Wer unberührten Tiefschnee sucht, muss früh dran sein. In vielen Skigebieten sind schon um die Mittagszeit kaum noch freie Flächen vorhanden. Fragt sich: Wie (außer durch zeitiges Aufstehen) kann man dem Glück der ersten Spur auf die Sprünge helfen?

Von Niko van Hal


Der Wetterbericht lässt keine Wünsche offen und auf tagelangen Schneefall folgt Sonne. Und auch der Lawinenlagebericht signalisiert grünes Licht. Jetzt heißt es, ein „Early Bird" sein, denn der frühe Vogel zieht seine Turns in ein unverspurtes Powderfeld. Und der späte? Kann beim Zurückschauen oft nicht einmal mehr so genau sagen, welche eigentlich die eigene Line war. Klar: Ein Stück vom Kuchen bekommt man immer, aber wie dieses dann aussieht und ob nicht andere schon daran genascht haben – das hängt auch davon ab, wie man die Sache angeht.

IT'S ON WHEN IT'S ON
Die guten Powdertage mit Neuschnee und schönem Wetter kann man ja bekanntlich nicht planen. Es heißt also bereit sein, wenn es so weit ist. Frühes Aufbrechen erhöht die eigenen Chancen jedenfalls wesentlich. Nicht nur, dass die Morgenstimmung am Gipfel besonders schön ist. Auch die erste Abfahrt kann für Freerider bereits darüber entscheiden, ob man den Tag später mit einem zufriedenen Lächeln beendet oder doch mit dem unguten Gefühl, etwas versäumt zu haben.

Man muss sich aber auch darüber im Klaren sein, dass man nicht der einzige ist, der auf genau diesen Tag gewartet hat. Bekannte Freeridegebiete wie Mayr­hofen, die Innsbrucker Seegrube, Krippenstein, Kitzsteinhorn, Ankogel oder wie sie alle heißen: Sie sind naturgemäß bei Neuschnee extrem beliebt. Und je beliebter ein Gebiet ist, desto früher sollte man dran sein. So weit, so einfach.

Wenn man allerdings einmal nicht unter den Ersten am Berg sein kann, ist das auch noch kein Grund, den Kopf in den Schnee zu stecken. Wenn man es schlau anstellt, ist es durchaus möglich, auch am Nachmittag oder gar Tage nach dem letzten Schneefall noch gute Tiefschneeabfahrten zu erwischen. Eine gute Vorbereitung und eine angepasste Erwartungshaltung können hier der Schlüssel zum Erfolg sein.

EINER IST IMMER NOCH FRÜHER DRAN
„Egal, ob bei einer Skitour oder beim Tiefschneefahren im Skigebiet: Man muss es sich verdienen, einer der Ersten zu sein", weiß Tommy Hasner aus Tirol, passionierter Freerider und in den Wintermonaten immer auf der Suche nach frischem Pulverschnee und unberührten Abfahrten. Dabei versucht er, möglichst unter dem Radar anderer zu bleiben – „Social media und andere Kanäle nutze ich bewusst nicht. Natürlich macht man auch hin und wieder mal ein Foto, aber das sind persönliche Erinnerungen und nicht mehr." Der Insider kann auch schlüssig erklären, warum er das so hält: „Ich bin niemandem neidig, der einen guten Run erwischt hat. Wer scort, hat es sich verdient – so einfach ist das. Und trotzdem denke ich, dass man sich solche Erfolge auch erarbeiten muss. Das funktioniert nicht durch Internetrecherche, sondern nur draußen in den Bergen. Hin und wieder zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, gehört einfach für jeden zum Lernprozess dazu."

Wenn Hasner in ein Skigebiet fährt, dann bricht er möglichst vor Tagesanbruch auf. „Doch selbst wenn man oft das Gefühl hat, dass noch alles schläft – spätestens bei der ersten Bergfahrt ist man selten alleine. Auf der Seegrube an einem guten Tag in die erste Gondel steigen zu können, das ist schon eine Leistung." Und wie jeder andere hat auch Hasner nicht immer uneingeschränkt Zeit oder die Möglichkeit, sich an einem Traumtag spontan Urlaub zu nehmen. „Manchmal kann man einfach erst am zweiten oder gar dritten Tag. Da muss man sich dann anpassen und seine Möglichkeiten alternativ wahrnehmen."

Der Insider empfiehlt konkret, sich mit allen umliegenden Skigebieten auseinanderzusetzten, und nicht nur mit dem namhaftesten. „Wenn es viel geschneit hat, dann überall in der Region. Man sollte sich die Gebiete genau anschauen – auf welche Höhe die Lifte hinaufführen, und anhand von Höhenlinien auf der Karte lassen sich oft schon gute Runs erahnen. Und: Wer bereit ist, auch selber aufzusteigen, der erweitert seine Möglichkeiten deutlich – und macht sich unabhängig von den Liften."

VORTEIL FÜR TOURENGEHER
Noch mehr Tipps für alle, die auf der Suche nach unverspurten Abfahrten sind, haben wir im Kasten unten gesammelt. Klar ist aber: Abfahrtsorientierte Tourengeher haben grundsätzlich mehr Möglichkeiten als Freerider, die sich auf Lifte verlassen. „Modetouren" kann man dabei außen vor lassen – wer dagegen ein wenig sucht, dem tun sich genügend Möglichkeiten auf. Manchmal empfiehlt es sich auch, kurze Touren in Betracht zu ziehen, die auf den ersten Blick eher unattraktiv wirken, bei genauerer Betrachtung aber eine lohnende Abfahrt haben. Man kann mehrmals aufsteigen und bringt so auch viele Abfahrts-Höhenmeter zusammen. Und gerade wenn schon länger kein Neuschnee gekommen ist oder man etwas später unterwegs ist, können nordseitig ausgerichtete Touren oft besonders positiv überraschen.

NOCH MEHR TIPPS VOM INSIDER
So erhöhen sich die Chancen auf große Tiefschnee-Erlebnisse.
  • Alternativen zu den großen Namen in Betracht ziehen. Gebiete wie Werfenweng in Salzburg, Heiligenblut in Kärnten, Lachtal in der Steiermark und viele andere sind vielleicht etwas weniger bekannt als die oberste Liga der bekannten Freeride-Skigebiete. Aber deshalb nicht weniger attraktiv. Ein Blick auf die Karte lohnt sich immer und Neues auszuprobieren auch. Es gibt viele Gebiete, die man vielleicht nicht unbedingt auf der Rechnung hatte, bevor man das erste Mal dort war.

  • Über Skigebiete lassen sich oft auch Abfahrten erschließen, die nicht im Skigebiet enden. So ein Unternehmen setzt aber eine sehr gute Tourenplanung und gewisse Ortskenntnis voraus. Ein gutes Beispiel wäre hier der Kärntner Ankogel – wo man, ausgehend von der Bergstation, nach einem vergleichsweise kurzen Aufstieg ins Anlauftal nach Salzburg abfahren kann. Achtung: Wesentlich bei dieser Tour ist, die Lawinengefahr zu beachten, da die Tour durchaus hochalpinen Charakter hat und es gerade nach Schneefällen oft etwas Zeit braucht, bis man sie in Betracht ziehen sollte.

  • Erwartungshaltung nicht zu hoch schrauben. Wer nicht zu viel erwartet, wird eher positiv überrascht. Wer viel unterwegs ist, weiß auch, dass die besten Erlebnisse oft unverhofft passieren. Viel Schnee heißt nicht automatisch, dass man tolle Abfahrten findet. Manchmal lieber gedanklich etwas tiefstapeln und sich danach umso mehr freuen, macht ­durchaus Sinn.



Auch interessant ...