Olympia, Odysseus und die 12 Tiroler. Toni Innauer übers Langlaufen und wie er der Gesellschaft zu mehr Bewegung verhelfen möchte. Und warum er den Vorarlberger Rekord im Stabhochsprung doch nicht gebrochen hat.

Klaus Molidor
Klaus Molidor

Langlaufen ist ja eine von vielen Sportarten, die Ihnen Spaß machen. Was reizt Sie daran?
Auf alle Fälle das Meditative. Meistens laufe ich so mein Stündl im niedrigen Pulsbereich. Aber natürlich taugt mir auch das technisch saubere Skaten. Es ist wie beim Gitarrespielen. Je besser man etwas kann, desto größer wird die Funktionslust. 

Also mehr Skating statt Klassik.
Ja. Die klassische Bewegung ist zwar schön und harmonisch, aber wenn du es kannst, bist beim Skaten schneller. Ich bin da ein Optimierer (lacht). 

Wie passt das mit dem Meditativen zusammen?
Ich will nur die Effizienz steigern. Ich laufe ja deswegen nicht schnell. Halbwegs gemütlich, mit einer guten Technik. Als ich mit dem Skaten angefangen hab, war das anders. Da bin ich gleich einmal den Steiralauf in Bad Mitterndorf gelaufen, den 20-Kilometer-Bewerb. Damals hab ich nicht einmal Skatingski gehabt, sondern bin mit den Klassikski gelaufen und den flachen, weichen Schuhen.

Die Sprunggelenke werden sich ­bedankt haben.
Und wie. Ich hab eine Woche nicht gscheit gehen können. Aber eine Gaudi war’s.

Sie haben’s ja überhaupt mit den komplexen Sportarten: Skispringen, Golf, Langlaufen. War Ihnen die ­körperliche Herausforderung alleine immer zu wenig?
Mich hat immer die Raffinesse im Motorischen gereizt. Meine Frau sagt immer, dass ich der perfekte Mittelstreckenläufer gewesen wäre, weil ich dank meiner schnellen Muskelfasern ein hohes Grundtempo gehabt hab und das Ausdauertraining bei mir auch gut angeschlagen hat, ohne dass ich langsamer geworden bin. Vielleicht wäre das dann so gewesen wie bei dem verrückten Slowenen Primoz Roglic, der nur sieben Jahre nach seiner Springerkarriere fast die Tour de France gewonnen hätte. Aber nur rennen – das war mir zu fad. Aber mir hat immer das motorische Lernen getaugt. Zu schauen, finde ich eine Lösung, die noch besser funktioniert.

Fehlt eigentlich nur noch Stabhochsprung, was die Komplexität angeht.
Und das hätte ich auch gemacht, da hab ich mich verletzt. Ich hab in Graz Sport studiert und wir hatten ganz kurz Stabhochsprung. Der Dr. Harald Regensburger, ein ehemaliger Kärntner Zehnkämpfer, hat mir den Stabhochsprung ein bissl gezeigt. Ich war ein sehr schneller Sprinter, ich hab gut hupfen können, logisch, und war ein wirklich guter Turner. Ich hab das gleich gehabt und bin gleich einmal über drei Meter irgendwie rübergewurschtelt. Der Vorarlberger Rekord war damals um die 3,60 Meter. Der Regensburger hat dann gesagt, wenn wir ein Jahr trainieren, packst du den. Des is a Gaudi, das probieren wir, hab ich gesagt. Bei der dritten Einheit sagt er dann, ich soll nicht mit Spikes anrennen, weil wenn ich mir beim Runterfallen mit den Spikes draufsteig, tu ich mir weh. Das war genau der Blödsinn. Beim zweiten Mal anlaufen bin ich mit den normalen Turnschuhen ausgerutscht und hab mir so einen Muskelfaserriss hinten im Oberschenkel zugezogen, dass ich monatelang nix tun konnte. Das war’s dann mit dem Stabhochsprung. 

War’s das heuer auch mit dem ­Wintersport?
Ich sehe irgendwie noch eine Chance auf einen Wintertourismus, auf einem niedrigeren Niveau natürlich. Vielleicht lässt man ein bisschen mehr Eigeninitiativen zu. Es gibt ja Regionen, die viel mehr tun, als vorgeschrieben ist, und damit Sicherheiten bieten, die es anderswo nicht gibt, weil sie eben den Aufwand betreiben wollen. Klingt dann natürlich alles noch exklusiver. Für weniger Leute mit noch mehr Aufwand. Logischerweise wird das Tourengehen stark werden, vielleicht werden die Leute mit Fatbikes im Schnee fahren, vielleicht wird der eine oder andere Lift auch gar nicht aufsperren. Wenn keine Leute kommen, wenn es keine Einreisen gibt, dann wird man vielleicht auf den tollsten Pisten – ob sie dann hergerichtet werden, weiß ich nicht – Skitouren gehen, das ist leicht möglich. Langlaufen ist sicher ein wunderbares Thema, die Eisschwimmer werden aufblühen (lacht).

Lernen wir als Gesellschaft etwas aus der Pandemie?
Kurzfristig hat es so ausgeschaut. Lernen tust du aber nur das, was du auch automatisierst. Solange der Faktor nicht lang genug dauert und du ihn nicht einübst – das ist ja dasselbe wie bei einer Sporttechnik –, dann bist du automatisch wieder in der alten Gewohnheit. Es zieht dich zurück in die alte Gewohnheit. Man hat ja im Sommer gesehen, wie schnell das geht. Vielleicht sind wir Skispringer da ein bisschen anders, weil wir nicht durch Gewohnheit lernen konnten. Zwischen einem Sprung und dem nächsten waren im Training ja immer 15 Minuten. Als es keinen Lift gab, mussten wir den Weg zur Schanze hinauf gehen. Drum hast du nie diesen Automatisierungsfaktor. Du musst dir immer das, was du erlebt hast, besser merken als in anderen Sportarten, weil es so lange im Kopf warm bleiben muss, bis du wieder daran anknüpfen kannst. 

Welche Auswirkungen wird es in ­ihrem persönlichen Winter geben?
Privat werde ich sicher langlaufen und die eine oder andere Skitour gehen. Beruflich werde ich die ersten Skisprungbewerbe als Co-Kommentator des ZDF aus dem Studio in Wiesbaden kommentieren. Bei der Tournee wissen wir das noch nicht. Es kann auch sein, dass die Skiflug-WM in Planica vor der Vierschanzentournee stattfindet. Das wäre ein Wahnsinn, so früh, mit so wenig Schneesprüngen in den Beinen. Stell dir vor, das wäre, wie wenn die Streif plötzlich gleich nach Sölden wäre. Das wäre starker Tobak, eine richtige Herausforderung. Spannend wird auch der Präsidentenwechsel sowohl beim internationalen als auch beim österreichischen Skiverband.

Werden Sie dann ÖSV-Präsident?
Haha, nein, für mich ändert sich da nix, ich bin nur interessierter Beobachter in dieser interessanten Situation. 

Wie sind Sie bisher durch die Corona-Krise gekommen?
Blendend. Das ist aber eine Typsache und eine Altersfrage. Ich hab schon viel schrecklichere Dinge erlebt. Am Anfang sind viele Dinge, die mich am modernen, schnellen Dezibel-Leben stören, weggefallen und das war für mich richtig schön. Ein Rückgang des Lärms, der uns schon gar nicht mehr bewusst ist. Das war für mich ein Segen. Und dann hat sich das ganze Tempo der Leute ein ­bisschen verlangsamt. Man hat gemerkt, man kann eh nichts erzwingen, man hat Zeit. Ich hab Dutzende Termine abgesagt. Das war eine eigene Erfahrung. Aber so wie früher, wenn es geheißen hat, du, jetzt ist einmal fünf Tage unerwartet keine Schule. Ich hab nie Angst gehabt, dass mir fad wird. Hängt auch damit zusammen, dass ich gerne noch viele Dinge tu und bewege und interessante Projekte verfolge wie das Buch „Die 12 Tiroler“ jetzt. Ich lasse mich aber nicht mehr gerne hetzen. Aber ich bin auch von meiner Natur her eher ein introvertierter Typ und kann – meine Frau wird das zu ihrem Leidwesen bestätigen – sehr, sehr gut mit mir allein umgehen. Da kommt der Bergler durch. 

Aber nur Rennen - das war mir zu fad. Mir hat immer das motorische Lernen getaugt. 

Toni Innauer

In dem Buch geht es darum, von den Tieren Bewegungen zu lernen. Verschiedene Übungen zur Beweglichkeit werden anhand von 12 Tieren des Alpenraums illustriert. Wie kam es dazu?
Ich habe mir den Begriff der „12 Tiroler“ schon vor vier, fünf Jahren schützen lassen. In wenigen Seiten steckt vieles komprimiert von meiner Bewegungswelt und meiner Erfahrung des Lebens drinnen und das ist nicht wenig. Dafür geniere ich mich wirklich nicht. So viel, wie ich mich mit Bewegung beschäftigt hab, mit unterschiedlichsten Zugängen – da gibt’s nicht viele. In dem Buch soll der Succus der Erfahrung drinnen sein, in eine letztlich witzige Übungsform gebracht, die man sich auch merken kann.

Woher kommt dieser selbstlose ­Antrieb sich in den Dienst der ­Volksgesundheit zu stellen?
Es ist eine Verwirklichung des Projekts, weil ich weiß, dass das eine gute Sache ist. Da ist einmal zunächst auch diese Lust das Projekt, das ich für eine gute Idee halte, anzupacken und fertig zu machen und dann ein Buch zu haben. Es würde mich brutal freuen, wenn es was bewirkt. Aber ich weiß, dass man so was nicht erzwingen kann. Es geht nur, wenn der Funke springt. Ich kann nicht jeden anzünden mit der Fackel. Der Funke muss springen bei Leuten, die etwas drüber hören.

Und durch den Vergleich mit den ­Tieren wird es plastischer, als wenn man sagt: Hüftbeuger dehnen oder Halswirbelsäule mobilisieren.
Man kann eben auch einmal einen einfacheren Zugang finden. Patrick Koller, mit dem ich das Buch zusammen geschrieben habe, hat mir gesagt, dass „animal movements“ gerade ein absolut internationaler Trend sind. Hab ich gar nicht gewusst, als ich ihm das mit den 12 Tirolern gesagt habe. Du bist im Megatrend hat er gesagt, von Amerika bis Australien sind animal movements in, dieses gefühlsmäßige Sich-Reinversetzen, einmal der Rothirsch sein und der Steinadler und alle Sinne miteinbeziehen und sich nicht so sehr auf die genaue, totale Durchführung konzentrieren. Die ist schon auch gut und wir schauen, dass sich keiner verletzt dabei. Aber dass auch der Zugang möglich ist: Ich bin jetzt halt einfach einmal kurz Viech. 

Beim letzten Mal haben wir davon gesprochen, dass die Kinder die Bewegung immer mehr verlernen oder gar nicht mehr erlernen. Durch den Lockdown hatten die Leute jetzt mehr Zeit, sind mehr rausgegangen. Könnte sich der Lockdown also positiv auf die Bewegung ausgewirkt haben? 
Bei vielen schon, aber die machen es eh schon. Die, die es aber dringend brauchen würden, die zu erreichen, das ist das Schwierige. Da gibt es den wunderschönen Spruch aus dem Film „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“, der lautet: „Genau denen, die es brauchen, denen ist so schwer zu helfen.“ Wenn du es einmal übersiehst, wenn du ein bissl zu schwer wirst, wenn die Koordination nicht gut ist, wenn man sich schon ein bissl geniert, wie man sich anstellt, dann wird’s eben schwer, das hinzukriegen.

Wenn du es einmal übersiehst, ein bissl zu schwer wirst, dich ein bissl genierst, wie du dich anstellst, dann wird´s schwer.

Toni Innauer

Also hat es Corona vielleicht sogar schlechter gemacht, weil das Thema in der Öffentlichkeit vom Tisch ist.
Ja, vielleicht ist es schlechter geworden. Das ist etwas, das mich beschäftigt. Wie ist das mit Kindern, mit Erwachsenen, mit Älteren, denen des so schwerfällt. Wo diese Starterkraft unterentwickelt oder untertrainiert ist. Wie kommst du dahin, dass der innere Schweinehund nicht so stark ist. Das ist eine echte Herausforderung. Es ist ja eine alte Leier, dass wir uns zu wenig bewegen. Früher waren es nur die Erwachsenen, jetzt beginnt es, die Kinder zu erfassen. Weil jetzt gibt es diese wunderbaren Werkzeuge, die uns das Arbeiten von überall aus so erleichtern, die andererseits aber ein Suchtverhalten und einen Sog entwickeln für die, die sich schwertun, dieses Minimum an Bewegung zu machen, das der genetische Code bräuchte. Da sind wir in einer definitiv neuen Situation, die das Problem dermaßen verschärft und mit allen Mitteln lockt. Wie der Odysseus, der an den Sirenen vorbeigefahren ist und gesagt hat, ich möchte es hören, aber bindet mich an, damit ich nicht in Versuchung komme, und ihr Matrosen, stöpselt euch die Ohren zu, dann schaff ich das. Und heutzutage ist es bei manchen Kindern so. Die schaffen es nicht, daran vorbeizukommen. Ich als Erwachsener schau, dass ich das hinkrieg für mich. Das ist die ganz große Herausforderung und drum habe ich dieses Buch geschrieben. Ich weiß ja auch nicht, ob das funktioniert, aber es ist einmal eine etwas anders aufgesetzte Art, die viel leichter zugänglich ist. Es müssen die Leute auch was draus machen. Seien das Kindergartenpädagoginnen, Volkschullehrerinnen, Eltern, Manager oder Pfleger im Seniorenheim.

Das bringt uns zum Ende wieder zum Langlaufen, das ein sehr rhythmischer Sport ist, zurück. Welches ist denn Ihre Lieblingsstrecke?
Die nähest liegende, wo ich möglichst wenig mit dem Auto fahren muss. Das wäre dann die Loipe im Gnadenwald hinter Absam. Da fahr ich genau sechs Minuten hin. Die geht halt aber nicht immer. Sonst bin ich natürlich in Seefeld, das ist klar, die haben sehr schöne Loipen. Das beste Erlebnis hatte ich aber 1994 bei den Olympischen Spielen in Lillehammer. Ich war damals Sportdirektor bei den Nordischen und bin am Abend vor dem 50-Kilometer-Bewerb mit Gerhard Thaler, dem Rennchef von Fischer, auf der Strecke im klassischen Stil gelaufen. Der Gerhard hat gedacht, jetzt führt er einmal den Skispringer vor. Ich hab damals aber gerade die Langlauftrainerausbildung gemacht und war sehr gut drauf. Nach einem Kilometer hat er das gemerkt und wir sind das gemeinsam gelaufen. Da waren, glaub ich, 20.000 Leute. Das war wie ein Rennen. Überall sind sie gesessen bei den Lagerfeuern und haben uns angefeuert. Die Strecke war hell von den Feuern und es war eine traumhafte Strecke. Vor allem hab ich so was ja nie erlebt, dass ich kilometerweit durch Leute laufe und nach jedem Hügel war wieder ein Zeltdorf. Unglaublich.

Die 12 Tiroler


 

Die 12 Tiroler
lautet der Titel des neuen Buchs von Toni Innauer, das er gemeinsam mit Sportwissenschafter Patrick Koller vom Sportresort Hohe Salve geschrieben hat. Die Übungen zur Beweglichkeit sind von 12 Tieren des Alpenraums inspiriert.
Erhältlich unter: www.csv.at , www.toni-innauer.at