Während viele in den geheizten eigenen vier Wänden via Smarttrainer durch virtuelle Realitäten pedalieren, wartet vor der Haustür eine ganz eigene Radwelt. Warum diese entdeckenswert ist – und worauf man achten muss, wenn man „trotzdem“ draußen fährt.
Vorweg: Wir wollen hier kein „Entweder-oder-Spiel“ entfachen. Indoor-Cycling hat seinen verdienten Platz – immerhin gibt es eigene Weltmeisterschaften, Profiteams betreiben Talentescouting und für Hobbyfahrer bieten sich zeitunabhängige, kurzweilige Trainingsmöglichkeiten. Das „echte“ Radfahren wird aber immer im Freien stattfinden und macht auch, oder besonders, im Winter mächtig Spaß. Vorausgesetzt, man beachtet ein paar Dinge.
Die richtige Bekleidung
Einer der mit Sport im Winter am häufigsten assoziierten Begriffe kommt aus dem Altgriechischen: „Thermo“. Im Bekleidungssektor meint man damit, dass die Kleidung wärmt und gleichzeitig Feuchtigkeit vom Körper wegleitet. Wärmeisolierung, Feuchtigkeitstransport, Temperaturregulierung, Tragekomfort und Wetterschutz gelten als wichtigste Funktionen.
„Wir neigen dazu, uns bei Kälte gut einzupacken“, sagt Petra Mühlböck von Paul Lange Austria und spricht damit vielen Menschen aus der Seele. „Aber: Wenn einem beim Wegfahren etwas zu kühl ist, ist man meist richtig angezogen.“ Martin Vetter von Dowe Sportswear fügt hinzu: „So kommt man nicht schon beim Warmfahren oder am ersten Hügel ins Schwitzen. Diese Nässe bleibt nämlich sonst an der Haut und ist der Grund, warum man danach krank wird.“
Was also anziehen? Das altbekannte Zwiebelprinzip beginnt mit einem guten Baselayer, wobei hier schon häufig Fehler gemacht werden, wenn ein und dasselbe Teil für alle Outdooraktivitäten verwendet wird. „Was für die Skipiste passt, funktioniert aber nicht fürs winterliche Radeln. Ich verhalte und bewege mich einfach anders“, weiß Vetter aus eigener Erfahrung. Fürs Biken in der kalten Jahreszeit plädiert er daher für ein Unterhemd, das sowohl wärmt als auch kühlt – also auch im Sommer getragen werden kann. Darüber folgt ein (Langarm-)Trikot und als Oberschicht eine atmungsaktive Jacke mit winddichten Zonen und Membrantechnologie. Weniger ist oft mehr: „Lieber zwei oder drei gut funktionierende Schichten als vier, die nicht zusammenspielen. Null Grad Außentemperatur sind durch den Fahrtwind minus fünf bis minus acht beim Radfahren“, gibt Vetter zu bedenken und stellt klar: „Ein perfekt abgestimmtes Layering ist keine Modeerscheinung – sondern die Basis!“
So weit, so oben. Anders als der Oberkörper sind die Beine zwar immer in Bewegung, dennoch empfiehlt sich auch hier ein zweiteiliges System bestehend aus einer langen (Thermo-)Radhose und einer zusätzlichen kurzen Radhose darunter oder darüber. So bleibt die sensible Körpermitte warm.
Ein wichtiger Punkt bei der Bekleidung betrifft noch die Sichtbarkeit. Vor allem passiv, also das Gesehenwerden. Mühlböck appelliert: „Habt Mut bei der Farbwahl. Vor allem bei der Oberbekleidung setzt man besser auf helle, gut sichtbare Farben wie Gelb oder Orange statt auf Schwarz oder Grau. Ganz unten beugen Ski- oder Thermosocken (über der Hose getragen), gut abschließende Thermoüberschuhe oder eigene Winterradschuhe kalten Zehen vor.
Null Grad Außentemperatur sind durch den Fahrtwind minus fünf bis minus acht beim Radfahren.
Körper und Bekleidung richtig pflegen
Anders als im Sommer, wo man sich lässig zwischendurch oder nach der Ausfahrt noch ins Kaffeehaus setzt, gilt im Winter: a) durchfahren und b) raus aus den Klamotten, sobald man wieder zu Hause ist. Nur wenn der fließende Schweiß durch den Windzug ständig abgeleitet wird, funktioniert das Kleidungssystem. Fehlt die Bewegung, saugt sich der Stoff voll und es wird kalt und nass. Heißt: hohes Risiko, krank zu werden. Also gilt: Ausklicken, ausziehen, duschen.
Petra Mühlböck und Martin Vetter raten: „Bei der Bekleidung kann man ruhigen Gewissens auch mal investieren: Gute Qualität hält erstens länger und langlebige, funktionale Produkte wechselt man zweitens nicht so oft. Vorausgesetzt, man pflegt sie richtig.“ Regelmäßige Pflege bewahrt die Qualität und die technische Funktion der Bekleidung. Körpernahe Bekleidung sollte nach jedem Tragen gewaschen werden, denn auch im Winter schwitzt man und verschmutzte Fasern arbeiten weniger effektiv als saubere. Die Oberbekleidung ab und an zu imprägnieren, lohnt sich – auch, um die darunterliegende Membran vor Schmutzwasser zu schützen.
Vielseitiger Trainingseffekt – und ein Gefühl, das man nicht kaufen kann
Trainingstechnisch betrachtet wird schnell klar, wie sehr eine Radausfahrt im Winter über die Förderung und Forderung von Körper und Geist hinausgeht. Die Tour wird zu einem besonderen Abenteuer: Lichtverhältnisse und Farben sind anders und man hat eine andere, gefühlt sauberere Luft zum Atmen. Es regnet mehr und in dieser feuchteren Luft ist man weniger anfällig für Viren oder Bakterien als indoor. Wer sich’s einrichten kann: Im Winter ab und zu die Mittagspause zu verlängern und im Hellen zu fahren, hilft gegen den Lichtentzug.
Das Gefühl danach ist etwas, das man nicht kaufen kann: Ein heißer Kakao, die warme Dusche oder sogar Sauna liefern Endorphine. Der mentale Boost ist nicht zu unterschätzen. Auch fühlt sich die erste Rennradausfahrt im Frühjahr, nachdem man monatelang auf breiteren, langsameren Reifen unterwegs war, wie in einem Ferrari an.
Trainingsphysiologisch betrachtet dominiert im Winter klar die Grundlagenausdauer. Ob der kalten Temperaturen werden die Runden häufig wie von selbst mit ohnedies empfehlenswerter höherer Trittfrequenz absolviert. Trainingsbücher von früher sprachen überhaupt noch von starrer Übersetzung, wenn man im Winter fuhr.
Es ist übrigens normal, wenn man für dieselbe Runde im Winter 15 bis 20 Prozent länger braucht. Auch das eine oder andere Intervall kann man einbauen – doch dass der Körper bei kaltem Wetter ohnehin schon mehr arbeiten muss, sollte man dabei berücksichtigen. Tipp: Eine gute Thermoradflasche mitnehmen und immer wieder einen Schluck vom warmen Tee nehmen.
Jede winterliche Ausfahrt bedeutet zudem gleichzeitig auch ein kleines Techniktraining inklusive Koordinations- und Gleichgewichtsübung. Das sommerliche Bikehandling in der Gruppe oder bei kurvigen Abfahrten profitiert also – ein praktischer Sicherheitsgewinn.
Essentials für die Winterausfahrt
- Winterradschuhe oder (Thermo-)Überschuhe für warme Füße
- Thermohandschuhe (keine Fäustlinge), die gut isolieren, für ein gutes Greifgefühl zum Bremsen und rutschfesten Halt am Lenker sorgen
- Spezielle Helmunterziehmützen schützen die Ohren. Stirnbänder sind zu wenig.
- Ein Buff/Schlauchtuch verhindert Zugluft im Halsbereich und dient optional als Kälteschutz im Gesicht
Die Materialfrage
Apropos Sicherheit: Hinsichtlich Material eignen sich Gravel- oder Mountainbike ideal fürs Winterradeln draußen. Die breiteren Reifen für guten Grip auf winterlichem Untergrund braucht es unbedingt – als Add-on für die kalte Jahreszeit empfehlen sich noch die Montage eines Kotflügels und eine gute Beleuchtung. Sie ist doppelt wichtig, zumal andere Verkehrsteilnehmer im Winter weniger mit Radfahrern rechnen. Ein gut sichtbares und aktives (blinkendes) rotes Rücklicht sowie auch ein Tagfahrlicht für den Gegenverkehr geben Sicherheit und sind praktikabel. Auch eine zusätzliche Helmbeleuchtung zur besseren Ausleuchtung der Fahrbahn ist sinnvoll. Die Pflege des Rads unterscheidet sich vom Sommer nur dadurch, dass sie häufiger stattfinden sollte, um Streusalz und Co. möglichst bald loszuwerden.
Sportives Radfahren im Freien muss also im Winter keineswegs pausieren. Klimatisch gesehen haben es die letzten Winter nahezu österreichweit zugelassen, regelmäßig unterwegs zu sein. Auf eine spezielle Herausforderung in Sachen Winterradeln wollen wir noch hinweisen: „Festive 500“, die von Strava und Rapha ausgerufene Challenge. 500 Kilometer zwischen 24. und 31. Dezember zurückgelegt werden, die echte Version fährt man – erraten – outdoor. Acht Tage sind dafür Zeit, bei wenig Tageslicht zwischen vielen familiären Terminen und noch mehr Keksen. Bei Letzteren darf und soll dann aber auch ordentlich zugegriffen werden.

















