Eigentlich soll Sport ein Stress-Ventil sein. Wer sich aber nach dem Training noch gereizter, erschöpfter oder gar niedergeschlagener fühlt als zuvor, macht etwas falsch. Was das ist, verrät der Psychotherapeut und ehemalige Profi-Sportler Christian Beer.

Linda Freutel


Mit dem Stress ist das so eine Sache. Er baut sich langsam auf, schlägt dann aber umso massiver zu: Herzrasen, Schlafstörungen, Gereiztheit, Angst, Appetitlosigkeit und sogar Libidoverlust sind nur einige Symptome von Stress. Viele Betroffene fühlen sich auch einfach nur ausgebrannt und irgendwie schwach. Die Lösung? Eine Tüte Chips, ab auf die Couch und Decke über den Kopf? „Bloß nicht!“, warnt der Psychotherapeut und ehemalige Personal Trainer Christian Beer aus Wien und rät sogar genau zum Gegenteil: „Wer Stress hat, kann diesem sprichwörtlich davonlaufen. Sport ist nämlich eine optimale Medizin gegen Stress und schlechte Gefühle.“ 

Wenn Sport noch mehr stresst!
Also beherzigen clevere Hobbysportler selbstverständlich diesen Rat und schleppen sich nach Feierabend in die Muckibuden. Sie schwitzen, strampeln und schnaufen. Und was passiert? Das Worst Case Szenario: Viele sind noch erschöpfter als vorher. Auch die Stimmung wird noch labiler, die Muskeln sind müde, manchmal fühlt man sich sogar wie zu Beginn einer Erkältung, hat Halskratzen und einschlafen kann man auch nicht. Diagnose: Stress. Schon wieder! Und das, obwohl man doch wie ein Wilder dafür geschwitzt hat, damit genau dieser verschwindet. „Ja“, sagt Beer, „und wahrscheinlich ist auch genau dieser Übereifer das Problem. Viel hilft nämlich nicht immer auch viel!“

Übertraining wirkt auch mental!
Übertraining sei das Stichwort – und gerade bei Hobbysportlern keine Seltenheit. Der Experte erklärt: „Übertraining meint einen Zustand körperlicher Überlastung, der durch unzureichende Regeneration nicht kompensiert wird und sich damit nicht nur auf den Leistungszustand des Körpers, sondern auch massiv auf unsere Gemütslage auswirkt. Körper und Seele lassen sich nun mal nicht trennen. Wir kennen das von einer Grippe; fühlen wir uns körperlich krank, sind wir auch mental niedergeschlagen; oft sogar ängstlich oder depressiv.“ 

Vorsicht: falsche Euphorie 
Mit dem Sport ist es also auch so eine Sache: Er kann gleichermaßen das wirksamste Gegenmittel, als auch eine fatalste Ursache von Stress sein. Gerade Hobbysportler schätzen diese Balancierung oft nicht korrekt ein. „Wir müssen uns bewusst machen, dass es durch sportliche Belastung zunächst zu einem massiven Abfall unserer Leistungsfähigkeit kommt“, erklärt der Experte. Doch fataler Weise bemerken wir diesen Erschöpfungszustand meistens gar nicht; sogar das Gegenteil ist der Fall. Wer dem inneren Schweinehund in den Hintern getreten hat und erschöpft, aber überglücklich auf die Matte fällt, ist euphorisch. „Man ahnt nicht, dass man sich gerade in einem echten immunologischen Tief befindet. Gibt man dem Körper nun nicht die nötige Gelegenheit zur Regenration, kommt es zum geschilderten Übertrainingseffekt und damit zum Teufelskreis, der Körper und Seele herabwirtschaftet“, so Beer. 

Tschüss Stress: So wirst du ihn los
Allerdings ist das nur die eine Möglichkeit. Gestaltet man das Maß und die Mittel der Regenerationsphase nach dem Sport nämlich gezielt und produktiv, passiert das, was Profis Superkompensation nennen: Körper und Seele wachsen über sich hinaus und sind auf neue Reize besser gewappnet als zuvor. Vom Muskelaufbau kennt das jeder: Belastung -> Regeneration -> Muskelaufbau. So ist die Reihenfolge. Und diese gilt eben auch für den Geist. „Sport ist auch mental ein Stressreiz – und das ist auch gut so. Denn wenn wir anschließend richtig und ausreichend regenerieren, wächst nicht nur unsere Muskel-, sondern eben auch unsere Mentalkraft; wir werden stress-resistenter und insgesamt glücklicher, ausgeglichener und zufriedener. Train smarter, not harder. So lautet das ganze Geheimnis“, sagt Psychotherapeut Beer.

Erholung lernen: Profis helfen
Gute Regeneration klingt einfach. Aber bitte nicht verwechseln: Erholung hat nämlich nicht unbedingt immer was mit Faullenzen zu tun. Welche Art und welches Maß der Regeneration richtig ist, ist individuell verschieden und hängt stark vom Alter, der allgemeinen Verfassung, aber auch von mentaler, sportlicher und sonstiger Belastung ab. Wer für sich das richtige Maß zwischen An- und Entspannung finden will, sollte gut auf sein Bauchgefühl, aber vielleicht auch auf einen Profi hören. Beer rät: „Sportlichen Laien fehlen oft Erfahrung und Wissen. Einen Coach, Mediziner oder Personal Trainer an der Seite zu haben, der sowohl die Phasen des Trainings als auch der Erholung aktiv begleitet, verhindert, dass man Zeit, Kraft und Nerven verschwendet. Entspannung kann nämlich doch so einfach sein – man muss nur wissen wie sie geht“, sagt der Experte.

Anzeichen für Übertraining

Mangelnde Motivation 
Fällt es dir über einen längeren Zeitraum schwer, dich zum Sport aufzuraffen und macht dir das Training keinen Spaß, kann das ein Anzeichen von Übertraining sein. 

Häufig krank
Ständige Halsschmerzen, Durchfall, Kopfschmerzen, Müdigkeit, schwere Gliedmaßen und ähnliche Symptome können ein Warnsignal sein. 

Schlafstörungen
Auch ein unruhiger Schlaf oder Probleme beim Einschlafen sind Warnhinwiese des Körpers. 

Depressive Verstimmung
Bist du leicht reizbar, häufig schlecht gelaunt, ängstlich, traurig oder einfach irgendwie ausgebrannt? Dann nimm diese Anzeichen ernst. 

Heißhunger
Du könntest fünf Teller Nudeln auf einmal essen? Oder du hast ständig Lust auf Schokolade? Vielleicht versucht sich dein Körper auf diesem Wege die verlorene Energie zurückzuholen?

Libidoverlust
Durch Sport verbessert sich das Körpergefühl. Wir sehen fitter aus, fühlen uns auch so, sind stolz und haben damit oft sogar mehr Lust auf Sex. Tritt hingegen das Gegenteil an, kann das ein Anzeichen für Übertraining sein.