Der in Tirol lebende kanadische Radfahrer Jack Burke machte mit seinen Erfolgen ordentlich von sich reden, vor allem mit seinem Sieg beim Ötztaler Radmarathon. Und das trotz schwerer Rückschläge in der Zeit davor.
Die Geschichte von Jack Burke ist wie die vieler anderer von Höhen und Tiefen geprägt. Doch was macht seine so besonders, dass man darüber schreiben und lesen sollte? Sind es seine scheinbar grenzenlose Leidenschaft für den Sport – hier im besonderen das Radfahren und Skibergsteigen –, seine Steh-auf-Mentalität oder seine Erfolge 2024 wie die Siege bei Österreichs härtesten Langdistanzen am Rennrad, dem Ötztaler und Kitzbüheler Radmarathon, innerhalb einer Woche? Oder ist es die Beanspruchung der legendären KOM-Segmente („King of the Mountain“) Stelvio/Stilfser Joch, Alpe d’Huez und Mortirolo auf Strava? Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus allem sowie die Tatsache, dass der im Stubaital wohnende Kanadier – der lange Profi war und jetzt als kompetitiver Amateur-Athlet seine Kreise zieht – noch vor wenigen Monaten nicht enmal mehr daran gedacht hatte, jemals wieder ein Rennen zu bestreiten. Geschweige denn es zu gewinnen. Denn wie heißt es so schön: Wo das Gras grün ist, da muss es davor auch ordentlich geregnet haben – und geregnet hat es bei Burke definitiv.
Buchständlich vor dem Nichts
Was 2024 für ihn so besonders machte, ist nur im Kontrast zu den dunklen Kapiteln in Jack Burkes jüngerer Vergangenheit zu verstehen. Im Mai 2022 stürzte er im Trainingslager schwer und brach sich das Becken – eine Verletzung, die nicht nur physisch, sondern auch mental tiefe Spuren hinterließ. Die folgende Saison war im Grunde gelaufen, Burke zwang sich zwar zur schnellen Reha, doch sein Körper spielte nicht mit.
Kaum zurück im Sattel, ereignete sich Anfang 2023 das nächste Drama: Bei einem Training wurde er von einem Auto erfasst. Er verlor das Bewusstsein, wachte im Krankenhaus auf – ohne Erinnerung an den Unfallhergang. Die Fahrer, die ihn angefahren hatten, gaben an, ihn gerettet zu haben. Burke glaubte diese Version – ein Jahr lang. Doch schlimmer noch: Sein damaliges Team hatte seine Krankenversicherung frühzeitig beendet. Als er die Rechnungen für Krankenhaus und Behandlungen erhielt, stand er vor dem Nichts. Keine Versicherung. Kein Team. Kein Einkommen.
Sein Körper war verletzt – gebrochener Rücken, gebrochene Gesichtsknochen – doch noch schwerer wog der mentale Schock. In dieser Zeit begann Burke, sich ein neues Leben aufzubauen: Er veröffentlichte sein Buch „How To Become A Pro Cyclist“, gründete ein kleines Unternehmen und startete einen gleichnamigen Podcast, in dem er persönliche Einblicke in sein Leben, die Realität hinter dem Profidasein, mentale Gesundheit, Training, Selbstverwirklichung und auch Einblicke ins Unternehmerdasein gibt. Nicht als Plan B, sondern aus purer Notwendigkeit, die sich schlussendlich als Erfolgsrezept herausstellte und seinen weiteren Lebensweg bestimmte.
Von null weg zum Comeback
Was niemand erwartete – am wenigsten er selbst: Im Frühjahr 2024 holte ihn der Radsport zurück. Durch seinen Podcast kam der Kontakt zu einem Coach zustande – ein Gespräch, das zunächst zwei Stunden on air dauerte und anschließend in ein langes, inspirierendes Coaching mündete. Steve Neal überredete ihn zum Wiedereinstieg ins Training. Ziel war nicht das Podium, sondern einfach nur die Rückkehr zum Radsport.
Doch wer Jack Burke kennt, weiß: Wenn er etwas anpackt, dann richtig. Vier Monate später war er in Topform – und holte sich innerhalb einer Woche die Siege bei zwei der härtesten Radmarathons Europas: dem Ötztaler und dem Kitzbüheler Radmarathon. Beide gelten unter ambitionierten Amateuren als Prestige-Events, als Ritterschläge im Rennkalender. Dass Burke dort nicht nur mithalten, sondern dominieren konnte – beim Kitzbüheler Radmarathon sogar mit Streckenrekord –, war eine Sensation.
Die Jagd auf die Königsetappen
Doch das war dem Kanadier nicht genug: Burkes Rückkehr auf den Radar der Radsport-Community blieb auch abseits der Event-Podien nicht unbeobachtet. 2024 beanspruchte er außerdem einige der legendärsten KOMs Europas – ikonische Segmente auf Strava. Sein erster KOM-Erfolg auf das Stilfser Joch war auch für ihn eine Überraschung: Es war eine spontane Idee unter Freunden. Bei schlechtem Wetter nahmen sie den Anstieg in Angriff und als sie oben angekommen waren, stellte sich heraus, dass er den bisherigen Rekordhalter Jai Hindley um eine Minute und neun Sekunden unterboten hatte. Ein unspektakuläres Video bei schlechtem Wetter und schlechten Bedingungen entwickelte sich rasch zum Social-Media-Hit mit über einer halben Million Klicks.
Sein Ausstatter, die Bikemarke Scott, stellte ihm daraufhin ein neues Rad zur Verfügung – und Burke testete aus, „was damit möglich ist“. Die Antwort: Er dominierte weiter. Es folgte der KOM-Sieg in Alpe d’Huez (Fun fact: Da das neue Bike noch nicht auf dem Markt war, musste er einige Wochen mit der Veröffentlichung seines Erfolgs warten) und wenige Tage später der Mortirolo. Und plötzlich meldeten sich WorldTour-Teams.
Pro-Anfragen und Zukunftsziele
Neun Teams sollen ihn im Herbst kontaktiert haben – zu spät, die Kader waren bereits voll. Burke gibt sich dennoch entspannt. „Ich bin eigentlich ein Hobbyfahrer. Ich fahre 35 Stunden pro Woche Rad, arbeite 35 Stunden – das ist mein Leben“, sagt er. Ein Comeback im Pro-Peloton? Nur bei einem WorldTour-Team. Alles darunter reizt ihn nicht mehr. Stattdessen setzt er 2025 erneut auf Amateurklassiker: den Ötztaler und Kitzbüheler Radmarathon, die Maratona dles Dolomites, Marmotte Alpes, Tour des Stations. Auch im MTB-Marathon hat er einiges vor: die Schweizer Meisterschaften und vielleicht sogar die Weltcup-Serie. Auch ein Start beim legendären Leadville 100 in den USA steht im Raum.
Blick nach vorn
Jack Burke lebt einen anderen Profi-Lifestyle: unabhängig, von Freunden unterstützt, mit dem Herzen auf dem Rad und dem Kopf im Unternehmertum. Was ihn antreibt? „Ich liebe, was ich tue, und möchte Radfahren, bis ich 100 bin. Ich bin 30 – jetzt sind meine besten Jahre. Ich will alles rausholen, was geht.“ Ein Phoenix aus der Asche – und dabei noch lange nicht am Ende seiner Reise.