen gekommen wäre“, sagt Elias. Erfrischend ist die völlige Naivität, mit der die beiden das Projekt angegangen sind. In den rumänischen Karpaten wurden sie von Bergen richtiggehend überrascht. „Wir haben ja nur auf Google Maps Start und Ziel eingegeben und sind diese Route dann nachgefahren“, sagt Elias. Auch in China geht es plötzlich tagelang auf einer Seehöhe von 3500 Metern dahin. „Wer weiß, ob wir das alles gemacht hätten, wenn wir gewusst hätten, was uns erwartet.“ Immer wieder steht neben Radfahren, Zeltaufbauen, Kochen auch die Suche nach einem Bankomaten im Mittelpunkt. Sehr lange Zeit haben die beiden auch ohne Navi ihren Weg gesucht, wussten daher nicht, wie weit es noch bis zum nächsten Ort ist.

Diese Phasen haben den Abenteurern aber durchaus positive Erfahrungen beschert. „Zum einen, dass man eben Leute ansprechen musste und sie um Hilfe bitten“, sagt Elias. Und eben nicht nach der ersten negativen Antwort oder Verständigungsschwierigkeiten die Flinte ins Korn werfen konnte. Zum anderen haben sie dadurch Unmengen an positiven Erfahrungen mit Menschen gemacht. „Fast auf der ganzen Reise haben wir extrem nette Menschen getroffen.“ Gastfreundschaft, so weit das Auge reicht. Die beiden erzählen von Attila in Ungarn, der sie auf der Suche nach einem Gasthaus kurzerhand bei sich aufgenommen und bewirtet hat. Selbstgebrannten Schnaps inklusive. In Charkow hatten sie ebenfalls einen Gastgeber, der dann wiederum in Wolgograd jemanden kannte, der die beiden auch bei sich wohnen ließ. „Das war die wohl surrealste Anekdote der Reise“ sagt Fabio. Der Gastgeber stellte sich als Millionär heraus, der sie in seiner Villa übernachten ließ und ihnen zum Abschied noch 2000 Euro in die Hand gedrückt hat. „Der hat uns dann via Instragram verfolgt und als wir in Südkorea waren, angerufen, ob wir noch Geld brauchen.“

Landschaftliches Highlight war dann der Pamir Highway, eine bei Radreisenden und Motorradfahrern sehr beliebte, wenn auch schlecht ausgebaute Strecke. Davon wurden die beiden – no na – überrascht. „Wir wussten weder, dass die Strecke so berühmt ist, noch, dass wir dort fahren werden.“ Tagelang radelten sie in Tadschikistan auf der Straße am Fluss dahin, am anderen Ufer beginnt Afghanistan. „Von dort haben immer wieder Leute auf Eseln herübergewunken. Unvergesslich“, erinnern sich die Burschen. In China wurden sowohl Abenteuergeist als auch Durchhaltevermögen auf eine harte Probe gestellt. Kulinarisch gab es die eine oder andere Abwechslung zum Dauermenü Nudeln mit Gemüse bzw. Reis mit Gemüse in Form von Schlangen und gegrillten Skorpionen. Es gab aber vor allem die Erkenntnis, dass China wirklich anders ist als alles andere. „Und zwar komplett“, sagt Elias. In der Provinz Xinjiang – deren schlechter Ruf Fabio und Elias bereits erreicht hatte – gab es alle paar Kilometer Checkpoints an den Straßen. Jedes Mal mussten die beiden erklären, wer sie sind, was sie hier zu suchen haben, wohin sie wollen. Immer und immer und immer wieder. Die Checks haben sich oft viele Stunden hingezogen. „Wildes Campen sehen die dort auch gar nicht gerne“, erinnert sich Fabio an die Schwierigkeiten mit der Polizei nach einem Lagerplatz.

„Dazu haben sich in Restaurants oft wildfremde Leute in Zivil einfach so zu uns gesetzt – es stellte sich heraus, dass es Polizisten waren, und das Fragespiel ging von vorne los. Oft wurden wir dabei gefilmt“, sagt Elias. „Da sind wir schon paranoid geworden.“ Und das Abenteuer stand das erste und einzige Mal wirklich vor dem Abbruch. Nach ein paar Tagen dann die Entscheidung: rein in den Zug, raus aus der Provinz und eine Ausweichroute gewählt. Klingt easy, war es nicht. „Wir sind 25 Stunden im Zug gesessen, es waren nämlich 2000 Kilometer raus aus Xinjiang.“ Dann endlich Shanghai und ein Ende des China-Wahnsinns in Sicht. Südkorea im Herbst war dann purer Genuss. „Das Land ist fahrradverrückt, wir sind 400 Kilometer auf einem breiten Radweg durchs Land gefahren“, sagt Fabio. Nach der Fährüberfahrt nach Fukuoka zelten die beiden mit freiem Blick auf den gewaltigen, schneebedeckten Mount Fuji. „Plötzlich beginnen wir zu realisieren, dass wir tatsächlich bald in Tokio ankommen werden.“ Nach fast neun Monaten wird ihnen beinahe die Zeit knapp. Die Gegend ist jetzt dicht besiedelt. 200 Kilometer lang reiht sich Hochhaus an Hochhaus. Am 19. Dezember ist es dann so weit, der Tokio Tower, das selbstgewählte Ziel, ist erreicht. Zehn Tage später landen Fabio und Elias wieder in Graz. Habt ihr dann Silvester gemeinsam gefeiert? „Nein“, kommt es auch beiden wie aus der Pistole geschossen und mit einem herzhaften Lacher. „Es war schon komisch nach so langer Zeit, den anderen nicht mehr 24 Stunden zu sehen.“ 

Fabio und Elias, zwei Burschen aus Graz, haben gezeigt, dass man ohne großartige Vorbereitung von Graz nach Tokio radeln kann. Dass man Träume nicht immer nur träumen kann, sondern sie auch Wirklichkeit werden lassen kann. Wenn man sich die Zeit nimmt und wenn man es wirklich will. Jetzt zehren sie von einmaligen Erfahrungen, sie schätzen die Heimat mehr denn je, was es für ein Privileg ist, in einem Land wie Österreich leben zu dürfen. Ohne totale Überwachung, in Frieden. Was sich nicht verändert hat: Radsportfreaks hat die Reise keine gemacht aus ihnen. „Obwohl mir das Fahren schon sehr gefallen hat“, sagt Elias. „Aber am Wochenende eine Tour machen“, sinniert Fabio. „Niemals.“