Schwerpunkt Ergonomie. Das richtige Bike, die optimale Sitzposition, die individuell passenden Bauteile und die Bekleidung. Viele Bausteine sind es, die über helle Freude und schmerzhaftes Leid beim Biken wesentlich mit ­entscheiden. SPORTaktiv auf Spurensuche beim Bikefitter ...

Von Christof Domenig


Das Wissen darum, wie sinnvoll ein Bikefitting nicht nur für Profis, sondern auch für Freizeitbiker ist, verbreitet sich immer mehr. Auch, weil immer mehr Händler ein solches Fitting anbieten. Die Vorteile einer professionell ermittelten Sitzposition am Rad überzeugen ja auch wirklich. Noch einmal für alle, die sich bislang nicht mit dieser Thematik beschäftigt haben: Sportliche Fahrer profitieren, weil sich so die Kraftübertragung aufs Pedal verbessern lässt. Der zweite, noch wichtigere Grund: Schmerzen und Überlastungen aller Art lassen sich eliminieren. Und das ist wirklich für jeden, der Rad fährt, interessant.

MENSCH UND TECHNIK
„Was aber beim Thema Sitzpositionsoptimierung oft untergeht, ist die Rolle, die der Fitter spielt", meint Jürgen Knausz, SPORT­aktiv-Experte fürs Thema Bikefitting und Radhändler im obersteirischen Pöls. „Oft wird es auf die Technologie dahinter reduziert. Es kommt bei der Qualität eines Fittings aber wesentlich auf Erfahrung und Wissen an – und nicht nur darauf, welches Equipment zur Verfügung steht."

Knausz hat sich als Fitter einen Namen gemacht. Rund 150 Analysen führt er jährlich durch. Den „Raddoktor" nennen ihn manche seiner Kunden mittlerweile, erzählt er. Und der Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt. Beim Arzt zählt schließlich auch nicht nur die technische Ausstattung der Ordination. Am Wichtigsten sind Wissen und Einfühlungsvermögen. Andererseits stößt auch ein herausragender Medicus an seine Grenzen, wenn er eine Untersuchung mangels technischem Gerät nicht durchführen kann.

Raddoktor Knausz ordiniert selbst mit High-Tech-Unterstützung. Neben dem verbreiteten Fitting-System von „Radlabor" nutzt er auch ein Videoanalysesystem, bei dem die Sitzposition dynamisch, also im Pedalieren unter die Lupe genommen werden kann.

ES BEGINNT BEIM RADKAUF
Ein Bikefitting beginnt idealerweise schon mit dem Radkauf. Zwar kann man auch sein eigenes Bike mitbringen und sich die Sitzposition optimieren lassen. Doch wenn zum Beispiel die Rahmengröße nicht wirklich zu den Körperproportionen passt, wird auch die beste Einstellung letztlich nur ein Kompromiss.

Das „Fitting-Gespräch" beginnt ebenfalls fast wie ein Arztbesuch: Mit einer „Anamnese". Knausz befragt seinen Kunden eingehend nach dessen Bike-Gewohnheiten. Wie oft biket er, wie lang, wie intensiv? Welche Ziele verfolgt er, fährt er Rennen? Welche Distanzen? Hat er schon einmal Probleme mit chronischen oder akuten Schmerzen gehabt?

Diese Informationen sind auch nützlich, wenn es darum geht, erstmals das passende Rad zu finden. Selbst Kaufentscheidungen, die mit der Sitzposition vordergründig nichts zu tun haben, gehören für Knausz zum „Gesamtpaket". Einfache Fragen wie: die Entscheidung zu einer Laufradgröße, zum Carbon- oder Alurahmen oder zur Einfach-, Zweifach- oder Dreifachkurbel. „Es geht schließlich darum, dass der Kunde zu 100 Prozent Freude an seinem Rad hat", sagt Knausz.

KRAFT UND BEWEGLICHKEIT
Die Vermessung der Körperproportionen mit dem „Radlabor"-System ist ein wichtiger Schritt. Innenbeinlänge, Unterschenkellänge, Armlänge oder Brustbeinhöhe werden mithilfe eines Bodyscanners ermittelt und in der Radlabor-Software erfasst.

Menschen lassen sich jedoch nicht auf Zahlen reduzieren. Mindestens ebenso wichtig ist die Analyse des muskulären Zustands, insbesondere der Rumpfkraft und der Beweglichkeit. Mit verschiedenen Übungen kommt Knausz dem körperlichen Zustand des Kunden auf die Spur. Wieder ein wichtiges Puzzleteil, das am Ende das Gesamtbild ergibt.

„Ohne fundierte Kenntnisse in funktioneller Anatomnie ist keine professionelle Sitzpositionsanalyse möglich. Nicht nur die Beinmuskeln spielen beim Radfahren eine Rolle, sondern die Muskulatur des gesamten Körpers. Gerade Bewegungsbeschwerden beim Radfahren können vielfältige und komplexe Ursachen haben", erklärt Jürgen Knausz.

Der Sitzknochenabstand wird gemessen, um den passenden Sattel zu finden. Ein „Brennpunkt" bei vielen Bikern: „Doch der Abstand der Sitzknochen allein lässt noch nicht auf den idealen Sattel schließen, sondern es ist dabei auch der Sitzwinkel zu berücksichtigen", erklärt Knausz. Auch Serien-Griffe sind oft weit vom Optimum entfernt.

DIE FEINJUSTIERUNG
Ist ein Rad gefunden, eine (grundsätzlich) passende und auf die persönlichen Bedürfnisse abgestimmte Sitzposition einmal ermittelt und ist diese Sitz- und Lenkerposition mittels Kreuzlasers eingestellt, dann wird noch weiter feinabgestimmt. Zumindest beim Bikefitter Jürgen Knausz.

Das Bike kommt dabei etwa auf die Rolle und der Biker wird beim Pedalieren gefilmt. Dem idealen Kniewinkel wird so zum Beispiel nachgespürt. Passt der nicht, empfiehlt der Fitter eine andere Kurbel. Auch Fußfehlstellungen sind ein Thema, das überprüft wird, oder die Position der Pedalclips an den Schuhen.

Im Schnitt dauert ein Bikefitting beim Pölser Raddoktor 80 bis 100 Minuten – „aber die Zeit ist nicht wichtig, sondern das Ergebnis." Und dieses Ergebnis überzeugt 99 Prozent seiner Kunden: „Viele kommen auf Empfehlung erstmals zu mir – Mundpropaganda wirkt ganz stark. Was ich auch oft als positive Rückmeldung bekomme: dass Biker zuvor gar nicht wussten, wie gut sich ein Rad eigentlich anfühlen kann!"

Jürgen Knausz von Sport2000 Knausz in Pöls (St.)

Der Experte

JÜRGEN KNAUSZ ist Radhändler und Inhaber von „Sport2000 Knausz" in Pöls (St). Er führt rund 150 Bikefittings jährlich durch. Wichtig: Da ein Fitting Zeit in Anspruch nimmt (im Schnitt 80–100 Minuten), vorher einen ­Termin vereinbaren. Das Fitting ist beim Kauf eines Rads gratis, sonst kostet es € 90,–

Web: www.radsportknausz.at

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