Meditation und Askese etablieren sich zunehmend als Gegenbewegung in ­einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint. Die „Besinnung aufs ­Innere" liegt ­heute in vielen Varianten im Trend der westlichen Welt. ­Um diesem Trend aber einmal ganz nahe zu kommen, ist unsere Redakteurin Stefanie Rabenstein nach Osten gereist – nach Bangkok, und hat dort mit einem Meister der Meditationskunst gesprochen.

Von Stefanie Rabenstein


Bangkok ist anders. Die Taxis sind bunt, der Verkehr verrückt. Es ist laut, grell und hektisch. Aber Bangkok kann auch anders: Es ist sozusagen das „Mekka" des Buddhismus – mit unzähligen Tempeln und buddhistischen Klöstern. Einer dieser spirituellen Rückzugsorte ist der Wat Mahathat. 200 Mönche leben hier. Und auch einige weibliche buddhistische Nonnen.

Als wir die Anlage betreten, ist es, als würden wir von der Atmosphäre des Tempels aufgesaugt. Die weißen Gebäude und Tempel mit den orange-roten Ziegeldächern erstrahlen im Kontrast zum blauen Himmel.

Schilder weisen auf das klostereigene Meditationszentrum hin. Hier kann man sich auch als westlich Gestresster einmieten und das Meditieren praktizieren – ob für vier Stunden oder vier Jahre spielt dabei keine Rolle. Bezahlt wird nichts. Stattdessen wird gespendet, was man sich leisten kann.

Von Meditationswilligen mitzubringen sind lediglich weiße Kleidung (ein Inbegriff für Reinheit) sowie Seife, eine Zahnbürste, ein Kamm, ein Handtuch und ein Schlafsack.

FREUNDLICHER EMPFANG
Im Meditationszentrum werden wir von einem Mönch in Empfang genommen, der uns auffordert zu warten – auf den Mönch Phra Mahawattana. Er sei ein großer Lehrer und habe Zeit, ein Gespräch mit uns zu führen.

Nach wenigen Minuten steigt Phra Mahawattana die Stufen aus dem Untergeschoss herauf. Hinter ihm liegt eine Tür, durch die wir einen Blick auf mehrere, vor allem westliche Meditierende erhaschen können. Während wir in einen separaten Raum geführt werden, erklärt uns Phra Mahawattana, dass sich die Meditationsschüler während ihres Aufenthaltes an klare Regeln halten müssen: Mobiltelefone sind verboten, es darf nicht gesprochen werden (außer mit dem Meditationslehrer), und auch das Verlassen des Geländes ist nicht gestattet. „Nur so kommen die Menschen hier auch wirklich an", sagt er.

Der Raum, in dem wir unser Interview führen dürfen, umfängt uns mit goldenem Schimmer. Man bittet uns, auf dem tiefblauen Teppich Platz zu nehmen. Der Mönch setzt sich im Schneider- oder besser gesagt Lotussitz auf eine erhöhte Stufe. Hinter ihm glänzt eine goldene Buddha-Statue.

Phra Mahawattana sagt uns, er sei 47 Jahre alt. Schwer einzuschätzen, irgendwie wirkt der Mann wie alterslos. Seine Statur ist klein, die Körperglieder sind zierlich und doch kraftvoll. Seine Bewegungen und Gesten sind geschmeidig und überlegt. „Meditation hält jung", sagt er und lacht.

Sein Gesicht drückt ruhende Stärke aus. Die Fältchen um die Augen und ein Grübchen in der Wange ver­raten, dass er viel lächelt. Man glaubt fast wahrzunehmen, dass ihn eine stille aber kraftvolle Aura umgibt, aber wahrscheinlich – so meldet sich sofort die westliche Vernunft – ist das nur Einbildung. Oder der goldene Schein der Buddha-Statue im Hintergrund?

ACHT-STUNDEN-TAG
Seit sieben Jahren unterrichte er Meditationsschüler, sagt Phra Maha­wattana. Wir fragen ihn nach deren üblichem Tagesablauf. „Es wird ausschließlich um 6 und um 11 Uhr morgens gegessen – und zwar das, was die Gläubigen spenden. Am Nachmittag um 15 Uhr darf dann noch einmal getrunken werden. Man soll sich ja auf sich selbst konzentrieren und nicht auf das Essen", erklärt er und lächelt dabei friedlich.


„Der Rest des Tages besteht aus Meditation: von 7 bis 10 Uhr, von 13 bis 16 Uhr und noch einmal von 18 bis 20 Uhr. Für einen Meditationsanfänger ist das natürlich schwierig", sagt er und lacht von Neuem. Man müsse sich langsam an diese Zeiten herantasten. „Manche kommen, vielleicht auch deshalb, niemals wieder", erklärt er sanft. „Aber viele kommen immer wieder oder bleiben deutlich länger als geplant."

Dabei kämen immer mehr westliche, gestresste Menschen zu ihm. „Was all diese Menschen verbindet, ist die Suche nach dem inneren Frieden. Manche suchen sogar nach dem wahren Glück oder nach dem Sinn des ­Lebens", erklärt der Mönch. „Ich versuche, allen Sinnsuchenden zu erläutern, dass innere Ruhe und der innere Friede der Schlüssel zum Glück sind."

DER "AFFENGEIST"
Die meisten Menschen, die zu ihm kämen, hätten sehr viel Stress und würden sich vor allem danach sehnen, ihren „monkey mind" in den Griff zu bekommen. Dieser Begriff ist fester Bestandteil der buddhistischen Lehre und drückt aus, dass der Geist, also die Gedanken, sprunghaft, unruhig, launenhaft und unkontrollierbar sind. Mit diesem „Affengeist" lasse sich keine Ruhe finden, man stehe unter ständiger Anspannung und innerem Stress.

„Auch viele körperliche Symptome lassen sich auf einen unruhigen Geist zurückführen", sagt der Mönch. „Leicht nachvollziehbare Folgen sind Bluthochdruck, Verspannungen, Magen-Darm-Beschwerden, Schlaflosigkeit und dergleichen. Aber auch Depressionen, Entzündungen, Krebs und andere Krankheiten können vom monkey mind ausgelöst oder gefördert werden."

Körper und Geist seien zwar keinesfalls eins, klärt uns Phra Mahawattana auf, aber beide seien untrennbar miteinander verbunden. „Man muss sich den Geist und den Körper vorstellen wie Öl auf Wasser. Das lässt sich nicht einfach miteinander mischen, denn beides ist separiert voneinander. Und trotzdem ist es auch miteinander."

GLÜCK UND GESUNDHEIT
Die innere Ruhe ist laut Phra Mahawattana der Schlüssel zum Glück (Geist) und natürlich im Umkehrschluss auch zu mehr Gesundheit (Körper). „Die Meditation", sagt der Mönch, „ist ein wunderbares Werkzeug, um innere Ruhe zu finden. Durch diese Technik ist es möglich, sowohl körperlich als auch geistig völlig zu entspannen."

Die Meditationstechnik, die im Meditationszentrum des Wat Mahathat gelehrt wird, ist eine Mischung aus passiver und aktiver Meditation. Das heißt, dass sich Meditieren im stillen Sitzen und das Meditieren im Gehen abwechseln.

ÜBER DIE ATMUNG ZUR RUHE
„Entscheidend für eine gute Meditation ist besonders die Atemtechnik", sagt uns der Mönch. „Zu Beginn wird durch einige Minuten tiefe Bauchatmung das Gehirn mit Sauerstoff versorgt." Wichtig sei besonders das vollständige Ausatmen. „Hier zeigt sich wieder die untrennbare Verbindung von Geist und Körper. Denn alles, was in den Geist hineinströmt, sollte auch wieder hinausströmen – sonst belastet es uns. Ebenso ist es mit dem Atem. Das Ausatmen hilft uns, auch geistig leichter loszulassen", so Phra Mahawattana.

Nach der intensiven Bauchatmung wird die Atmung langsamer, ruhig und gleichmäßig. „Während der Meditation geht es insbesondere darum, sich von allem Äußeren zu befreien und sich auf das Innere zu konzentrieren", führt der Mönch weiter aus. „Das Ziel ist, den Geist zu beruhigen, ohne ihn unter Zwang zu fixieren. Denn ein monkey mind lässt sich nur mit Achtsamkeit einfangen."

Natürlich meldet sich bei vielen Anfängern auch der Körper während der Meditation, denn das lange stille Sitzen ist man nicht gewohnt. „Wenn der Körper von Muskelkrämpfen oder Zittern befallen wird", rät der Mönch, „versucht man diese zu kontrollieren und die Energie nach innen zu lenken."

Zugegeben, das klingt ganz schön theoretisch und schwierig, bestätigt auch Phra Mahawattana: „Meditation erfordert Übung. Besonders am Anfang wird der Geist immer wieder abschweifen und herumwandern. Dann holt man ihn sanft aber bestimmt wieder zurück. Und auch die sanfte Kontrolle über den Körper wird immer einfacher."

„Nach einiger Zeit", so sagt er, „kommt man dann in einen Zustand tiefer Entspannung, der Herzschlag wird verlangsamt, die Atmung vertieft, Muskelspannungen werden reduziert. Und der Geist beruhigt sich. So begibt man sich auf den Weg zur inneren Ruhe."

EINE LEBENSAUFGABE
Und für alle, die sich nun fragen, was Phra Mahawattan abschließend zum Sinn des Lebens gesagt hat – hier seine Regeln: „Im Leben geht es niemals darum, die menschliche Natur zu ändern. Vielmehr sollte man das Leben nutzen, um über sich, andere Menschen und die Welt zu lernen und achtsam zu sein. Von allen Extremen ist Abschied zu nehmen: Ärger, Wut, Ängste oder negative Erlebnisse in der Vergangenheit sollten niemals die Oberhand gewinnen und man sollte nie an ihnen haften bleiben. Ziel ist es, einen nicht wertenden Zustand im Hier und Jetzt zu erreichen. Aber die wichtigste Lebensaufgabe eines jeden Menschen ist es, inneren Frieden zu finden: Denn innere Ruhe – das ist der Schlüssel zum Glück."


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