Wattmessung statt Pulsmessung. Im Profi-Radsport ist wattbasiertes Training seit Langem üblich. Mit dem Fallen der Preise für die benötigte Technik steigt aber auch das Interesse der Hobbyradsportler an der Wattmessung. Wie sich mit wenig Zeitaufwand ein Mehr an Trainingseffekt erzielen lässt: Wir zeigen, was beim „Watttraining" Stand der Dinge ist.

Von Wolfgang Preß


Ein kleiner Blick in die Sportgeschichte: Vor annähernd 20 Jahren, im April 1997, gewann der Däne Bjarne Riis den Frühjahrsklassiker „Amstel Gold Race" in Holland. Er war der erste Sieger eines Profiradrennens, der mit einer ­Kurbel des deutschen ­Ingenieurs ­Ulrich Schoberer, genannt „SRM PowerMeter", unterwegs war. Und damit war er auch der erste, der auf eine ­neue, wissenschaftliche Methode setzte: auf die wattbasierte Leistungsmessung. Mit dieser Methode konnte Riis zu jeder Zeit im Rennen genau sagen, wie viel Kraft er auf die Pedale brachte.

Erinnern wir uns zum besseren Verständnis kurz an den Physik-Unterricht zurück: Watt ist die Einheit für die Leistung. Und diese definiert sich als „Energieumsatz pro Zeitspanne." So weit, so gut. Wie aber funktioniert diese Messung der fürs Vorankommen eingesetzten Energie nun genau bei einem Rad? Beim Treten registrieren spezielle Sensoren, genannt Dehnmessstreifen, je nach verwendetem System schon minimalste Verformungen in der Tretkurbel, in der Hinterradnabe oder in der Pedal­achse. So wird das Drehmoment gemessen, und zusammen mit der durch einen weiteren Sensor ermittelten Trittfrequenz wird die Leistung errechnet, die in Watt auf dem Display angezeigt wird.

Zuvor hatten Radsportler, um objektive Leistungsdaten zu erhalten, nur die Herzfrequenz als Basis. Diese unterliegt allerdings zahlreichen Einflussgrößen und ist kein wirklich verlässlicher Gradmesser für den „Output", da der Herzschlag stets nur verzögert auf Belastungen reagiert. Die Wattzahlen aus einem „Powermeter" zeigen dagegen eindeutig, was der Sportler in genau diesem Moment leistet: Fährt man einen Berg hoch, schnellen die Wattzahlen sofort nach oben, während die Herzfrequenz erst verzögert steigt. Der Puls unterliegt zudem vielen Einflüssen, die Verfälschungen verursachen können: Emotionen, Flüssigkeitsmangel, hohe Temperaturen oder auch die Ernährung.

Ein einfaches Beispiel aus der Praxis zeigt den Unterschied: Wenn man im Hochsommer bei 35 Grad den Home­trail entlang brettert, leistet das Herz Schwerstarbeit; die gleiche Strecke bei 15 Grad ist für das Herz weit weniger fordernd. Watt dagegen bleibt Watt – egal, ob es hagelt oder ob man gerade fünf Kaffee getrunken hat ...

IDEALES TRAININGSINSTRUMENT
„Das alles macht die Leistungsmessung zum idealen Trainingsinstrument", sagt Björn Geesmann, Leiter des Sport-Diagnose-Instituts „Staps" in Köln, wo sich unter anderem auch der Lienzer MTB-Marathon-Weltmeister Alban Lakata betreuen lässt. „Mit dieser Methode wird das Einhalten der Trainingsbereiche präziser, auch die möglichen Analysefunktionen mit einem Leistungsmesser werden um ein Vielfaches höher. Im Grunde wird Trainingssteuerung deutlich objektiver und somit auch qualitativ besser. Sowohl Intervall- als auch Grundlagentraining lassen sich exakter dosieren, unabhängig von externen Faktoren wie Wind, Streckenprofil oder Untergrund."

Alban Lakata selbst sieht als größten Vorteil, „dass die Wattleistung unbestechlich ist und mir immer zeigt, wie fit ich wirklich bin. Und zwar unabhängig von äußeren Einflüssen. Oder auch von meiner subjektiven Wahrnehmung. Manchmal fühle ich mich total mies beim Training – und stelle nachher fest, dass meine Werte sogar richtig gut waren."

DIE VORTEILE FÜR FREIZEITBIKER
Alles klar soweit. Was aber haben wir Freizeitbiker davon? Dazu gleich die gute Nachricht: Die Technologien zur Wattmessung werden immer besser, aber auch immer günstiger – und so wird wattbasiertes Training auch für leistungsorientierte Freizeitbiker zunehmend interessant. Für Rennradfahrer wie auch für Mountainbiker, etwa aus der Marathon-Szene. Und da der Winter die ideale Zeit ist, nach Optimierungspotenzial zu suchen und folglich auch, um neue Trainingsmethoden für sich in Betracht zu ziehen, passt diese Geschichte perfekt zur Jahreszeit.

„Dass Wattmessung im Freizeit­sport bisher nur eine kleine Rolle spielt, hat vor allem mit den Kosten zu tun", diese Überzeugung hört man oft. Rund 800 Euro aufwärts werden dafür heute noch fällig. Nicht wenig, aber bereits deutlich unter dem, was die Geräte vor wenigen Jahren noch kosteten. Und der Trend bei den Preisen zeigt weiter nach unten. Hobbyfahrer denken auch oft, dass sich bei ihren geringen Trainingsumfängen ein Wattmesser nicht lohnt – doch das ist ein Irrtum: Gerade, wer wenig Zeit ins Training investieren kann, sollte diese auch möglichst effizient nutzen.

Die Powermeter-Messtechnik ist inzwischen ausgereift und in unterschiedlichen Varianten verfügbar. Standard sind Tretkurbel-Systeme wie zum Beispiel das „Powermeter" von Stages Cycling, oder auch jenes der Sram-Tochterfirma Quarq. Beliebt, weil einfach zu nutzen, ist daneben auch die „Kraftmessnabe", etwa von Powertap: Der Hersteller bietet dafür fertige Laufradsätze an, die man an unterschiedlichen Rädern nutzen kann. Jüngste Entwicklungen sind ebenfalls einfach zu montierende, pedalbasierte Systeme, wie etwa die „Keo Power"-Reihe von Look, oder das Kettenblatt-basierte „C1"-System von Powertap, die beide ähnlich wie ein Kurbelsystem funktionieren.

WAS WATTWERTE AUSSAGEN
Wie trainiert man nun als Freizeitbiker effektiv mit einem Leistungsmesser? Wer sich damit auskennt, kann eine Vielzahl interessanter Kenndaten herauslesen, um danach sein Training auszurichten. Björn Geesmann: „Die sogenannten ‚Leertretzeiten', also Zeiten im Bereich geringer Leistung, die nicht wirklich als Training gelten, sollten auch am Mountainbike gering gehalten werden. Ein Gradmesser für eine qualitativ gut durchgeführte Einheit ist eine relative Zeit von maximal fünf Prozent unterhalb des GA1-Bereichs – außer natürlich bei Regenerations­einheiten."

Ein Vorteil der Leistungsmessung ist, schon im Training die Werte ermitteln zu können, die man später im Rennen braucht, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Und sie ermöglicht, in Leistungstests Maximal-Wattzahlen festzulegen, die den Sportler davor bewahren, frühzeitig zu „overpacen".

Seine ganze „Power" entfaltet der Leistungsmesser dann aber mit der Analyse der Trainingseinheit, weiß Sportwissenschafter Geesmann: „Die Leertretzeiten, das Einhalten der Trainingsbereiche, Intervallzeiten, Pausen etc. können exakt analysiert werden." Zudem sei das Verhältnis von Leistung zur Herzfrequenz, als Mischung aus objektivem Faktor (der Leistung) und subjektivem Faktor (der Herzfrequenz), ein wichtiger Indikator für die Qualität des Trainings. „Hinzu kommt dann noch die Möglichkeit, die erhaltenen Daten sauber auf einer Trainingsplattform oder im Trainingstagebuch ablegen zu können", erklärt Geesmann weiter. „So kann man nicht nur eine Analyse der einzelnen Einheit, sondern auch des Trainingsblocks, der Trainingswoche und des ganzen Trainingsjahres vornehmen."

MOUNTAINBIKER STEIGEN UM
Noch einmal zu den Profis: Im Rennradtraining ist die Leistungsmessung seit vielen Jahren verbreitet, nun wird sie aber auch bei Mountainbikern populär. Der größte Unterschied in der Trainingsgestaltung liegt in der Streckenbeschaffenheit, weiß Björn ­Geesmann, der viele Rennradler, aber eben auch Mountainbiker wie Alban Lakata betreut: „Auf der Straße lässt sich das Training gut standardisieren und man kann die Strecken passend zum Trainingsinhalt wählen. Diese Möglichkeit ist auf dem Mountainbike geringer. Umso wichtiger wird dann der Leistungsmesser, der mir die Möglichkeit gibt, meine Trainingsvorgaben auch auf unterschiedlichen Strecken und Untergründen etc. einzuhalten."

Grundsätzlich sei das Mountain­bike-Training etwas komplizierter, weiß Geesmann: „Leertretzeiten sind schwieriger zu vermeiden und das ­exakte Umsetzen der Trainingsinhalte ist weniger gut möglich. Der Leistungsmesser ist hier ein wichtiges Hilfsmittel, um die Qualität im Mountain­bike-Training einzuhalten."

VORTEIL AUCH BEI INTERVALLEN
Richtig interessant ist die Wattmessung auch beim Intervall-Training. Seit zwei, drei Jahren geht der Trend im Radtraining allgemein immer mehr in Richtung kurzer, intensiver Einheiten statt stundenlangem Grundlagentraining. Die Herzfrequenz ist gerade hier als Basis wenig geeignet: Wird ein zehnminütiges Intervall mit dem Pulsmesser gesteuert, fährt man anfangs zu schnell und wird gegen Ende immer langsamer. Das liegt an der Trägheit des Herzens: Der Muskel braucht Zeit, um auf Touren zu kommen. Anders gesagt: Wenn Intervalle mit einem Pulsmesser gesteuert werden, schwanken die Wattleistungen stark. Beim Watttraining dagegen bleiben sie konstant – und damit das Training effektiv.

Und wie weit sollte man sich auch in Wettkampf am Leistungsmesser ­orientieren? Björn Geesmann: „Das Powermeter sollte in Wettkämpfen ein Hilfsmittel sein – nicht mehr und nicht weniger. Auch in Mountainbike-Rennen zählen Technik, Taktik, die adäquate Versorgung mit Energie und etliches mehr. Aber bei längeren Bergaufpassagen kann der Leistungsmesser natürlich helfen, um nicht zu überpacen und sich die Kraft besser einzuteilen. Man sollte sich aber von dem Gerät nicht abhängig machen – oder gar einbremsen lassen."


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