Sonja Burger

Wer bei der Einstiegsstelle zum „HTL Steig" bei der Hohen Wand in Niederösterreich derzeit nach dem Drahtseil sucht, wird nicht mehr fündig. Der Klettersteig ist nämlich bis auf Weiteres gesperrt. Denn sowohl Sicherungsseile als auch die Verankerungen sind schwer beschädigt. Und das, obwohl er erst letzten Juni generalsaniert wurde.

Die Schäden rühren von zahlreichen Unfällen und Stürzen: Obwohl der Klettersteig als schwierig klassifiziert ist, einige teils sehr anspruchsvolle Schlüsselstellen aufweist, begehen ihn auch Unerfahrene und wenig Geübte. Schließlich liegt das Klettersteiggehen voll im Trend. Während aber Geübte für den HTL Steig rund zwei Stunden brauchen, kann sich die Dauer für Unerfahrene verdoppeln. Mit der Konsequenz, dass die Anforderungen in puncto Kraft, Ausdauer und Kondition die eigenen Möglichkeiten übersteigen.

EQUIPMENT IST NICHT ALLES
„Wir von der Bergrettung erleben häufig, dass Klettersteiggeher gerade am HTL Steig konditionell über ihre Grenzen kommen. Im Sommer ist die Hitze eine zusätzliche Belastung. Mehrmals im Jahr rücken wir aus, auch um Unverletzte, die weder vor noch zurück können, zu bergen", erzählt Martin Gurdet, Bundesgeschäftsführer des Österreichischen Bergrettungsdienstes und Landeseinsatzleiter für Niederösterreich und Wien.

Wie kommt es aber, dass sich offenbar viele mit Sicherheit am Klettersteig zu wenig auseinandersetzen? Ein Grund wurde schon genannt: Deutlich mehr Sportler als in früheren Zeiten entdecken den Sport. Nachfrage und Angebot bedingen einander, sodass auch die Zahl der Klettersteige steigt. Hochwertige Ausrüstung wird von mehr Herstellern zu leistbaren Preisen angeboten. Nicht zuletzt sind Toureninfos vielfach online zugänglich.

Kenntnisse in punkto Tourenplanung und die nötige Praxis geraten da bei manchen ein wenig ins Hintertreffen. „Neben der technischen Ausrüstung dürfen die Fähigkeit, sie korrekt zu benutzen, eine gute Selbsteinschätzung sowie physische und psychische Fähigkeiten nicht auf der Strecke bleiben", betont Gurdet. Besondere Vorsicht sei bei Erfahrungsberichten aus dem Internet geboten. Man kenne die Person nicht und wisse weder, wie erfahren sie ist, noch ob sie zur Selbstdarstellung neige. So kann etwa derselbe Klettersteig von extrem schwierig bis extrem einfach beschrieben werden.

AUF NUMMER SICHER MIT PLAN B
Nur, weil die Ausrüstung top ist, heißt das noch lange nicht, dass man auch sicher unterwegs ist. Sicherheit am Klettersteig ist vielschichtig: Dazu gehören Basics wie eine sorgfältige Planung, Tourenvorbereitung, Ausbildung und Sicherheit bei der Anwendung. Was viele außer Acht lassen: Kann ich auf Unvorhergesehenes reagieren? Habe ich einen Plan B, wenn ich selbst oder jemand aus der Gruppe ein Problem bekommt?

„Mit einem kleinen Flaschenzug kann man sich über eine schwierige Stelle helfen und sich an geeigneter Stelle abseilen. Wer die Technik beherrscht, ist nicht gleich auf Hilfe von Dritten angewiesen", weiß der Niederösterreicher. Das Fehlen eines Plan B für den Notfall ist eine der häufigsten Fehlerquellen. Gerade am Berg sind Technik und Wissen allein aber nicht genug.

Soft Skills sind mindestens ebenso wichtig, um Notsituationen vermeiden bzw. entschärfen zu können: auf sich selbst und andere zu achten; einander von Anfang an zu ermutigen, was den eigenen Gefühls- und Könnenszustand betrifft, ehrlich zu sein. Manchmal ist es besser, die Tour doch nicht anzutreten oder sie über einen Notausstieg abzubrechen, als aus Gruppenzwang und falschem Ehrgeiz ein Unglück herauszufordern.

DAMIT JEDER HANDGRIFF SITZT
Am Beispiel HTL Steig: Schon zwischen Einstiegsüberhang mit Schwierigkeitsgrad D/E und „Dreieck" weist die Tourenbeschreibung ausdrücklich auf sehr glatte Stellen hin. Klettersteige wie dieser sind nur für Geübte und Alpinkletterer geeignet. Auf dieses Level kommt man nur mit Geduld und viel Übung. Langsames Herantasten lautet der Königsweg. Heißt: Nur, weil man einmalig einen C-Klettersteig bewältigt hat, heißt das nicht, dass man diese Kategorie damit abhaken und zu D aufsteigen kann.

Bei Klettersteigen steigert man kontinuierlich und langsam beides: Länge und Schwierigkeitsgrad. Ein Sturz im Klettersteig ist schließlich immer gefährlich und die Situation, weder vor noch zurück zu können, ist eine mentale Belastung. Bei einem Kurs bei alpinen Vereinen oder mit einem Bergführer lernt man, auch mit solchen Situationen umzugehen. Geht es mal wirklich nicht mehr weiter, ist die Berg­rettung zur Stelle – aber: „Jeder Einsatz ist auch für uns eine Herausforderung und birgt ein Restrisiko. Das Vermeiden von Unfällen ist daher immer zu favorisieren", mahnt der erfahrene Bergretter.

Ing. Martin Gurdet, MSc
Ing. Martin Gurdet, MSc
ist 42 Jahre alt und seit 1998 Berg­retter in der Ortsstelle Grünbach am Schneeberg. Er war Ortsstellen Einsatz-, als auch Ausbildungsleiter, bevor er Landeseinsatzleiter und zuletzt Bundesgeschäftsführer wurde.