Bis vor wenigen Jahren noch undenkbar, hält aktuell der E-Antrieb im Rennrad- und Gravelsektor Einzug. So geht es genussvoll über Hügel und Berge. 

Lukas Schnitzer
Lukas Schnitzer

Ein Rennrad mit Motor? Was vor wenigen Jahren noch im Verdacht des „Motordopings“ stand und unter Flüchen der Traditionalisten als unmöglich galt, erfreut sich in Zeiten von wuchtigen Aerorahmen und wachsender Zahlen an Endurance- und Gravelbikes mit modernen Scheibenbremsen zunehmender Beliebtheit. Die spitze Zielgruppe der Rennradhelden, sie wurde mit Kompakt-Kurbeln, insgesamt leichteren Übersetzungen, komfortableren Rahmen und nicht zuletzt den hippen Gravelbikes deutlich breiter. Klar, wer nach direkten, vortriebshungrigen und asketischen Racern sucht, der wird nach wie vor bedient. Ob der Suchende abseits des eigenen Egos mit Profimaterial glücklich wird, das muss jeder im Einzelfall entscheiden. Zunehmend hält jedoch der massenkompatible Genuss Einzug in der Welt der Lenker mit nach unten gebogenen Enden. Im Windschatten von Trekking- und Mountainbike hinterlässt damit auch das Thema „E“ zunehmend Spuren am Rennrad- und Gravel-Sektor. Wir haben mit Veit Hammer von Trek und Alexander Steurer von Simplon Gedanken über den Trend zum Motor ausgetauscht.

„E“, fast unsichtbar
Wohl in weiser Kenntnis des sehr auf Emotionen, Traditionen und Ästhetik bedachten Rennradmarktes, so scheint es, gibt sich das Gros der Hersteller beim Thema E-Rennrad und E-Gravel scheinbar doppelt Mühe, all die Elektronik möglichst unauffällig im Gesamtpaket verschwinden zu lassen. Mit wenigen Ausnahmen – dort dann aber dafür mit meist leistungsstarken Akkus und Motoren – fällt es zunehmend schwerer, die motorisierten Bikes von ihren traditionellen Pendants zu unterscheiden. „Der Rennradfahrer ist der Ästhet unter den Radfahrern – umso wichtiger, dass Motor und Akku schön integriert und vom Umfeld nicht gleich wahrgenommen werden“, fasst Alex Steurer zusammen. 

E-Renner für – wen?
In der Zielgruppe für ein E-Rennrad oder E-Gravel sieht Steurer grundsätzlich jeden, der mit leichtem Support steile Anstiege ein wenig abflachen möchte. Das reicht von Gruppenmitgliedern oder Partnern, die Leistungsdefizite am Berg ausgleichen wollen, bis hin zu Fahrern, die einfach mehr Fahrspaß suchen. Auch ehemalige Rennradfahrer, die aus körperlichen oder Altersgründen ihr Hobby an den Nagel hängen mussten, können damit nochmals zurück in den Sattel.

Wichtig ist ihm die klare Differenzierung zum Power-E-Bike, wie es die breite Masse oft fälschlich wahrnimmt. Das Gros der modernen E-Rennräder setzt auf kompakte und leichte Antriebskonzepte wie den Nabenmotor von Ebikemotion oder Mittelmotorkonzepte vom Schlage eines Fazua Ride 50, TQ- HPR50 oder Specialized 1.1. Diese bieten sanfte, vom Fahrgefühl besonders natürlich einsetzende Unterstützung im Bereich zwischen 35 und 50 Nm Drehmoment und setzen in der Regel auf kleinere Akkus mit um die 200 bis 360 Wh. Drehmomentstarke, schwere Motoren mit großen Akkus sind hier eher eine Randerscheinung, E-Rennräder werden durchwegs sportlich aus­gelegt.

Von Reichweite und Leistung
Wie viel Reichweite und Leistung es fürs E-Rennrad oder E-Gravel braucht, das ist für Veit Hammer eine schwer zu beantwortende Frage. Topografie, Witterungsbedingungen, Equipment, Untergrund und nicht zuletzt das individuelle Fahrverhalten haben hier großen Einfluss. Vor dem Kauf, so seine Empfehlung, sollte man sich im Klaren sein, wonach man sucht: Wo möchte ich das Bike einsetzen, welcher Fahrcharakter (natürliches Fahrgefühl vs. maximale Unterstützung) ist mir wichtig, wie groß ist die Geräuschentwicklung des Antriebs und mit wem bin ich die meiste Zeit über unterwegs? Das alles sind Fragen, die am Weg zum idealen Antriebskonzept und Bikemodell helfen. 

„E-Rennräder mit leichtem Motor bieten sanfte Unterstützung in den Anstiegen. Die (für die Unterstützung) limitierende Endgeschwindigkeit von 25 km/h wird mit diesen Rädern relativ leicht erreicht, das muss dem Endkunden klar sein“, gibt Alex Steurer zu bedenken. Wie stark und auf welche Art und Weise der Motor unterstützt, das probiert man am besten bei einer Probefahrt aus. Wer lange Touren plant oder davon ausgeht, sehr große Teile seiner Runden mit künstlichem Rückenwind zu bestreiten, der kann auch über die Option eines Zusatzakkus (meist am Flaschenhalter untergebracht) nachdenken.

Worauf achten?
Alex Steurers Tipp: Gut konstruierte Carbonrahmen bieten hohen Fahrkomfort. Beide Experten empfehlen dazu, grundsätzlich auf ausreichend Reifenfreiheit zu achten – breite Reifen bringen zusätzlichen Komfort und erweitern den Einsatzbereich. Auf der Straße ist auch ein möglichst leiser Antrieb Trumpf. Ob Rennrad oder Gravel, das muss jeder für sich entscheiden, viele Räder erlauben es je nach Reifenwahl die Gewichtung leicht in den einen oder anderen Bereich zu verschieben.