Touren-, All Mountain- und Enduro-Bikes sind einfach Bikes, mit denen man über Trails surfen kann – aber nicht muss.

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Einsame Trails fernab der Massen, immer brandneue Bikes, tief eintauchen in einmalige Landschaften, gutes Essen und herzliche Gesellschaft – die Zeit der Pressecamps ist für Bike-­Redakteure die fünfte Jahreszeit. Warum der Off-Topic, wenn es hier doch eigentlich um Trailbikes gehen soll? Man erlaube mir kurz auszuholen. Auf besagten Camps sitze ich seit jeher am liebsten mit den Nordamerikanern am Tisch. Englisch als Sprache ist ­simpel und pragmatisch, die Gesprächsthemen meist leidenschaftlich. Dort am Tisch und auf den Trails herrschte schon zu Zeiten der aufkommenden 29er ein gewisses Unverständnis für das deutschsprachige Kategoriendenken. Tourenbike, All Mountain, Enduro – für den Norden Amerikas einfach Bikes, mit denen man in die Berge strampelt, um auf Trails talwärts zu surfen. Und somit schlicht Trailbikes. Je nach Anforderung des Trails und technischen Vorlieben des Piloten eben mal mit mehr oder weniger Federweg, mal mit einem Fokus auf längere Touren oder einer Vorliebe fürs ruppige Bergab.

Der Ansatz der Amerikaner, er ist 2025 wohl der Sinnigste, um sich nördlich der Federwegsklasse der ganz leichten Racer und Downcountrys zu orientieren. Denn so strikt nach Kategorien und Federwegen lassen sich moderne Bikes nicht mehr klassifizieren. Räder wie etwa das Scor 2030 mit 120 mm Federweg wildern dank progressiver Geometrien im Gefilde deutlich langhubigerer Bikes, wettbewerbsfähige Enduros wie das Trek Slash Gen. 5 pedalieren effizienter als manch vermeintliches „Touren­bike“. Soll heißen: Zwei Trailbikes ein und derselben Federwegsklasse können durch moderne Kinematik, vor allem aber durch gravierende Variationen in Geometrie und Laufradgröße gewaltige Unterschiede im Einsatzbereich aufweisen. Was hier hilft? In jedem Fall der Gang zum qualifizierten Fachhandel und ausgiebiges Probefahren.
 

Der Blick auf den Federweg mag ­trügerisch sein.

Eine Frage des Einsatzbereichs
Ein direkter Vergleich zwischen zwei Bikes „gleicher Klasse“ kann sich aufgrund oben genannter Gründe oft als trügerisch erweisen. Darum empfehlen wir eher zwischen den Zeilen und in den Geometrietabellen zu lesen. Unser Tipp: Bikes mit flachen Lenkwinkeln und progressiveren Geometrien (längerer Reach, steilerer Sitzwinkel) spielen ihre Stärken oft bei etwas härterer Gangart am Trail aus. Bikes mit bequemeren, aufrechteren Sitzpositionen und kürzeren Geometrien mit steileren Lenkwinkeln überzeugen mit Agilität bergauf wie bergab und sind treue Begleiter auf Tour sowie bei gemäßigter Herangehensweise bergab und am Trail. Hat man hier „sein“ Zuhause gefunden, kann der Federweg noch weiter entscheiden. Viel Hub (150 bis 170 mm) bedeutet mehr Reserven und Sicherheit in sehr ruppigem, technischem Gelände, kürzere Federwege versprechen ein lebendigeres Fahrverhalten, mehr Effizienz und ein oft direkteres, präziseres Fahrgefühl am Trail.

Wer also maximalen Wert auf den Abfahrtsspaß zwischen Trail und Bikepark legt, der, so fasst es Benjamin Brochhagen von Radon Bikes kurz und knapp zusammen, sollte auf ausreichend Federweg von 150 bis 160 mm achten, dazu sind abfahrtsorientierte Geometrien mit flacheren Winkeln sinnvoll. Ein Trailbike für Touren sollte hingegen eine möglichst angenehme Sitzposition ermöglichen. Federwegsreserven sind, je nach Tourenprofil, zweitrangig. Wichtig sind hier Details wie leichtlaufende Reifen und allgemein ein geringeres Gesamtgewicht.

Eine Frage der Laufradgröße
Seit einigen Jahren haben sich die 29“-Laufräder in allen Trailbike-­Variationen durchgesetzt. Doch auch der Mix aus 29“ Vorderrad und 27,5“-Hinterrad, das sogenannte Mixed-Wheel- oder Mullet-Konzept ist immer öfter zu sehen. Ulrich Wilmes von Conway erkennt dabei im reinen 29er für das Gros der Biker das „bessere“ Bike: „Durch die großen Räder vorne wie hinten bieten sie ein Maximum an Sicherheit und Traktion, funktionieren quasi auf allen Strecken gut“, so seine Einschätzung. Mit dem großen Vorderrad, so erklärt Ulrich Wilmes weiter, kann ein Mullet praktisch dasselbe wie ein reines 29er, allerdings mit „einer Spur mehr Verspieltheit und Agilität“. 
Neugierig auf Trails? Auf der folgenden Doppelseite haben wir für dich eine Auswahl an Trailbikes für alle erdenklichen Einsatzszenarien zusammengetragen.