Ihre Aufgabe ist es, auf markierten Skitouren das Lawinenrisiko so gering wie möglich zu halten: SPORTaktiv war live dabei, als sich frühmorgens in Kitzbühel ein paar beherzte Männer auf den Weg machten, um mit einer Packung Sprengstoff die drohende Naturgewalt in Schach zu halten.
Es ist 7 Uhr 15 in der Früh. Noch ist es dunkel. So dunkel, dass man nicht einmal den starken Schneefall sieht, der sich wie ein schwerer Vorhang vom Himmel herablässt. Am Fuße der Bichlalm in Kitzbühel ist niemand zu sehen - bis auf vier Männer von der örtlichen Lawinenkommission, die sich aufmachen, um das beliebte Tourengebiet von den gefährlichen Schneemassen zu befreien. Markierte Tourengebiete müssen nämlich wie Pisten lawinensicher sein. Sind sie das nicht, werden sie abgesperrt.
Anders als auf dem gegenüberliegenden Hahnenkamm, dem Hausberg von Kitzbühel, gibt es auf der Bichlalm weder eine Gas-Lawinensprenganlage, noch eine Sprengseilbahn, mit der der Zündstoff wie eine Gondel über ein Seil zum Sprengpunkt geführt wird und dort explodiert. Die Sprengungen auf der Bichlalm müssen aus nächster Nähe von einem Sprengmeister vorgenommen werden.
MIT DER PISTENRAUPE ZUM GIPFEL
Franz von der Kitzbühler Bergbahn wirft den Motor und die grellen Scheinwerfer der Pistenraupe an, die für die Männer die Fahrkarte nach oben ist. Mühsam kämpft sie sich durch den meterhohen Tiefschnee den Hang hinauf, rutscht seitlich immer wieder ab, dann wieder etwas zurück. Kippen kann das tonnenschwere Gefährt nicht, meint Franz zuversichtlich, der in der Fahrerkabine die Maschine hinter angelaufenen Scheiben durch den Nebel manövriert. Neben ihm sitzt Ceros, ein bulliger, schwarzer Labrador. Der Lawinenhund hat schon einem Jungen das Leben gerettet.
GROSSE VERANTWORTUNG
Nach etwa einer halben Stunde erreicht die Truppe die Bergstation des ehemaligen Bichlalm-Lifts, wo sie den bürokratischen Teil ihrer Arbeit erledigen: In einer Mappe müssen sie hier jeden Tag die Schneesituation protokollieren, Auswertungen von Schneeprofilen hinterlegen, die Sprengungen dokumentieren und über eine mögliche Absperrung des Gebiets entscheiden. Diese Entscheidungen werden einstimmig getroffen. Zumindest einer der anwesenden Experten muss außenstehend sein, also kein Angestellter der Bergbahnen, um waghalsige Entscheidungen aus rein wirtschaftlichen Interessen zu verhindern – wie etwa einen Hang trotz erheblicher Lawinengefahr nicht zu sperren, um die Skiurlauber nicht zu vergrämen.
Die Bedeutung der schriftlichen Dokumentation ist groß. Passiert ein Unfall oder ein anderer Schaden wegen eines Lawinenabgangs, wird anhand der Aufzeichnungen geklärt, ob die Männer fahrlässig gehandelt haben und damit für die Schäden haftbar gemacht werden können. Eine große Verantwortung für die Mannschaft, von der alle – bis auf Franz – diesen Sprengjob ehrenamtlich ausüben.
EXPLOSIVE LADUNG AM RÜCKEN
Dass heute gesprengt werden muss, haben die Männer schon anhand des Schneeprofils vor Ankunft in der Hütte entschieden. Die letzten Sprengungen waren vor vier Tagen, seitdem hat es fast ununterbrochen geschneit. „Man muss immer wieder abschießen, damit man die Schneemasse reduziert“, erklärt Hermann. So kann auch den zerstörenden Grundlawinen im Frühjahr vorgebeugt werden, bei denen die gesamte Schneedecke bis zum Boden abrutscht.
Franz hat den Sprengstoff – das Lawinit – bereits gestern vorbereitet und mit der Zündschnur versehen: „Jeweils fünf Kilo werden für eine Sprengung benötigt.“ Die Männer packen das Lawinit in ihre Rucksäcke – vier Sprengungen sind heute geplant. Während Franz mit der Pistenraupe wieder ins Tal fährt und das Gebiet absperrt, machen sich Hermann, Alex und Christian mit den Skiern und dem explosiven Gepäck auf dem Rücken auf ins Gelände. Langsam kämpfen sie sich durch die knietiefen Schneemassen. Der eisige Wind treibt ihnen die Schneeflocken um die Ohren, die Sicht ist gleich null.
Gesprengt wird seit Jahren an denselben Stellen, von denen erfahrungsgemäß am ehesten Lawinen abgehen. Der Zündstoff wird an einer Holzstange über der Schneedecke befestigt, weil dadurch die beste Sprengwirkung erzielt wird. Hermann und Alex bahnen sich einen Fluchtweg durch den Tiefschnee, während Christian die Sprengung vorbereitet. Als einziger Sprengmeister unter den drei Männern ist nur er befugt, die explosive Ladung zu zünden. Um Sprengmeister zu werden, hat er einen speziellen Lawinensprengkurs besucht. „Und alle fünf Jahre muss ich in einem Kurs mein Wissen um den neuesten Stand der Technik auffrischen.“
Video: Lawinensprengung in Sölden
DER GROSSE KNALL
Vier Minuten hat Sprengmeister Christian nach der Zündung der Zündschnur Zeit, das Weite zu suchen – das reicht, um sich über den vorgespurten Fluchtweg vor der Detonation in Sicherheit zu bringen. Etwa 100 Meter vom Sprengpunkt entfernt, halten sich die Männer die Ohren zu und warten auf den großen Knall. Die Minuten kommen einem endlos lang vor – bis der erwartete Donner der Sprengung endlich die Stille durchbricht und den Boden erschüttert.
Besonders erfolgreich sind die Sprengungen heute allerdings nicht, da sich die Schneemassen gut verbunden haben. Zwar sind einige große Brocken den Hang hinuntergerollt, die Schneedecke selbst hält aber, zeigt nur feine Risse. „Trotzdem, die Lawinengefahr ist gebannt“, versichert Hermann, „weil durch die Sprengung die Spannung aus dem Schnee genommen wurde. Dieser Bereich ist vorläufig zu 99 Prozent sicher“. Passieren könne dennoch immer etwas, „weil sich die Natur nicht zu 100 Prozent beurteilen lässt“.
Für heute jedenfalls ist die Arbeit der Lawinenkommission getan. Es ist 10 Uhr, als die Männer ihre Abfahrt ins Tal antreten – und zwei Skitourengehern begegnen, die sich von dem wilden Schneegestöber nicht abschrecken lassen. Und wenn der Himmel später noch aufreißt, werden die zwei eine echt bombige Tour haben ...
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